CSU-Parteitag in Nürnberg Bloß nichts der AfD überlassen
Vor ihrem Parteitag hat die CSU mit einem Leitantrag zur Deutschpflicht viel Häme geerntet. "Geschadet hat ihr das aber nicht", sagt CSU-Expertin Ursula Münch im Interview mit tagesschau.de. Bei vielen Wählern könnte sie sogar gepunktet haben.
tagesschau.de: Im Vorfeld des Parteitags hat die CSU mit ihrem Leitantrag zur Deutschpflicht für Migranten für Hohn und Spott gesorgt. Nach dem öffentlichen Aufschrei ruderte sie zurück. Hat das der Partei geschadet?
Ursula Münch: Nein. Natürlich war die Häme groß und das war durchaus auch berechtigt, weil der Vorstoß wirklich unglücklich formuliert war. Insgesamt glaube ich aber, dass das gar nicht so unbewusst so unglücklich formuliert wurde. Das Thema wurde sicher bewusst gesetzt im Vorfeld des Parteitags, weil die CSU gezielt gerade solche Themen besetzen will, die andere Parteien nicht aufgreifen.
tagesschau.de: Welche Strategie steckt dahinter?
Münch: Es geht der CSU darum, dem alten Diktum von Franz Josef Strauß - rechts von der CSU darf keine demokratische Partei stehen - gerecht wird. Trotz aller Modernisierung der Partei nimmt sie für sich in Anspruch, die Sorgen und Befürchtungen der breiten Bevölkerung aufzugreifen und eben nicht nur die von Akademikern oder der oberen Mittelschicht.
Das geht mit dem Risiko einher, dass man solche Befürchtungen - beispielsweise die vor tatsächlicher oder gefühlter Präsenz von Menschen, die zu wenig Deutsch sprechen - eher schürt, anstatt ihnen entgegenzusteuern. Das ist ein Balanceakt. Aber die CSU ist der festen Überzeugung, dass sie solche Themen, gerade das der Zuwanderung, nicht der AfD überlassen darf.
"Volksparteien müssen Ängste aufgreifen"
tagesschau.de: Kritiker werfen der CSU Rechtspopulismus vor.
Münch: Das teile ich nicht. In der Formulierung liegt sicher eine gehörige Portion Populismus. Gleichzeitig darf man auch nicht so tun, als ob es diese Sorgen in Teilen der Bevölkerung nicht gäbe. Das sind meist Menschen, denen es selbst nicht so umwerfend geht, die sich Konkurrenz ausgesetzt fühlen, die die Befürchtung haben, dass man es Einwanderern leichter macht als ihnen und ihren Kindern.
Rational sind diese Ängste sicherlich nicht begründet, das heißt aber nicht, dass man nicht auf sie eingehen muss. Gerade Volksparteien müssen so etwas aufgreifen und dann den Menschen diese Angst wieder nehmen. Wenn sie das nicht täten, könnte ein Vakuum entstehen, in das nicht-demokratische Parteien hineinstoßen. Wenn sie die Angst allerdings schüren, wäre es problematischer Populismus.
tagesschau.de: Das heißt, unterm Strich könnte die CSU bei ihrer Klientel mit dem viel kritisierten Vorschlag sogar gepunktet haben?
Münch: Ich gehe davon aus, dass sie bei einem Teil ihrer Klientel gepunktet hat. Gleichzeitig hat die CSU aber das Problem, dass sie auch eine andere Anhängerschaft hat. Beim modernen Großstadtpublikum, bei jüngeren Frauen, punktet man mit so etwas nicht. Das ist der Spagat, in dem sich gerade CDU und CSU besonders befinden: Sie wollen modernes Publikum ansprechen, aber auch die treuen Stammwähler nicht verlieren.
tagesschau.de: Trotzdem hat die Partei offenbar einen Imageschaden befürchtet, sonst hätte sie den Leitantrag ja nicht entschärft.
Münch: Sicherlich hat sie festgestellt, dass die Intention, dass Zuwanderer Deutsch sprechen können, zwar richtig ist, das empfohlene Mittel aber eine Einmischung in die Privatsphäre darstellt, die keiner Partei zusteht. Gerade einer bürgerlichen Partei nicht, mit einem Wertekanon, der da heißt: Schutz von Familie und Nicht-Einmischung in private Lebensverhältnisse. Darüber war man sich wohl im Vorfeld zu wenig im Klaren und das hat man auch zu spät erkannt und zu spät reagiert.
"CSU spricht aus, was auch in CDU gedacht wird"
tagesschau.de: Gerade auch in der CDU gab es scharfe öffentliche Kritik. Was sagt das über das derzeitige Verhältnis der beiden Schwesterparteien aus?
Münch: Dieses Verhältnis hat immer seine Höhen und Tiefen. Die CSU lebt davon, dass sie sich manchmal ganz gezielt von der CDU absetzt und sich gerade auch mit solchen Themen stärker profiliert. Manchmal funktioniert das ja auch nach dem Motto: Die CSU sagt etwas, was in Teilen der CDU auch gedacht wird, was sich aber dort keiner zu sagen traut. Insgesamt verbucht man das dann aber trotzdem unter Union.
Ich würde das nicht dramatisieren, natürlich gab es da auch in der CDU eine gewisse Häme, aber auch das kann wieder Teil einer Inszenierung sein. Ich denke, die CDU sieht das alles in allem mit einer großen Gelassenheit, auch wenn die CSU manchmal in ein Fettnäpfchen tritt. Das ist ihr aber allemal lieber als diese Wählerschaft allein der AfD überlassen.
"CSU will nicht nur für Großkopferte da sein"
tagesschau.de: Auch bei anderen Themen sind sich die Schwesterparteien nicht grün: Seehofers Blockade in der Energiepolitik beispielsweise, Pkw-Maut oder die kalte Progression, die die CSU rascher abbauen will als die CDU.
Münch: Man muss das in größeren zeitlichen Linien sehen: Es hat immer schon zur Beziehung zwischen beiden Parteien gehört, dass die CSU eigene Positionen bezieht. Das sichert in Bayern den Erfolg, der in Bundestagswahlen auch der Gesamtpartei zugute kommt. Es ist das Erfolgsrezept der CSU, deutlich zu machen: Wir erreichen etwas ganz Besonderes für Bayern, auch auf Bundesebene.
Die kalte Progression beispielsweise ist für die CSU ein symbolträchtiges Thema: Ein Arbeitnehmer, wenn er denn fleißig ist, soll nicht bestraft werden. Die CSU hat sich schon immer in der Rolle gesehen, auch für die Belange des normalen Steuerzahlers einzutreten und eben gerade nicht nur für die Großkopferten. Bei der Pendlerpauschale war das auch schon so.
Gleichzeitig tut man sich natürlich leichter, den Abbau der kalten Progression zu fordern, wenn man auf Bundesebene nicht den Finanzminister stellt. Andererseits muss man das auch unter Theaterdonner abspeichern: Im Augenblick sind die Einbußen für den Bürger bei der kalten Progression nicht so dramatisch, weil wir eine sehr niedrige Inflationsrate haben. Vermutlich wird die CDU sich hier auf einen Kompromiss einlassen, wohl wissend, dass es dem Bundeshaushalt in den nächsten Jahren nicht so weh tun wird.
"Seehofer-Nachfolge wird in Nebenzimmern debattiert"
tagesschau.de: Wie steht die CSU derzeit in der Großen Koalition da? Zeitweise hat man ja den Eindruck, die SPD gibt den Ton vor.
Münch: Die CSU hat keine Ministerien, mit denen sie besonders punkten kann, das ist für sie ein Problem. Wenn die Pkw-Maut durch ist, wird das noch offensichtlicher werden. Umgekehrt hat auch die SPD ihr Pulver ja weitgehend schon verschossen. Insofern wird die CSU auch wieder etwas aufholen können. Nichtsdestrotrotz hat sie in der Großen Koalition weniger Ministerien, weniger Einfluss und dadurch fällt es ihr schwerer sich Gehör zu verschaffen. Auch deshalb bemüht sie sich jetzt stark um das Thema Migration und Integration: Das wird für die CSU sicher noch länger ein größeres Thema bleiben.
tagesschau.de: Inwiefern könnte die Debatte um die Seehofer-Nachfolge auf dem Parteitag eine Rolle spielen?
Münch: Garantiert nicht laut, aber vermutlich in den Nebenzimmern. Im Augenblick ist das in Bayern aber kein allzu wichtiges Thema. Alle haben sich jetzt positioniert und man ist in den Arbeitsmodus zurückgekehrt: Man kämpft ein bisschen gegen die Opposition und versucht jetzt inhaltliche Arbeit zu leisten: Energiewende, Länderfinanzausgleich, schwarze Null, Integration der Flüchtlinge sind die wichtigen Themen. In einem Jahr wird man nochmal ganz anders darauf schauen, nämlich: Wer hat seine Arbeit am besten gemacht?
"Wer Nachfolger wird, ist völlig offen"
tagesschau.de: Es wurde spekuliert, dass Seehofer nun doch nach 2018 noch weitermachen will. Haben sie eine Prognose, wann er abtritt und wer sein Nachfolger wird?
Münch: Ich gehe davon aus, dass er diese Wahlperiode zu Ende führen und nicht nochmal antreten wird. Aber für eine Prognose zu seinem Nachfolger ist es noch viel zu früh. Das wird ganz stark davon abhängen, mit welchem Modus der Nachfolger gefunden wird, ob es beispielsweise einen Mitgliederentscheid geben wird. Momentan hat in der öffentlichen Wahrnehmung zwar Söder die Nase vorn, das heißt aber noch nichts. Neben Aigner gibt es auch noch ganz andere die man momentan noch nicht so auf dem Plan hat: zum Beispiel Marcel Huber in der Staatskanzlei oder der bayerische Innenminister Joachim Herrmann.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de