ARD-DeutschlandTrend Die Krisenangst greift um sich
Schlechte Noten bekommt die schwarz-gelbe Regierung für ihren Umgang mit der europäischen Schuldenkrise. So das Stimmungsbild im aktuellen DeutschlandTrend. Inzwischen machen sich die Befragten auch Sorgen um die eigenen Ersparnisse - und trauen der Politik nicht mehr zu, die Finanzmärkte in den Griff zu bekommen.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Weit mehr als die Finanzkrise im Herbst 2008 macht die aktuelle Schuldenkrise den Deutschen große persönliche Sorgen. 54 Prozent der Befragten im aktuellen ARD-DeutschlandTrend rechnen damit, dass ihr Lebensstandard in den nächsten Jahren sinkt. Ganze neun Prozent glauben, dass er steigen wird. Dies ist das erste Mal überhaupt im ARD-DeutschlandTrend, dass mehr als die Hälfte der Befragten die eigene wirtschaftliche Zukunft pessimistisch beurteilen. Der Grund liegt nicht nur in der ungewissen Zukunft unserer Währung, des Euro. Hinzu kommt eine regelrechte Erosion des Vertrauens in die Bundesregierung, deren Krisenmanagement überwiegend negativ beurteilt wird. Das führt zu neuen Tiefpunkten in der Bewertung von Kanzlerin und Koalition.
In unserer Umfrage, durchgeführt von Infratest dimap am Dienstag und Mittwoch dieser Woche, sank die Zustimmung zur Arbeit der Bundesregierung auf 20 Prozent ab, sechs Punkte weniger als im Vormonat. Schon der erste gemessene Wert nach Antritt der neuen Regierung Anfang Dezember war mit 33 Prozent eher bescheiden. Seitdem geht es fast ungebremst nach unten. Seit November 2006 ist eine Bundesregierung nicht mehr so schlecht beurteilt worden.
Unmut über Schwarz-Gelb
Die Krise der Koalition ist zugleich die Krise der Kanzlerin. Ganze zehn Punkte an Zustimmung verliert sie diesen Monat für ihre Arbeit – nur noch 48 Prozent sind zufrieden mit der Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch für sie ist das der schlechteste Wert seit Herbst 2006. Damit rutscht sie in der Politiker-Rangliste auf Platz 3 hinter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (61 Prozent unverändert) und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (50 Prozent, -4). Merkel ist nun auf Augenhöhe mit Finanzminister Wolfgang Schäuble, der nur noch einen Punkt hinter ihr liegt bei 47 Prozent (-4). Weiter am Ende der Tabelle steht unter 13 abgefragten Spitzenpolitikern FDP-Parteichef Guido Westerwelle mit unverändert 24 Prozent Zustimmung.
Seit Anfang Mai wird in Berliner Regierungskreisen hinter vorgehaltener Hand immer offener über Alternativen zur jetzigen Koalition gesprochen. Für die meisten Deutschen ist Schwarz-Gelb schon fast abgehakt. 58 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass angesichts der Schuldenkrise eine Große Koalition besser für die Bundesrepublik wäre. Nur noch eine Minderheit von 22 Prozent ist stattdessen der Ansicht, Schwarz-Gelb solle die Arbeit fortsetzen. Wie tief der Unmut unter Unionswählern über die Berliner Verhältnisse mittlerweile ist, zeigt deren Haltung zu dieser Frage: Auch hier ist eine Mehrheit von 55 Prozent der Wechsel in eine Große Koalition lieber als ein Weiter so.
Grüne und die Linke profitieren
Natürlich hinterlassen diese Werte Spuren in der Sonntagsfrage. Union und FDP kommen zusammengerechnet gerade noch auf 40 Prozent - weit entfernt von einer Regierungsmehrheit. CDU/CSU stehen aktuell bei 33 Prozent - nach 35 Prozent vor einem Monat und 32 Prozent Mitte Mai, in der Woche nach der Landtagswahl in NRW. Die SPD kann von der Schwäche der Bundesregierung weiterhin kaum profitieren: Sie rangiert bei 27 Prozent (+1 gegenüber dem Vormonat, -1 gegenüber der Monatsmitte). Dafür schweben die Grünen mit 16 Prozent weiterhin auf der Stimmungswolke (+-0 bzw. -1) und auch die Linke liegt mit 11 Prozent (+1 bzw. +-0) gut im Feld. So richtig in der Krise stecken dagegen die Freien Demokraten - nicht nur in der Sonntagsfrage, sondern auch mit ihrem Image. Schon in der Monatsmitte waren sie von acht auf sieben Prozent weiter abgerutscht. Dort verharren sie jetzt - der schwächste Wert seit Januar 2006 und weniger als die Hälfte des Bundestagswahlergebnisses vom September.
Wie tief die Partei in der Krise steckt, zeigt der Blick auf die Wählerpotenziale der einzelnen Parteien. Damit ist der Anteil der Wahlberechtigten gemeint, der sich unabhängig von der aktuellen politischen Situation in den nächsten Jahren durchaus vorstellen könnte, eine Partei zu wählen. Dieses Potenzial lag für die FDP im Januar 2009 nach vielen Landtagswahlerfolgen bei 41 Prozent. Anfang dieses Jahres, kurz nach dem Start der Koalition, war es bereits auf 35 Prozent gesunken. Jetzt ist es auf nur noch 26 Prozent geschrumpft. Die genau gegenteilige Entwicklung gibt es bei den Grünen, deren Potenzial wächst von 39 Prozent Anfang 2009 auf heute 46 Prozent. Keine großen Veränderungen gibt es hingegen bei den anderen Parteien. Das Potenzial der SPD liegt bei 57 Prozent, das der Union bei 51 Prozent und das der Linken bei 22 Prozent.
Steuersenkungspläne haben FDP geschadet
In der Sache hat der breite Vertrauensverlust der FDP vor allem mit dem monatelangen Festhalten an Steuersenkungen zu tun. Selbst im harten Kern der jetzt noch verbliebenen FDP-Anhänger sind 76 Prozent der Ansicht, die FDP habe da etwas gefordert, was nicht zu finanzieren sei. Die Zahl für die Befragten insgesamt liegt bei 77 Prozent. Andere Urteile der Deutschen über die FDP: 73 Prozent glauben, Guido Westerwelle habe seiner Partei in letzter Zeit "mehr geschadet als genutzt", 69 Prozent kritisieren, die FDP kümmere sich "zu stark um die Interessen bestimmter Wählergruppen". Und nur 26 Prozent finden, die FDP habe "trotz aller Kritik in der Regierung gute Arbeit gemacht". Wenigstens in diesem Punkt sind die treu verbliebenen FDP-Wähler anderer Ansicht: Sie bewerten die Arbeit der eigenen Partei immerhin zu 81 Prozent positiv.
Mehrheit ist gegen europäischen Rettungsschirm
Das entscheidende Thema der letzten Wochen und der wichtigste Grund für die Vertrauenskrise der Bundesregierung sind die europäischen Staatsschulden und die Rettungsbemühungen für den Euro. Bis zum Nachmittag des 9. Mai, des Wahltags in NRW, rechnete die Öffentlichkeit mit gut 20 Milliarden Euro Bürgschaften für die griechischen Staatsschulden. Seither ist von einem gesamteuropäischen Rettungsschirm die Rede, an dem sich allein Deutschland mit Bürgschaften in Höhe von 120 bis 150 Milliarden Euro beteiligen muss. Fast zwei Drittel der Deutschen, 64 Prozent, halten diesen neuen großen Rettungsschirm für falsch.
Allein unter den Grünen-Anhängern überwiegt die Zustimmung, in allen anderen Partei-Lagern wird das entsprechende Gesetz abgelehnt. Und vor allem daraus leitet sich die Beurteilung der Regierungsarbeit in der Krise ab: Nur 34 Prozent sind der Ansicht, die Bundesregierung habe bislang "die richtigen Entscheidungen getroffen". Und 47 Prozent attestieren der Bundesregierung, sie habe "in der Euro-Krise schnell und entschlossen gehandelt". Allerdings: Bei genau der gleichen Frage stellten im November 2008 bezogen auf die Finanzkrise immerhin 75 Prozent der damaligen Regierung ein positives Attest aus.
Befragte machen sich Sorgen um ihre Ersparnisse
Zugespitzt heißt das Urteil der Wähler also: Die Finanzkrise hat die Regierung noch ganz gut gemanagt, bei der Euro-Krise aber nicht die richtigen Entscheidungen getroffen. Stattdessen wird im ARD-DeutschlandTrend regelrecht die Hilflosigkeit deutlich, die die Deutschen gegenüber der neuen Krise empfinden: "Die Politik kann sich gegenüber den Finanzmärkten ohnehin nicht mehr durchsetzen", meinen 74 Prozent.
Und genau an dieser Stelle entwickelt sich aus dem Urteil über die Politik eine ganz persönliche Sorge: Zwei Drittel der Befragten, 67 Prozent, machen sich Sorgen um die eigenen Ersparnisse. Diese Frage stellen wir seit Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 und es ist mit Abstand der höchste gemessene Wert. 40 Prozent erklären, sie fühlen sich mittlerweile auch persönlich von der Krise betroffen – auch dies etwas mehr als in der Finanzkrise. Und für die Stimmung im Land ganz entscheidend: 75 Prozent rechnen damit, dass der "schlimmste Teil der Krise" noch bevorsteht.
Und Hoffnung ist weit und breit nicht in Sicht – schon gar nicht mit Blick auf die politische Opposition. Denn nur ganze 19 Prozent glauben, dass "eine SPD-geführte Regierung die Dinge jetzt in der Krise besser machen würde".
Auch FDP-Wähler erwarten Steuererhöhungen
Verglichen mit diesen Sorgen ist das monatelange Thema Steuern fast in den Hintergrund getreten, und dies, obwohl Anfang Juni die Regierungskoalition ein Sparpaket auf den Weg bringen muss, um die Vorgaben der Schuldenbremse im Haushalt 2011 einzuhalten. Die Befragten machen sich wenig Illusionen über das, was bevorsteht. Ganze 29 Prozent glauben, dass der erforderliche Betrag von zehn bis fünfzehn Milliarden allein durch Einsparungen aufzubringen sei. Die ganz große Mehrheit, 64 Prozent, kommt zu der Einschätzung, dass Steuererhöhungen notwendig sein werden. Diese Ansicht zieht sich durch die Anhängerschaften aller Parteien. Selbst FDP-Wähler glauben mehrheitlich, dass Steuererhöhungen nötig sind. Trotzdem kommt es darauf an, dass an der richtigen Stelle gespart bzw. nicht gespart wird. In einer offenen Frage wollten wir wissen, welche gesellschaftlichen Bereiche von den Sparmaßnahmen auszuklammern sind. 59 Prozent nennen dabei die Ausgaben für Schulen, Hochschulen und Bildung. Mit weitem Abstand folgt das Gesundheitswesen (20 Prozent).
Es ist Frühling im Kalender, aber die politische Stimmung fühlt sich an wie im Herbst. Und angesichts der notwendigen finanzpolitischen Entscheidungen ist eine Trendwende nicht in Sicht.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 25. bis 26. Mai 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 25. bis 26. Mai 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte
Zusatzfrage Nordrhein-Westfalen: 750 Befragte
Erhebungszeitraum: 26. Mai 2010
Fehlertoleranz: 1,5 bis 3,5 Prozentpunkte