ARD-DeutschlandTrend Wirtschaftsaufschwung weckt Begehrlichkeiten
Die Deutschen glauben mehrheitlich, dass die wirtschaftliche Lage gut ist. Zugleich wächst auch der Wunsch, durch Lohnerhöhungen oder Steuerentlastungen zu profitieren. Das zeigt der neue DeutschlandTrend für die Tagesthemen. Die Regierung profitiert kaum von den guten Zahlen.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Der Rettungsfallschirm der Bundesregierung scheint sich geöffnet zu haben - der Absturz der letzten Monate ist gestoppt. Die Union, die seit Jahresbeginn schrittweise von 36 auf 31 Prozent abgestürzt war, gewinnt nun wieder einen Punkt hinzu und klettert auf 32 Prozent. Auch wenn es diesen Monat nicht weiter runter geht, endgültig gerettet ist die Bundesregierung nicht. Der Koalitionspartner FDP liegt bei fünf Prozent. Zusammen macht das für das Regierungsbündnis, das bei der Bundestagswahl vor einem Jahr noch über 48 Prozent der Stimmen holte, magere 37 Prozent. Das sind die Ergebnisse des aktuellen ARD Deutschlandtrends, für den Infratest dimap von Montag bis Mittwoch dieser Woche zweitausend Telefoninterviews durchgeführt hat. Mit einer etwas vergrößerten Stichprobe in Bayern lässt sich diesmal auch der Stimmanteil für die CSU bestimmen: Wie bei der Bundestagswahl liegt sie bundesweit bei 6,5 Prozent, während die große Parteischwester CDU auf 25,5 Prozent kommt - sie hat gegenüber der Bundestagswahl einen knappen Punkt verloren. Der Löwenanteil der Verluste geht auf das Konto der FDP, die 2009 auf 14,6 Prozent kam und gegenwärtig nur noch etwa ein Drittel des damaligen Stimmanteils erreicht.
Aufstieg der SPD gebremst
Bei den Oppositionsparteien wurde der Aufstieg der SPD diese Woche gebremst. Sie fällt um einen Punkt gegenüber dem Vormonat zurück und steht nun wieder bei 30 Prozent. Unverändert sind die Grünen mit 17 und die Linke mit zehn Prozent.
Trotz der kleinen Ergebniskorrektur zugunsten der Union bleibt die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung gewaltig. Nur 18 Prozent der Befragten erklären sich zufrieden mit der Regierungsarbeit (+ 2 gegenüber August), 81 Prozent (- 2) geben sich unzufrieden. Die Gründe dafür können die Befragten recht klar benennen. Ganz oben steht die große Unklarheit über die politischen Ziele. 70 Prozent erklären, es sei nicht erkennbar, was die Bundesregierung eigentlich wolle. Hinzu kommt eine gefühlte soziale Schräglage: 66 Prozent erklären, die Bundesregierung kümmere sich nicht um die Interessen der kleinen Leute. Hinzu kommt der ständige Streit in der Bundesregierung, den 63 Prozent als Grund ihrer Unzufriedenheit benennen.
Merkel und Steinmeier im Aufwind
Bundeskanzlerin Angela Merkel kann sogar Boden gut machen. Sie hat gegenüber dem Vormonat in der persönlichen Wertung die höchsten Zugewinne, legt von 41 Prozent Zustimmung auf jetzt 48 Prozent zu und rangiert nun wieder auf Platz 5 in der Liste der wichtigsten Spitzenpolitiker. Ganz oben steht weiterhin Verteidigungsminister zu Karl-Theodor zu Guttenberg (65 Prozent). Der Gewinner des Monats ist SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der mit 55 Prozent Zustimmung den besten Wert seit seinem Ausscheiden aus dem Außenministerium erzielt. Steinmeier hatte für Schlagzeilen gesorgt, als er seiner Ehefrau eine Niere spendete. Das dürfte ein wichtiger Grund für seine gewachsene Popularität sein. Immerhin steht er nun vor der populären Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (53 Prozent) und Finanzminister Schäuble (49 Prozent).
Noch bemerkenswerter ist allerdings ein anderes Resultat, das Steinmeier erzielt: Wenn jetzt eine Wahl anstünde und man den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen könnte, würde Steinmeier erstaunlich nah an die amtierende Kanzlerin Merkel heranrücken. 41 Prozent würden sich für Merkel entscheiden, 38 Prozent für Steinmeier - so eng war das Rennen zwischen den beiden im Wahlkampf 2009 zu keinem Zeitpunkt. Bei der gleichen Fragestellung schneidet SPD-Parteichef Sigmar Gabriel deutlich schwächer ab. Bei dieser Alternative würden 45 Prozent Merkel wählen, aber nur 33 Prozent Gabriel.
Westerwelle bleibt Schlusslicht
Schlusslicht beim politischen Spitzenpersonal ist erneut FDP-Chef Guido Westerwelle, der mit nun nur noch 19 Prozent Zustimmung den schlechtesten Wert überhaupt im ARD-Deutschlandtrend erzielt. Seit August 1999 werden seine Werte gemessen. Auffällig ist, dass nun auch die ohnehin schmale eigene Parteibasis ihm die Sympathien entzogen hat. Auch die FDP-Anhänger sind nun mehrheitlich unzufrieden mit Westerwelles Arbeit. Zuletzt war er wenigstens in dieser Gruppe mehrheitlich positiv beurteilt worden. Das Schicksal teilt er übrigens mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, den jetzt auch eine Mehrheit der FDP-Anhänger negativ bewertet.
Röttgen punktet durch Atompolitik
In vielen kleinen Schritten hat in den letzten Monaten einer seiner Popularität gesteigert, der im Moment für ein höchst umstrittenes Thema steht: Umweltminister Norbert Röttgen, der die Atompolitik der Union zu vertreten hat. Mit einer Zustimmung von 45 Prozent (+ 3) steht er knapp hinter der Kanzlerin. Die Sachfragen, die wir zur Atompolitik gestellt haben, geben einen Hinweis, warum seine Unterstützung wächst.
Am Sonntag hatte Bundeskanzlerin Merkel im "Bericht aus Berlin" angekündigt, dass sie von einer Verlängerung der Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke von zehn bis 15 Jahren ausgehe. Diese Position wird von den Befragten mehrheitlich abgelehnt. Nur 37 Prozent fänden einen solchen Schritt richtig, 59 Prozent lehnen ihn ab. Unsere Befragung zeigt aber auch, dass die Zustimmung zum Energiekonzept der Bundesregierung am Ende stark davon abhängen wird, wie die Rahmenbedingungen aussehen. Wenn etwa ein wesentlicher Teil der zusätzlichen Gewinne der Stromkonzerne für den Ausbau erneuerbarer Energien eingesetzt würde, wären nicht 37 sondern 73 Prozent mit einer Laufzeitverlängerung einverstanden. Andere Argumente wirken weit weniger stark. Wenn es durch eine Laufzeitverlängerung mehr Arbeitsplätze in Deutschland gäbe, läge die Zustimmung bei 59 Prozent. Wenn die Strompreise dadurch sinken würden, läge sie bei 57 Prozent. Der von Umweltminister Norbert Röttgen favorisierte Weg, die Laufzeit nur wenig zu verlängern, dafür aber die Stromkonzerne zur Kasse zu bitten, könnte am Ende auch in der Bevölkerung mehrheitsfähig sein.
Wunsch vom Aufschwung zu profitieren
Auch in dieser Woche setzen sich die positiven Meldungen aus der Wirtschaft fort. Mit 44 Prozent der Befragten schätzt nun fast die Hälfte die gegenwärtige wirtschaftliche Lage als "gut" ein. Aber daran knüpfen sich auch Forderungen. Anders als im Aufschwung der Jahre 2006 bis 2008 erwartet eine Mehrheit, dass Löhne und Gehälter deutlich steigen und dadurch auch die Beschäftigten mehr vom Aufschwung haben. 65 Prozent vertreten die Position, dass "die Arbeitnehmer durch Lohnerhöhungen stärker am Aufschwung beteiligt werden sollten". Eine Minderheit von 30 Prozent ist der Ansicht, "zu deutliche Lohnerhöhungen könnten den Aufschwung gefährden". Auffällig ist, dass sich dieses Meinungsbild je nach Parteianhängerschaft kaum unterscheidet. Selbst unter den FDP-Anhängern gibt es eine deutliche Mehrheit für spürbare Lohnerhöhungen.
Unterstützung für Steuersenkungen und Spitzensteuersatz
Und zwei weitere politische Forderungen der letzten Wochen scheinen mehrheitsfähig zu sein. 55 Prozent der Befragten wünschen sich, dass bei höheren Steuereinnahmen durch den Aufschwung dieses Geld für Steuersenkungen eingesetzt werden sollte. 43 Prozent sehen das nicht so. Noch etwas deutlicher ist die Mehrheit für den Plan der Sozialdemokraten, den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent zu erhöhen, diesen aber dann erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro greifen zu lassen. 66 Prozent unterstützen die SPD-Pläne, 31 Prozent lehnen sie ab. Auch unter Unions-Anhängern findet dieser Vorschlag eine Mehrheit.
So populär diese Forderung auch sein mag, der SPD muss sie politisch nicht unbedingt nützen. So wie auch bei der Rente mit 67 sprechen sich die Sozialdemokraten auch beim Spitzensteuersatz dafür aus, Veränderungen rückgängig zu machen, die sie selbst als Regierungspartei vorgenommen haben. 67 Prozent der Befragten erklären, sie fänden es "unglaubwürdig, dass die SPD jetzt Entscheidungen rückgängig macht, die sie in der Regierung selbst getroffen hat". Bei der Frage, ob die SPD mittlerweile wieder regierungsfähig sei, ist das Meinungsbild gespalten. 46 Prozent stimmen zu, 46 Prozent lehnen ab. Man sieht an diesen Zahlen: Die anhaltende Krise der Bundesregierung hat eben nicht den Sozialdemokraten, sondern vor allem den Grünen einen politischen Höhenflug beschert.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 12. bis 13. Oktober 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte