Randale in Connewitz Zwischen Wohnraumprotest und Randale
Bei den Protesten in Leipzig wird immer wieder das Argument des bezahlbaren Wohnraums angeführt. Aber wie ist die Situation tatsächlich? Und wo hat die Gewalt ihren Ursprung?
Wie kam es zu den Auseinandersetzungen in Leipzig?
Am vergangenen Wochenende kam es im Leipziger Stadtteil Connewitz zum Teil zu gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei. Hintergrund war die Räumung eines Wohnhauses im Osten der Stadt am Mittwoch. Dieses Haus war Mitte August von jungen Leuten besetzt worden, aus Protest gegen die Wohnungsleerstände in der Stadt. Auch für das kommende Wochenende sind Proteste in Leipzig angekündigt.
Wie ist die Wohnraumsituation in Leipzig?
Aufgrund starken Zuzugs nach Leipzig sinkt seit Jahren der freie Wohnraum, die Mietpreise steigen. Leipzig ist eine der am schnellsten wachsenden Städte Deutschlands. 2011 lebten etwa 500.000 Menschen in Leipzig, zur Zeit sind es mehr als 600.000. Seit Jahren gibt es in der Stadt Diskussionen um bezahlbaren Wohnraum. Denn durch den Zuzug wird das Angebot kleiner - und die Mieten steigen.
Wie groß ist der Leerstand?
Noch vor zehn Jahren standen in Leipzig etwa 25.000 Wohnungen leer. Nach einer Untersuchung des Leipziger Baudezernates aus dem Jahr 2019 stehen von den rund 335.000 Wohnungen etwa 12.000 leer (3,6 Prozent). Davon befinden sich 3000 in komplett leeren oder ruinierten Häusern, 5000 sind fluktuationsbedingt ungenutzt - stehen also wegen Umzug oder Sanierung nur kurzzeitig leer -, 4000 Wohnungen ließen sich nach Renovierungen wieder vermieten. Kritiker monieren, dass Eigentümer von Häusern diese mitunter Jahrzehnte verfallen lassen und darin nur Spekulationsobjekte sehen. Eigentümer verweisen darauf, dass sich die Sanierung nicht gelohnt hätte.
Seit wann werden Häuser besetzt, wo stehen die?
Viele Gewalttaten haben im Stadtteil Connewitz ihren Ursprung, im Süden der Stadt. Anfang der 1990er-Jahre zog es viele Hausbesitzer in diesen Stadtteil, es folgten Künstler und politisch Linke. Connewitz war und ist ein Rückzugsort der alternativen Szene, in dem eine Minderheit auch Gewalt befürwortet.
Ein anderer Brennpunkt liegt im Osten der Stadt. Die Straßen rund um die Eisenbahnstraße gelten als Problemviertel. In der Ludwigstraße hielten junge Leute seit Mitte August ein Wohnhaus besetzt und wollten damit auf Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam machen. Bei der Hausräumung am vergangenen Mittwoch kam es zu Angriffen auf Polizisten. Die Räumung war ein Auslöser für die Krawalle in Connewitz am folgenden Wochenende.
Wer demonstriert - wer sind die Gewalttätigen?
Natürlich ist nicht jeder, der für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße geht, gewalttätig. Doch es gibt eine gewaltbereite linksextreme Szene, die sich mit ihren Aktionen gegen eine vermeintliche Vertreibung aus ihren Wohngebieten wehrt. Laut Bekennerschreiben will man sich gegen Kapitalismus und Verdrängung wehren. Nach Aussage des früheren Chefs des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, setzen sich die Gewalttäter aus einem breiten Spektrum zusammen: "Da sind Akademiker dabei, Hartz-IV-Empfänger, Leistungsempfänger, Arbeiter, Selbstständige." Die autonomen Gruppen haben sich in dem Bündnis "Leipzig besetzen" organisiert.
Was sagt die Politik?
Die Wohnungsproblematik wird von den verschiedenen Parteien unterschiedlich bewertet. Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) kritisiert, dass die Stadt in der Vergangenheit zu wenig getan habe, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verweist auf den sozialen Wohnungsbau.
Derzeit befinden sich fünf Projekte mit fast 400 Wohnungen in Planung, ebensoviele sind in den Stadtteilen Neulindenau und Gohlis im Baustadium. Geplanter Preis: etwa 6,50 Euro/qm für die Kaltmiete. Das liegt noch unter der derzeitigen durchschnittlichen Kaltmiete von 7,08 Euro. Diese lag 2010 noch bei 4,68 Euro. Die größten Mietsteigerungen - um 51 Prozent - gab es in dem jetzt wieder im Fokus stehenden Stadtteil Connewitz. Die höchsten Mietpreise in Leipzig werden derzeit in der City mit 9,05 Euro (kalt) verlangt.
Gibt es ein Konzept gegen Luxussanierungen?
Um die kritisierten Luxussanierungen zu verhindern, hat der Stadtrat im Juni 2020 "soziale Erhaltungssatzungen" beschlossen, auch "Milieuschutz" genannt. In sechs Gebieten sind Hauseigentümer verpflichtet, alle Bauvorhaben, Abrisse oder Nutzungsänderungen vorab von der Stadt prüfen und Genehmigungen zu lassen. Die von der Linken initiierte Satzung wurde von SPD und Grünen unterstützt, von CDU, FDP und AfD abgelehnt.
Polizisten am Rande einer Demonstration im Leipziger Stadtteil Connewitz: Zuletzt kam es mehrmals zu gewalttätigen Ausschreitungen.
Wie reagierte die Politik auf die Gewalt?
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach den Randalierern ab, dass sie politische Ziele wie bezahlbaren Wohnraum verfolgen. "Diesen Leuten geht es nicht um dieses Thema. Es geht ihnen darum, gegen unsere Rechtsordnung vorzugehen", sagte der CDU-Politiker. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sagte, er halte Protest für legitim, dieser müsse aber friedlich sein. "Wenn gezielt Flaschen und auch Steine fliegen auf Polizisten, aber auch Vertreter der Versammlungsbehörde, da hört der Spaß auf, da muss der Rechtsstaat sich durchsetzen, und genau das hat die Polizei getan." Der Linken-Bundestagsabgeordnete André Hahn sagte dem RND, Gewalt könne "nie ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein".
Wie geht es weiter?
Am Wochenende soll es weitere Proteste geben. Der geplante EU-China-Gipfel wurde wegen Corona abgesagt. Nun ruft ein Bündnis zu "EU-China kritischen Aktionstagen" auf. Laut Demo-Aufruf solle die Kritik für eine befreite Gesellschaft auf die Straße getragen werden - "autonom, militant, antiautoritär." Die Organisatoren sprachen sich auf Twitter gegen eine Eskalation aus.