Neue Regeln in Deutschland Was gilt im Corona-Herbst?
Mehr Maske, weniger Alkohol - das ist nur ein Rezept gegen die steigenden Infektionszahlen. Welche weiteren Strategien gibt es - und wie geht Deutschland in den Corona-Herbst? Ein Überblick.
München, Würzburg, der Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg, Cloppenburg, Hamm, Remscheid - sie alle gehören in diesen Tagen zu den Corona-Hotspots in Deutschland. Sie bewegen sich rund um den kritischen Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche - oder liegen darüber. Die Folge: wieder schärfere Corona-Auflagen, wie etwa eine ausgeweitete Maskenpflicht, Alkoholverbote, Sperrstunden, strenge Kontaktbeschränkungen. Einige Bundesländer verhängten wieder Einreise- oder Beherbungsverbote für Menschen aus diesen Hotspots - pünktlich zur Herbstferienzeit.
Mediziner und Behörden erwarteten steigende Fallzahlen für den Herbst und Winter. Was folgt aus der Entwicklung? Ein Überblick:
Warum die Zahlen jetzt wieder steigen
Das Robert Koch-Institut meldet momentan zwischen 1500 und 2300 Neuinfektionen pro Tag. Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuansteckungen hatte Ende März/Anfang April bei mehr als 6000 gelegen. Dann war die Zahl in der Tendenz gesunken. Seit Juli/August steigt sie wieder. "Nach einer vorübergehenden Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau ist aktuell ein weiterer Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten", schreibt das RKI in seinem Lagebericht.
Ein Hinweis darauf, dass die Infektionslage wieder anzieht, ist auch, dass zuletzt ein größerer Anteil der Corona-Tests positiv ausfiel. Die sogenannte Positivenquote lag laut RKI-Lagebericht in der Woche vom 14. bis 20. September bei 1,19 Prozent (Vorwoche: 0,86). Das ist der höchste Wert seit mehr als zehn Wochen.
Zuletzt waren es vor allem Reiserückkehrer aus dem Ausland, die für viele Infektionen sorgten, inzwischen sank aber ihr Anteil deutlich. Mittlerweile gelten Feiern mit vielen Menschen vor allem in geschlossenen Räumen als große Infektionsquelle. So hatten sich in Hamm bei einer Hochzeitsfeier mehr als 80 Menschen infiziert. Enge, Tanzen, Alkohol, lautes Reden bei lauter Musik steigern das Risiko. "Gerade beim Feiern, bei Geselligkeit übertragen sich Viren generell, aber dieses Virus eben besonders deutlich schneller", mahnte Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich in der ARD.
Hinzu kommt ein gewisser Gewöhnungseffekt, der nachlässig werden lässt. Zumal "nur" die Infektionszahlen steigen, die Todesfälle aber bislang gering bleiben. Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser liegen derzeit nur knapp 300 Covid-19-Patienten. Im April waren es zeitweise zehn mal so viele. Insbesondere jüngere Menschen unterschätzen daher leicht die Gefahren, halten keinen Abstand oder verzichten auf eine Maske. Bei ihnen verläuft die Krankheit meist weniger schwer oder sogar komplett symptomfrei.
Höchste Achtsamkeit, lautet die Ansage aus der Bundesregierung. Deutschland sei "in einer Phase der Pandemie, in der sich entscheiden wird, wie wir in diese Winter- und Herbstmonate hineingehen", mahnt Regierungssprecher Steffen Seibert. "Wir haben es in der Hand, durch unser eigenes Verhalten." Und der Berliner Virologe Christian Drosten befürchtete bereits Mitte August: "Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns."
Tatsächlich hat die Pandemie zahlreiche Nachbarländer Deutschlands wieder fest im Griff. Lissabon, Dublin, Kopenhagen und Grenzgebiete in Tschechien und Österreich - die Bundesregierung erklärte zahlreiche Regionen in Europa zu Corona-Risikogebieten - wegen rasant steigender Infektionszahlen. Insgesamt sind damit 14 von 27 EU-Mitgliedstaaten zumindest teilweise wieder als Risikogebiete ausgewiesen.
Was die Politik tut
Mahnen, appellieren - und zum Urlaub in Deutschland aufrufen. Der Bundesregierung sind die Hände gebunden, seit sie im Mai den Ländern weitgehend freie Hand für die Corona-Maßnahmen gegeben hat. Die Folge ist ein Flickenteppich unterschiedlicher Regeln. Folge ist aber auch, dass die Länder je nach Infektionsgeschehen gezielt handeln können. Das sei hilfreich für die Akzeptanz von Maßnahmen, ist Gesundheitsminister Spahn überzeugt. Eine bundesweit verschärfte Maskenpflicht lehnt er daher im Interview mit den tagesthemen ab.
Angesichts der nun bundesweit steigenden Fallzahlen lud Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ministerpräsidenten der Bundesländer für Dienstag kommender Woche zu einem Krisentreffen ein. Auf der Videokonferenz soll die Corona-Politik abgestimmt werden. Dabei ist freilich nicht ausgeschlossen, dass einzelne Länder ausscheren, wie zuletzt Sachsen-Anhalt beim Bußgeld für Maskenverweigerer.
Für ein einheitliches Vorgehen in Deutschland sprach sich jüngst auch die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina aus. Bund und Länder sollten sich auf bundesweit verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln einigen und diese konsequenter als bisher um- und durchsetzen.
Anlaufstellen außerhalb der Arztpraxen
Der Begriff "Fieberambulanzen" machte jüngst Schlagzeilen als neue Idee aus dem Gesundheitsministerium - doch bei Nachfrage wurde schnell klar: So neu ist die Idee nicht. Schon im Frühjahr gab es Pilotprojekte, die nun bundesweit ausgebaut werden sollen. So will Minister Spahn das Gesundheitssystem auch für das erwartete Zusammentreffen von Pandemie und Grippesaison rüsten.
Fieberambulanzen sollen Anlaufstellen außerhalb der Arztpraxen sein, die Patienten mit typischen Symptomen eines Atemwegsinfekts aufsuchen können. Diese Anlaufstellen können auch Corona-Ambulanzen, Corona-Praxen und Corona-Sprechstunden heißen. Auch Testzentren etwa in Turnhallen könnten entsprechend ausgebaut werden. Das Ziel ist immer gleich: Hier sollen Menschen schnell Gewissheit über die Art des Infekts bekommen. Und: Die Patienten mit Covid-19-Symptomen sollen von anderen getrennt würden, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. Das Angebot soll von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgebaut werden.
Spahns Pläne sind auch Thema beim Krisengipfel von Bund und Ländern am Dienstag.
Neue Teststrategie
Bis Mitte Oktober soll eine neue Teststrategie vorliegen. Künftig sollen Tests stärker auf Risikogruppen, Bildungseinrichtungen und das Gesundheitswesen konzentriert werden - weniger auf Reiserückkehrer aus Nicht-Risikogebieten. Für sie gibt es seit Mitte bzw. Ende September keine kostenlosen Tests mehr.
Auch sollen künftig neben den üblichen Corona-Tests verstärkt Schnelltests eingesetzt werden - vor allem in Pflegeheimen und für Reisende. Sie sollen die bisherigen PCR-Tests ergänzen, von denen rund 1,1 Millionen pro Woche ausgewertet werden. Die Kapazität liege inzwischen bei 1,4 Millionen Tests, sagte ein Sprecher des Ministeriums.
Die so genannten Antigentests sind vergleichsweise schnell und unkompliziert. Anders als die üblicherweise durchgeführten PCR-Tests suchen Antigentests in Abstrich-Proben nicht aufwendig nach dem Erbgut des Virus, sondern nach Molekülen, die charakteristisch für die Viren sind. Ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest wird auf einem Teststreifen angezeigt, ob das gesuchte Molekül gefunden wurde und die Person positiv ist oder nicht.
In den vergangenen Wochen und Monaten wurden zahlreiche Antigentests entwickelt und erprobt - so etwa in der Berliner Charité. Die Ergebnisse sähen gut aus, sagte der dortige Virologe Christian Drosten kürzlich im NDR-Podcast. Etwa am Eingangstor von Seniorenwohnheimen könnten sie "unglaublich viel Gutes" bewirken: Harte Besuchseinschränkungen könnten so verhindert werden.
Zwar erkennen Antigentests eine Infektion insbesondere in den Anfangstagen und im späteren Verlauf deutlich weniger zuverlässig als die PCR-Methode. Doch die Ergebnisse der aufwendigeren und teureren PCR-Tests sind im Normalfall erst frühestens nach einem Tag verfügbar. Und: In der infektiösen Phase können die Schnelltests das Virus laut Drosten recht sicher erkennen - daher könnten sie ein schnelles und pragmatisches Verfahren darstellen, um zu erkennen, ob eine Person hochansteckend ist. An einigen deutschen Kliniken kommen die Schnelltests bereits zum Einsatz.
Zu Hause schnell den Test machen - das geht jedoch absehbar nicht. Da Covid-19 eine hoch ansteckende Krankheit ist, dürfen keine Heimtests für Laien verkauft werden. Infektionskrankheiten wie Covid-19 dürfen nur von Ärzten festgestellt werden.
Wie viele Schnelltests gebraucht werden und wie teuer sie sein werden, ist noch unklar. Denkbar ist, dass Privatpersonen Schnelltests selbst zahlen müssten, wenn sie etwa zu Fußballspielen, ins Theater oder zu einem Besuch in ein Pflegeheim gingen. Die Kosten könnten auch auf Tickets aufgeschlagen werden.
Auch die Reisebranche hofft auf Schnelltests. Denkbar ist zum Beispiel, dass sich Flugpassagiere vor Abflug testen lassen. Die Luftfahrtbranche befürwortet dies, weil sie hofft, dass diese Maßnahme den brach liegenden Flugverkehr wieder etwas beleben und die Quarantäneregeln ersetzen könnte. Die Lufthansa will im Oktober damit beginnen, Passagieren in den USA und Kanada Corona-Schnelltests zur Verfügung zu stellen. Die italienische Alitalia experimentiert bereits mit den Antigen-Tests auf einigen Flügen zwischen Mailand und Rom.
Strengere Kontrolle von Reisenden und digitale Anmeldung
Um falsche Angaben bei Einreisen aus Risikogebieten mit vielen Corona-Infektionen zu verhindern, soll die Bundespolizei sich künftig um die sogenannten Aussteigekarten kümmern. Sie müssen zum Beispiel Fluggäste ausfüllen und darin auch Angaben zu möglichen Corona-Symptomen machen. Wie das Bundesinnenministerium erklärte, soll die Polizei die Karten künftig mit den Pässen abgleichen und an die Gesundheitsämter weiterleiten. Bislang sollen Fluggesellschaften und Busanbieter die Formulare übermitteln. Da dabei in der Regel kein Abgleich stattfand, konnten Reisende, die sich einer Quarantäne entziehen wollten, einfach falsche Angaben machen.
Geplant ist auch weniger Zettelwirtschaft. So soll eine digitale Anmeldung für Einreisende aus Risikogebieten eingeführt werden, wie das Innenministerium erläuterte. Demnach erarbeiten beide Ressorts auch eine neue Musterquarantäneverordnung, die dann jeweils von den Ländern in eigener Verantwortung in Kraft gesetzt werden muss. "Die digitale Einreiseanmeldung wird aus diesem Grund ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt - am 15. Oktober - eingeführt", sagte ein Sprecher.
Nach dpa-Informationen erhält, wer seine Angaben in dem Portal eingibt, eine Bestätigung, die er bei einer Kontrolle - etwa am Flughafen durch die Bundespolizei - vorzeigen soll. Gleichzeitig gehen die Daten auch an das jeweils zuständige Gesundheitsamt. Wer seiner Verpflichtung zur Anmeldung nicht nachkommt, riskiert ein Bußgeld. Ausnahmeregelungen soll es weiterhin für Berufspendler und andere Reisende im sogenannten kleinen Grenzverkehr geben.
Um zu garantieren, dass alle Gesundheitsämter bis Mitte Oktober technisch in der Lage sein werden, die Daten auf einem sicheren Weg zu erhalten, soll es neben einer VPN-Tunnel-Lösung übergangsweise auch eine Möglichkeit zum Datenabruf von einem sicheren Portal der Deutschen Post geben.
Neue Quarantäneregeln
Ebenfalls zum 15. Oktober sollen auch überarbeitete Quarantäneregeln gelten. Demnach müssen Rückkehrer aus Risikogebieten zehn Tage lang in Isolation. Erst ab Tag fünf kann die Quarantäne vorzeitig beendet werden - mit einem negativen Coronatest. Ohne Test soll aber die volle Pflicht zur Selbstisolierung, also zwei Wochen Quarantäne, gelten. Das gilt nicht, wenn jemand nur durch ein Risikogebiet durchgereist ist und sich dort nicht aufgehalten hat. Das zuständige Gesundheitsamt überwacht die Quarantäneverpflichtung. Diese neuen Corona-Regeln waren am 27. August beim Bund-Länder-Treffen beschlossen worden.
Herbstferien - und nun?
Deutschland ist momentan quasi "umzingelt" von Risikogebieten. Es gelten entsprechende Reisewarnungen. Das schränkt die Möglichkeiten für einen unbeschwerten Herbsturlaub außerhalb Deutschlands stark ein. Die Reisen sind nicht verboten, aber sie bergen Infektionsrisiken und haben Folgen - siehe Quarantäneregeln.
Die Bundesregierung ruft daher zu Urlaub in Deutschland auf. Schließlich habe die vergangene Winter- und Sommersaison gezeigt, dass durch Reiserückkehrer Infektionen stärker nach Deutschland gekommen seien: "Ich finde, für den Herbst- und Winterurlaub sollten wir gemeinsam daraus lernen", sagte Gesundheitsminister Spahn.
Die Reisebranche sieht sich in einer Existenzkrise und spricht mit Blick auf die erneuten Reisewarnungen von einem "zweiten sektoralen Lockdown".
Was die Forschung sagt
Mit Blick auf die bevorstehenden kühleren Monate plädieren die Präsidenten von vier großen deutschen Forschungsorganisationen für konsequentes Masken-Tragen in Innenräumen. "Ein wesentlicher saisonaler Faktor wird in der nun folgenden kalten Jahreszeit das vermehrte Aufhalten in geschlossenen Räumen sein. Dem kann durch ein konsequentes Tragen von Masken entgegengewirkt werden", schreiben die Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft.
Für Herbst und Winter rückt zudem eine bessere Lüftung in geschlossenen Räumen in den Blick. "Denn wir wissen, dass Innenräume bei der Ausbreitung des Corona-Virus eine große Rolle gespielt haben und spielen", sagt Wolfgang Birmili, Innenraumhygiene-Experte des Umweltbundesamtes. In Schulen sollen flächendeckend Filteranlagen eingebaut werden, als Ergänzung oder Alternative zum Stoßlüften, etwa, wenn sich Fenster nicht öffnen ließen, wie es an einigen Schulen der Fall ist.
Untersuchungen des Instituts für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr in München kommen zu dem Schluss, dass Geräte zum Filtern von Luft sehr effektiv sein können. "Mithilfe der Filter werden indirekte Infektionen, die bei einer hohen Virenlast im Raum auftreten können, weitestgehend verhindert", sagte Institutsleiter Christian Kähler kürzlich der "Süddeutschen Zeitung". Sie könnten also einen guten Schutz in Schulen, Arztpraxen oder Büros bieten.