Politologe zu Sondierungen "Diese Woche wird entscheidend"
Die erste Phase der Sondierungen ist abgeschlossen. Grüne und FDP bleiben weiter in machtvoller Position. Doch müssten sie ihre taktischen Spiele demnächst beenden, so Politologe Thorsten Faas im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Es sind weiterhin zwei Koalitionsoptionen auf Bundesebene im Gespräch - wie lautet Ihr erstes Resümee der Sondierungen?
Thorsten Faas: Ganz klar - das ist Neuland. Erstens, dass die beiden Kleineren zunächst gemeinsam in Vorsondierungen gegangen sind. Und zweitens die Frage des Formats: Dass man sich erst mal entschieden hat, sich paarweise zu beschnuppern, bevor man die erste Vorentscheidung trifft. Welche Koalition lotet man im Dreier-Bündnis weiter aus? Und ich finde es wieder einmal sehr spannend zu sehen, wie sehr sich die Logiken von Vor- und Nachwahlzeit unterscheiden.
tagesschau.de: Inwiefern?
Faas: Vor der Wahl ging es um Zuspitzung und Polarisierung - es ging darum, Unterschiede deutlich zu machen. Nach der Wahl agiert man konstruktiv, vertrauensvoll und ergebnisorientiert. Die Tiefe und auch Art der Auseinandersetzung zwischen den Parteien unterscheidet sich erheblich. Allseits ist aber auch der Wille erkennbar, das gemeinsam und koalitionsorientiert zu bewältigen - und das tatsächlich zu einem guten Ende zu bringen. Das ist eine Lehre aus 2017 - an die sich bisher alle halten, vielleicht mit kleiner Ausnahme bei der Union.
"Konkrete politische Maßnahmen werden noch ausgeklammert"
tagesschau.de: Scheint es nur so, oder sind Ihrem Eindruck nach die Akteure tatsächlich stärker an der Sache und am Ergebnis orientiert als 2017? Damals erschienen die Parteien noch Lager- und ideologiegebundener.
Faas: Das ist eine schwierige Frage. Die Inhalte, die jetzt kontrovers diskutiert werden, haben ja auch eine Verankerung in Werten und in Ideologie. Aber im Moment bestärkt man sich noch in vielen gemeinsamen Zielen und klammert so die Ebene der Maßnahmen noch aus. Dort kämen dann aber am Ende auch Wertfragen deutlich zum Tragen. Etwa, ob man auf den Markt oder auf den Staat setzt.
tagesschau.de: Ist es überhaupt sinnvoll, das erst mal auszuklammern?
Faas: Es ist eine der Lehren aus dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen 2017, erst einmal - "mit großer Ernsthaftigkeit", wie wir immer hören - eine Gesprächs- und Vertrauensebene zu etablieren. Das ist keine Selbstverständlichkeit, aber das braucht es tatsächlich zwingend im ersten Schritt. Man ist gerade dabei, sehr viel Gemeinsames zu betonen, weniger die Unterschiede - um damit schon mal ein paar wichtige Punkte abzuhaken.
tagesschau.de: Dass beispielsweise die Grünen, die sich programmatisch näher an der SPD und eine Option auf eine Ampelkoalition sehen, nun trotzdem mit der Union ein zweites Dreierbündnis erwägen, das ist doch neu: Sie schauen parteiunabhängig an der Sache entlang, wo etwa mehr Klimaschutz zu machen ist.
Dreier-Bündnisse: "Ohne Spannungen nicht denkbar"
Faas: Das ist in doppelter Hinsicht etwas Neues. Aber dieses Wahlergebnis, das gerade keine Koalition eindeutig nahelegt, sondern zwei Dreier-Koalitionen möglich macht, verlangt von den Parteien ein anderes, strategischeres Verhalten. Klar ist doch: Das werden in jedem Fall schwierige Bündnisse sein, die nicht ganz problemlos in dieser Dreier-Konstellation zueinander finden werden. Es ist eine Chance für jeden einzelnen Partner, da auch eigene Akzente hineinzuverhandeln, aber es ist natürlich auch ein Risiko, weil die Spannungen untereinander natürlich sichtbar werden.
Das Zweite ist, dass gleichzeitig mehrere Optionen ausgelotet werden, was wir so auf Bundesebene noch nicht hatten. Insofern ist es eben auch ein strategisches Spiel für FDP und Grüne, einerseits die eigene Position zu stärken und sich dabei für niemanden zu einfach als Partner anzudienen - auch nicht aus Sicht der Grünen für die SPD. Das ist durchaus noch mit Spannung verbunden. Zu viele rote Linien darf man umgekehrt aber auch nicht ziehen: Es ist kompliziert.
tagesschau.de: Nun sind sowohl SPD als auch Union zu weiteren vertiefenden Bündnis-Gesprächen bereit. Irgendwann müssen die beiden Kleinen aber auch mal ihre Taktik-Ebene einpacken. Wann rechnen Sie denn mit einer Positionierung, welches Bündnis man zunächst als Präferenz hat und sondiert?
Faas: Das wird sehr bald passieren. Da werden auch wieder FDP und Grüne in einer zentralen Position sein. Würden die beiden unterschiedliche Signale in verschiedene Richtungen senden, wäre man sozusagen zurück auf Los. Das wird nicht passieren. Insofern kann man sich vorstellen, dass sich zunächst Grüne und FDP verständigen - und wir im Laufe der Woche ein Signal haben werden, in welche Richtung die ersten Dreier-Sondierungen gehen werden. Und dass diese wiederum scheitern, ist sehr unwahrscheinlich - auch im Lichte dessen, was wir 2017 erlebt haben. Das ist möglich, aber eben nicht sehr wahrscheinlich. Diese Woche wird entscheidend.
tagesschau.de: Das heißt, das erste Bündnis, das dann sondiert wird, hat auch ein gewisses Prä?
Faas: In jedem Fall. Da müsste es dann doch sehr knirschen, damit das tatsächlich nochmals gestoppt wird. Da stellte sich dann auch die Frage, wer derjenige wäre, der das zum Platzen bringt - wie könnte die Partei das eigentlich begründen? Derjenige zu sein, der das dann platzen lässt, zahlt potenziell einen sehr hohen Preis.
"FDP und Grüne sind keine natürliche Einheit, im Gegenteil"
tagesschau.de: Welchen denn?
Faas: Einen Verlust an Glaubwürdigkeit und das Infragestellen dieser sehr konstruktiven Atmosphäre, die jetzt alle so betonen. Stellen wir uns vor, das wäre wieder die FDP, gerade in einem Fall, in dem sie das alleine entscheiden würde, ohne die Grünen mit in die nächste Runde der Jamaika-Sondierungen zu ziehen - das wäre doch ein Déjà-vu von 2017: Daran kann die Partei kein Interesse haben.
tagesschau.de: Nehmen sie den beiden Kleineren die von ihnen sehr betonte "historische und demokratische Verantwortung" ab?
Faas: Es ist einerseits eine machtvolle Position, in der Grüne und FDP sich gerade befinden. Allerdings rührt die Macht auch nur daher, dass sie gemeinsam agieren - und das darf man an der Stelle nicht vergessen: FDP und Grüne sind keine natürliche Einheit, eher im Gegenteil. Aber wenn man es gemeinsam es in dieser Situation denkt, dann sind sie sehr machtvoll, aber damit geht auch eine große Verantwortung einher. Wenn die beiden sich verhaken, dann ist man wieder in der Situation, eigentlich nur zur Großen Koalition zurückgehen zu können.
Das Gespräch führte Corinna Emundts, tagesschau.de