Bis zu einem Drittel der Jugendlichen betroffen Wenn Mobber mit nach Hause kommen

Stand: 16.08.2013 13:55 Uhr

Hacken Mobber ein Profil im Netz oder nutzen persönliche Daten zum Erpressen, ist das kein Scherz mehr, sondern Cybermobbing. Jeder dritte Jugendliche soll davon betroffen sein. Die psychische Belastung ist groß. Trotzdem sind einige Opfer selbst Täter.

Von Julia V. Bewerunge für tagesschau.de

Als Lea von ihrer Schwester angerufen wird, weiß sie erst nicht worum es geht. Ihr Name wurde in einem Onlinenetzwerk geändert zu "Dreckige Schlampe". Leas Profilbild zeigt sie schlafend. Darunter: "Pause zwischen allen meinen Typen". Die Siebtklässlerin, deren Name wir geändert haben, ist verzweifelt. Wer würde ihr so etwas antun? Etwa ihre Freundinnen, mit denen sie sich vor Kurzem gestritten hat? Sie ist wie gelähmt und versucht einen klaren Kopf zu bekommen.

Doch alleine kommt sie nicht voran. Erst mit der Hilfe ihrer Schwester wendet sich Lea an ihren Rektor und löscht ihr Profil. Sie erstellt ein neues und wählt ein anderes Password. Doch wieder wird sie gehackt. Freunde werden von ihrem Account aus angeschrieben und gefragt, ob sie zu ihr kommen wollten. Sie habe sturmfrei und einiges mit ihnen vor.

Gewalt bis ins Kinderzimmer

Psychologin Stephanie Pieschl hat sich Leas Fall angesehen. Es sei eindeutig Cybermobbing - in der Fachsprache Cyberbullying -, da es sich um wiederholte Taten handele, bei denen die Machtverhältnisse unausgeglichen sind.

"Cybermobbing ist die Weiterführung des Mobbings vom Schulhof über den Cyberraum ins Kinderzimmer", sagt Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing. Viele jugendliche Mobber unterschätzten, was sie ihren Opfer antun. Oft wollten sie es einfach mal ausprobieren. Während Kinder und Jugendliche meist nicht wüssten, was sie tun, sei das bei Erwachsenen anders, aber auch bei ihnen nehme Cybermobbing zu.

Anonymität im Netz macht Cybermobbing brutal

Laut einer aktuellen Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing sind 17 Prozent aller Jugendlichen schon Opfer gewesen und 19 Prozent Täter. Eine weltweite Studie von Microsoft gibt an, dass durchschnittlich 37 Prozent der befragten Jugendlichen schon von Cybermobbing betroffen waren, in Deutschland 39 Prozent der Kinder zwischen acht und 17 Jahren.

Generell sei das Cybermobbingopfer schwer belastet. Da beide Seiten anonym bleiben können, sieht der Täter die Reaktion des Opfers nur, wenn dieses das veranlasst. Der Täter kann unerkannt bleiben. "Im Internet ist die Hemmung Leid zu erzeugen nicht so stark gegeben, da man die Auswirkungen nicht direkt sieht", sagt Angela Ittel, Professorin für Pädagogische Psychologie an der TU Berlin. Zusätzlich sei die Brutalität erhöht, weil unberechenbar viele Menschen über das Internet involviert sind. Wenn nun das Opfer auch noch zum Täter werde, entstehe eine Gewaltspirale.

Opfer werden selbst zu Tätern

Ruth Festl forscht momentan an der Universität Hohenheim zu Cybermobbing. "Bisher wurden hauptsächlich psychologische Aspekte untersucht, wir möchten aber speziell auf die sozialen Aspekte bei Cybermobbing eingehen", sagt sie. In der Studie für Baden-Württemberg stellte sich heraus, dass ein Drittel aller Jugendlichen schon mit Cybermobbing konfrontiert waren. Innerhalb dieses Teils gebe es ein Drittel Opfer, ein Drittel Täter und ein Drittel Jugendliche, die sowohl Opfer als auch Täter seien.

Besonders die Gruppe der Täter-Opfer interessiert Festl. Diese sogenannten aggressiven Opfer, die sich eben auch wehren oder rächen, seien meist Hauptschüler. In einer Vorstudie ergab sich, sie seien relativ gut in ihre Klassen integriert, hätten viele Freunde, stünden aber auch häufig zwischen mehreren Parteien.

Erste Anlaufstelle: erwachsene Vertrauensperson

Lea gehört nicht zur Gruppe der Opfer-Täter. Weil sie an ihrer Realschule den Frieden wahren wollte, akzeptierte sie das Mobbing als dummen Streich. Zum Einen wollte sie keinen öffentlichen Konflikt, der ihrem veränderten Profil noch mehr Aufmerksamkeit beschert hätte, zum Anderen musste sie ihre Mitschülerinnen täglich sehen. Generell rät das Bündnis gegen Cybermobbing e.V. aber, alle Vorkommnisse öffentlich zu machen, um zu demonstrieren, dass sie nicht toleriert werden.

Deshalb sollten sich Opfer gleich Hilfe suchen, um so die richtige Lösung zu finden. Antworten oder zurückmobben wären kontraproduktiv. Sie sollten mit Lehrern und Eltern sprechen, rät Ittel. "Jugendliche können Cybermobbing nicht alleine stoppen, deshalb müssen sie sich an Erwachsene wenden." Auch sieht sie ein großes Potenzial in Gleichaltrigen, die das Mobbing mitbekommen. Sie kennen sich oft besser aus als Erwachsene, wodurch ihre Hilfe effektiver sein kann. Dazu müssten sie aber auch wirklich eingreifen.

Wissen die Eltern Bescheid, sollten sie auf keinen Fall das Internet oder Soziale Medien verbieten. "Man muss signalisieren, dass man die Not versteht und nicht in erster Linie die Nutzung des Netzwerkes in Frage stellen", sagt Ittel.

Netzwerke gehören zum Alltag dazu

Lea hat den direkten Weg gewählt und ihre ehemaligen Freundinnen nach ein paar Tagen mit ihrem Vorwurf konfrontiert. Die Übergriffe hörten auf. In Leas Kopf bleiben sie. "Ich schaue ständig in meine Netzwerke, um zu sehen, ob etwas geändert wurde." Seit dem Vorfall ist sie aber auch sorgsamer mit ihren Accounts: "Ich bin vorsichtiger mit meinen Passwörtern, bleibe bei anderen nicht mehr eingeloggt", sagt sie. Aus Netzwerken ganz abgemeldet hat sie sich aber nicht, sie verbinden sie schließlich mit ihren Freunden.