Ausbildungszentrum für System Iris-T SLM Ein Rückgrat für die europäische Flugabwehr?
Deutschland hat der Ukraine das Flugabwehrsystem Iris-T SLM geliefert, was sich dort als hochwirksam erweist. Das System könnte auch zum Rückgrat einer europäischen Flugabwehr werden - und wird aktuell an der Ostsee getestet.
Direkt an der Ostsee gelegen ist der Bundeswehrstandort Todendorf, wo bislang das Flugabwehrraketengeschwader 61 beherbergt ist. Es ist ein klassischer Übungsplatz am Rande der Republik. Neben Backsteinkasernen ist in den letzten acht Monaten allerdings direkt hinter dem Deich ein Containerkomplex aus dem Boden gestampft worden.
Bundeswehr und Industrie haben gemeinsam ein Ausbildungszentrum für Flugabwehr in Rekordzeit gebaut. Luftwaffenchef Ingo Gerhartz spricht von "supersonic", von "Überschallgeschwindigkeit" im Vergleich zu den Zeitabläufen, die man sonst so in der Bundeswehr erlebe.
Kooperation zwischen Industrie und Bundeswehr
Das hat offenbar eine direkte Zusammenarbeit zwischen deutscher Rüstungsindustrie und Bundeswehr möglich gemacht. Die hat es zwar auch in der Vergangenheit gegeben, allerdings wurde sie wohl selten so offen präsentiert und zur Schau gestellt.
Zu große Nähe zur Industrie sieht der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, aber nicht. Vielmehr lobt er die Zusammenarbeit mit dem deutschen Familienunternehmen Diehl Defence, die auch dazu geführt habe, die Produktion der Flugabwehrsysteme schnellstmöglich hochzufahren.
Luftwaffeninspekteur Gerhartz lobt die Zusammenarbeit von Bundeswehr und Industrie.
Gerhartz bemüht den Begriff der "Zeitenwende", wohl auch was die Beschaffung von IRIS-T für die Bundeswehr angeht. Im Juni 2023 hat man die Verträge unterschrieben, im Oktober 2024 soll das erste System bei der Bundeswehr in Dienst gestellt werden. Bis 2027 werden es insgesamt sechs sein. Es soll - für Bundeswehrverhältnisse - zügig gehen.
Iris-T SLM im täglichen Kriegseinsatz
In der Ukraine sind bereits zwei Flugabwehrsysteme im Dauereinsatz, ein drittes soll im Herbst geliefert werden. Im Großraum Kiew schützen die Abwehrraketen "Made in Germany" Menschen und die sogenannte kritische Infrastruktur vor russischen Shahed-Drohnen und vor allem Kalibr-Marschflugkörpern.
Mehr als 110 Abschüsse hat das deutsche System verzeichnet, sagt Harald Buschek, zuständiger Geschäftsführer bei Diehl Defence. Im Frühjahr 2023 soll das System sogar einen russischen Schwarmangriff mit 13 Drohnen gleichzeitig unschädlich gemacht haben. Denn es kann mehrere Ziele gleichzeitig bekämpfen. Der Industriemanager erzählt stolz von Treffen mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko und dem ukrainischen Botschafter Oleksij Makejew, die das System in den höchsten Tönen gelobt haben.
Geschäftsführer Buschek hat sich über den Einsatz des Systems in der Ukraine informiert.
Buschek ist dabei gleichzeitig beeindruckt, wie professionell die Ukrainer mit dem Flugabwehrsystem aus Deutschland umgehen. So würden sie beispielsweise nicht die maximale Reichweite von bis zu 40 Kilometern ausreizen, sondern trotz der Gefahr warten, bis sich russische Marschflugkörper auf 30 Kilometer oder weiter angenähert haben. Dadurch erhöht sich ihre Trefferquote, die rund um Kiew bei "einhundert Prozent" liegen soll.
Das deutsche Waffensystem wird also unter härtesten Kriegsbedingungen eingesetzt. Gibt es dabei Probleme, können die Ukrainer eine Hotline beim Hersteller Diehl Defence anrufen. Das Unternehmen wiederum arbeitet die Tipps der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten dann ein, um das System noch alltagstauglicher zu machen. Und auch die Bundeswehr profitiert vom Kriegs-Know-How der Ukrainer. Man tauscht sich darüber aus, wie sie das Waffensystem konkret einsetzen.
IRIS-T SLM auf dem Weg zum Exportschlager
Die Erfolge in der Ukraine haben das deutsche Flugabwehrsystem auch für andere Nationen begehrt gemacht. Und das bedeutet für Diehl Defense ein Milliardengeschäft, auch wenn man sich zu den offiziellen Preisen nicht äußern will - nur so viel: Die Produktion wird hochgefahren, im nächsten Jahr will das Familienunternehmen bis zu 500 Abfangraketen und bis 2025 acht Gesamtsysteme aus Radar, Feuerleitstand und Raketenabschussbasis pro Jahr produzieren.
IRIS-T SLM dürfte zum deutschen Exportschlager werden. Und so ist es aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, an der Ostseeküste gemeinsam mit der Bundeswehr Schulungsräume, Hallen und betonierte Standplätze in Rekordzeit aus dem Boden zu stampfen, damit mit dem auf Lastwagen montierten Flugabwehrsystem geübt werden kann.
"European Air Defence Academy" wird Realität
Und auch die Bundeswehr sieht in der Zusammenarbeit mit der Industrie einen Vorteil. Denn IRIS-T SLM soll aus deutscher Sicht ein wichtiger Teil der europäischen Flugabwehr werden. Die sogenannte European Sky Shield Initiative hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Europa-Rede in Prag vor einem Jahr angekündigt und sie geht mit dem Trainingszentrum "European Air Defence Academy" an der Ostsee jetzt in die Umsetzung.
Die Bundeswehr will vorangehen und hofft auf Interoperabilität. Denn geht es nach Luftwaffenchef Gerhartz, sollen möglichst viele Nationen IRIS-T- Systeme nutzen, die dann länderübergreifend zusammenarbeiten können.
Insgesamt 14 Luftwaffen-Inspekteure aus ganz Europa haben sich das Flugabwehrsystem und das neue Schulungszentrum angeschaut. Einige sollen bereits Interesse gezeigt haben. Deutschlands wichtigster Partner, Frankreich, hat allerdings gefehlt. Dort will man offenbar weiterhin auf eigene Systeme setzen.