DeutschlandTrend

ARD-DeutschlandTrend Dezember 2007 81 Prozent spüren Aufschwung nicht

Stand: 06.12.2007 23:02 Uhr

Mag die Kanzlerin auch verkünden, der Aufschwung komme bei den Menschen an: Die Bürger spüren das noch nicht. Die Ergebnisse des ARD-DeutschlandTrends vom Dezember zeigen: Eine große Mehrheit der Deutschen hat nicht das Gefühl, von der Konjunktur zu profitieren. Auch deswegen erweist sich der Mindestlohn als populär - und die Rente mit 67 als zunehmend unbeliebt.

Von Jörg Schönenborn, WDR

Es ist schon erstaunlich: Da haben sich die beiden großen Parteien auf ihren Parteitagen in diesem Herbst die Köpfe heiß geredet. Und sie haben versucht, ihre Positionen so zu definieren, dass sie im Januar möglichst vielen Wählern gefallen. Dabei wäre das gar nicht so schwer. Der neue ARD-DeutschlandTrend zeigt scharf und glasklar, was die Deutschen wollen: immer mehr den Mindestlohn. Und er zeigt, was sie nicht wollen: die Rente mit 67. Vor allem aber wollen sie endlich etwas abbekommen vom großen Kuchen des Aufschwungs, von dem im politischen Berlin täglich die Rede ist.

Doch dieser Aufschwung ist bisher ganz eindeutig nicht bei den Menschen angekommen – auch wenn das in Parteitagsreden anders klingt. 81 Prozent der Deutschen haben das Gefühl, dass sie nicht vom Wachstum profitieren. Das Erstaunliche daran: Je länger der Boom dauert, desto stärker wird dieses Gefühl. Im Juli waren es immerhin noch 30 Prozent, die sich auf der wirtschaftlichen Gewinnerseite einordneten. Jetzt sind es nur noch 18 Prozent.

Wähler warten noch auf den Aufschwung

Zu den wesentlichen Ursachen für diese Entwicklung gehört ganz offensichtlich die Preisentwicklung. Die Inflationsrate liegt offiziell um die drei Prozent. Gefühlt ist sie höher. Praktisch alle Befragten wollen in irgendeiner Weise ihr Verhalten ändern, um weniger Geld auszugeben.

Nur die Wege zu diesem Ziel sind unterschiedlich. Rund zwei Drittel achten beim Lebensmitteleinkauf stärker auf die Preise als früher. Und jeweils rund die Hälfte will sich einen billigeren Stromanbieter suchen, weniger Geld für Weihnachten ausgeben oder auf längst geplante Anschaffungen verzichten. Das wird vor allem der Handel nicht gerne hören – Weihnachtsstimmung sieht anders aus.

Große Zustimmung zum Mindestlohn

Wahrscheinlich kann man nur vor diesem Hintergrund wirklich verstehen, dass zwei große politische Streitfragen, um die die Parteien gegenwärtig ringen, aus Wählersicht ganz klar zu beantworten sind. Zum einen: Die Deutschen wollen immer mehr den Mindestlohn. Über 80 Prozent halten dessen Einführung im Postdienst für richtig. Fast genauso viele wollen, dass er auf andere Branchen ausgedehnt wird. Und dabei spielt auch keine Rolle, dass zwei Drittel der Befragten fest davon ausgehen, dass sich viele Unternehmen an Tarif- und Gesetzesvorgaben gar nicht halten werden. Der Mindestlohn ist die lauteste Antwort auf den immer noch schallenden Ruf nach mehr Gerechtigkeit.

Zum anderen ist da die Rente mit 67. Die Sozialdemokraten hat der Mut ja schon verlassen. SPD-Chef Beck hatte auf dem Parteitag angekündigt, dass sie zumindest teilweise abgemildert werden soll. Die Kanzlerin will durchhalten, die CDU steht zur Rente mit 67 – noch. Ihre Anhänger tun das nämlich nicht. 84 Prozent der Unionswähler wollen, dass die Rentenregelung wieder aufgemacht wird. Manche fordern das nur für einzelne Berufsgruppen (50 Prozent), andere wollen ganz zurück zu einer niedrigeren Altersgrenze (34 Prozent). Mit ihren 84 Prozent Ablehnung liegen die Unionswähler nur knapp unter dem Durchschnitt. In allen anderen politischen Lagern ist das Votum mit 90 Prozent oder mehr gegen den späten Renteneintritt allerdings noch deutlicher.

Die Opposition dankt

Politisch profitiert von dieser Stimmung naturgemäß die Opposition. Linke (11 Prozent), Grüne (9 Prozent) und FDP (9 Prozent) legen in der Sonntagsfrage gegenüber dem Vormonat jeweils einen Punkt zu, die Union ist mit 40 Prozent stabil und bei der SPD schmelzen die mageren Zuwächse aus der Parteitagswoche dahin. Sie steht wieder bei 28 Prozent (minus zwei). Rein rechnerisch ergibt sich daraus zwar eine hauchdünne schwarz-gelbe Mehrheit, aber solche Zahlenspiele sind mit Vorsicht zu genießen.

Denn die Bereitschaft der Befragten, überhaupt eine Parteipräferenz anzugeben, ist zur Zeit relativ gering. Ein Drittel kann oder will sich nicht entscheiden. Vor allem ehemalige SPD-Wähler geben an, entweder gar nicht zur Wahl gehen zu wollen oder im Moment unentschlossen zu sein. Das Potenzial der sogenannten "Stand-by-Wähler" dürfte bei einer tatsächlich stattfindenden Wahl zumindest in Teilen reaktivierbar sein. Die SPD würde dann also vermutlich doch mehr auf die Waage bringen als 28 oder 30 Prozent.

Unzufriedene Sozialdemokraten

Allerdings ändert das nichts daran, dass in Zeiten der Großen Koalition für wirtschaftliche und soziale Missstände weniger die Union als vielmehr die SPD abgestraft wird. Während die Unionsanhänger mehrheitlich (70 Prozent) mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sind, sind die SPD-Anhänger mehrheitlich (65 Prozent) unzufrieden. Das erklärt sich zumindest zum Teil durch den Kanzlerinnen-Bonus. Angela Merkel hat zwar messbar an Zustimmung verloren. Nur noch 66 Prozent sind mit ihrer politischen Arbeit zufrieden (minus sechs), aber das ist immer noch ein Wert, von dem Gerhard Schröder nur träumen konnte.

Der SPD-Vize und Bundesaußenminister Steinmeier liegt jetzt mit der Kanzlerin gleichauf und führt mit ihr zusammen die Hitliste an. Kein Sozialdemokrat ist so populär wie er. Aber er genießt eben als Außenminister ein besonderes Privileg: Er ist für keine der Miseren, die die Menschen im Land beklagen, politisch verantwortlich. Und schon gar nicht kommt ein Außenminister in die Gefahr, überprüfbare politische Versprechen abzugeben, die er später nicht halten kann.

Steinmeier deutlich populärer als Beck

Unter den SPD-Größen liegt Kurt Beck nach Steinmeier, Finanzminister Steinbrück und Umweltminister Gabriel nur auf Rang vier der Popularitätsskala. Die Machtfrage innerhalb der SPD mag ja entschieden sein. Aus Sicht der Wähler und SPD-Anhänger ist die K-Frage offen. Bei der sogenannten Direktwahlfrage schneidet Steinmeier ein ganzes Stück besser ab als Beck, und auch im Lager der SPD-Anhänger hat er die größere Unterstützung.

Für die anstehenden Landtagswahlen ist die Union aus demoskopischer Sicht sicher besser gerüstet als die SPD. Inhaltlich führt ihre Neupositionierung allerdings dazu, dass diese beiden Parteien noch weniger als bisher zu unterscheiden sind. 53 Prozent der Befragten im DeutschlandTrend halten die Politik der beiden Volksparteien für verwechselbar. Noch deutlicher fällt dieser Wert mit 64 Prozent ausgerechnet in der Gruppe der Unentschiedenen aus – unter jenen Wählern also, die in den bevorstehenden Wahlkämpfen mobilisiert und überzeugt werden müssen. Für die Parteien der Großen Koalition ist da offenbar Profilierung angesagt.

Untersuchungsanlage DeutschlandTrend
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 3. bis 4. Dezember 2007
Sonntagsfrage: 3. bis 5. Dezember 2007
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte