ARD-DeutschlandTrend Die Deutschen stehen fest zum Euro
Die Stimmung in Deutschland ist geprägt von der Sorge um die Wirtschaftslage und die Währung. Davon profitiert Kanzlerin Merkel. 70 Prozent der Deutschen sagen, dass die Rettung des Euro bei ihr in guten Händen sei. Und diese Währung will die klare Mehrheit der Deutschen nicht verlieren.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Es ist Sommer in Deutschland, aber weit und breit ist kein Sommerloch in Sicht. Während früher in diesen Wochen innerparteiliches Gezänk oder eine originelle, aber abwegige Gesetzesidee die politische Stimmung kurzfristig beeinflussen konnten, ist sie nun im vierten Krisensommer geprägt von einem Megathema: Der Sorge um Wirtschaftslage, Arbeitsplatz und die eigene Währung.
Und davon profitiert eine Frau, die wie sonst nur der Bundespräsident über die politischen Lagergrenzen hinweg Zustimmung und Respekt genießt. 70 Prozent der Deutschen haben das Gefühl, dass die Rettung des Euro bei Angela Merkel in guten Händen ist. Das Erstaunliche dabei: 70 Prozent der Grünen-Anhänger und sogar 75 Prozent der SPD-Anhänger teilen dieses positive Urteil.
Auch wenn Merkel vielfach nicht als klassische Parteipolitikerin wahrgenommen wird, bringt das der Union natürlich Rückenwind in der Sonntagsfrage. Gegenüber Anfang Juli können CDU und CSU einen Punkt zulegen und stehen nun bei 36 Prozent. Die SPD verliert zwei Punkte und erreicht nur noch 28 Prozent. Geringe Veränderungen bei allen anderen Parteien: Die Grünen stehen bei 13 (-1), die Piraten bei acht (+1), die Linke bei sechs (-1) und die FDP bei fünf (+1) Prozent.
Keine Regierung gegen die Union
Gegen die Union ließe sich auf Basis dieser Zahlen keine Regierung bilden. Rot-Grün ist weit von einer Mehrheit entfernt und selbst in einer hypothetischen Ampel zusammen mit der FDP reichte es für die drei Parteien nicht. Sollte die Bundestagswahl tatsächlich so ausgehen, müsste die Union die Entscheidung treffen zwischen einer großen Koalition und einem schwarz-grünen Bündnis. Das Urteil der Wähler in diesem Fall ist klar: 64 Prozent bevorzugen in diesem Fall die große Koalition, nur 28 Prozent votieren für ein Bündnis der Union mit den Grünen.
Aber Achtung: In den drei Jahren seit der vergangenen Wahl haben sich die Mehrheitsverhältnisse so häufig und so rasant geändert wie niemals zuvor. Es kann also noch viel passieren in den verbleibenden 13 Monaten - zumal das politische Schicksal der Piraten völlig offen ist.
Nur jeder Dritte will die D-Mark wieder
Wird sich die wirtschaftliche Lage verschlechtern?
Die Stimmung im Land ist geprägt von Sorge. Noch wird die wirtschaftliche Lage zwar als relativ gut beurteilt. Mehr als die Hälfte der Deutschen, 56 Prozent, sind allerdings der Ansicht, dass sie sich im Lauf des nächsten Jahres verschlechtern wird. Einen vergleichbar hohen Wert haben wir nur zu Beginn der Finanzkrise im Sommer 2008 gemessen.
84 Prozent sind der Überzeugung, dass der schlimmste Teil der Eurokrise noch bevorsteht. Dabei stehen die Deutschen - auch, wenn einzelne Umfrageschlagzeilen gelegentlich einen anderen Eindruck erwecken - weiterhin fest zum Euro. 76 Prozent glauben, "das Zerbrechen des Euro wäre für die deutsche Wirtschaft schwer zu verkraften". Und knapp zwei Drittel (64 Prozent) sind überzeugt, dass der Euro "die gegenwärtige Krise überstehen und auch in einigen Jahren noch existieren wird". Deshalb, so sagen 56 Prozent, sollte die Bundesregierung "alles tun, um den Euro zu retten".
Keine Spielregeln für den Euro festgeschrieben
Bei Umfragen zum Euro kommt es auf die Feinheiten an. Je nach Wortwahl und Formulierung fallen die Ergebnisse sehr unterschiedlich aus. So sind zwar 51 Prozent der Ansicht, "die Bundesrepublik hätte besser die D-Mark behalten sollen als den Euro einzuführen". Dahinter steckt offenbar die Erkenntnis, dass die Spielregeln für die gemeinsame Währung nicht wirklich festgeschrieben wurden. Trotzdem glauben nur 34 Prozent, dass es in der jetzigen Situation besser wäre, "schnell die D-Mark wieder einzuführen, als jahrelang um den Euro zu kämpfen".
Die Situation ist für viele Menschen nicht nur geprägt von dem Gefühl, dass Dinge, die gestern absolut gewiss waren, heute völlig offen sind. Sie haben auch Probleme, genau zu verstehen, welche Wege heraus aus der Krise gegenwärtig diskutiert werden und welchen Argumenten man folgen kann. Langfristige Grundstimmungen prägen das Bild, nicht aktuelle Einschätzungen.
So haben wir zum Beispiel danach gefragt, ob die Europäische Zentralbank sich allein auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren sollte, oder - wie in diesen Tagen vor allen Dingen von südeuropäischen Ländern gefordert - Staatsanleihen hochverschuldeter Länder aufkaufen sollte. 45 Prozent trauen sich bei dieser Fragestellung kein Urteil zu.
39 Prozent wollen, dass sich die EZB weiterhin allein um stabile Preise kümmert. Zwölf Prozent halten auch den Kauf von Staatsanleihen für die Aufgabe der EZB. Hinter dem Ergebnis steckt vor allem die in Deutschland besonders tief verwurzelte Angst vor Geldentwertung und dem Verlust des eigenen Vermögens.
Sehnsucht nach Politikern mit Erfahrung und Weitsicht
Wenn es keine wirklichen Gewissheiten mehr gibt, wenn die politischen Fragen zu kompliziert sind, um sie zu verstehen, dann hilft nur Führungspersonal, dem man wirklich vertrauen kann. Und da kommt Angela Merkel ins Spiel, aber nicht nur sie. Die Sehnsucht nach Staatsmännern (oder "Staatsfrauen") ist groß, nach Politikern und Politikerinnen mit großer Erfahrung und Weitsicht, denen man wichtige Entscheidungen gern anvertraut. 76 Prozent der Befragten finden, dass Merkel diese Kriterien erfüllt.
Immerhin 66 Prozent sehen das auch für Finanzminister Wolfgang Schäuble und 59 Prozent für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier. Auch Peer Steinbrück (55 Prozent) wird von mehr als der Hälfte der Befragten als guter Staatsmann anerkannt. Das gilt nicht für Horst Seehofer (43 Prozent), Sigmar Gabriel (33 Prozent), Jürgen Trittin (28 Prozent) und erst Recht nicht für den Vizekanzler und FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler (13 Prozent).
Im Wesentlichen findet sich diese Reihenfolge auch auf unserer monatlichen Politiker-Hitliste wieder. Für 14 ausgewählte Spitzenpolitiker haben wir wieder die Frage gestellt, ob die Deutschen zufrieden mit ihrer politischen Arbeit sind. Angela Merkel führt das Feld mit 68 Prozent an, ihrem besten Wert seit Dezember 2009. Es folgt Wolfgang Schäuble (64 Prozent) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (60 Prozent). Mehrheitlich positiv bewertet werden auch drei Sozialdemokraten: Frank-Walter Steinmeier (55 Prozent), die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (jeweils 52 Prozent).
Am unteren Ende der Tabelle rangieren Innenminister Hans-Peter Friedrich und Außenminister Guido Westerwelle mit jeweils 34 Prozent, Linken-Fraktionschef Gregor Gysi mit 32 Prozent und - erneut - FDP-Chef Philipp Rösler mit 16 Prozent.
Einfluss des Bundesverfassungsgerichts für 70 Prozent angemessen
Die Bundesrepublik hat also das Glück, in der Krise über eine Gruppe von Spitzenpolitikern und Spitzenpolitikerinnen zu verfügen, denen die Menschen mehrheitlich vertrauen. Und es hat ein oberstes Gericht, das zuletzt in praktisch allen wichtigen politischen Fragen, auch dem Euro, das letzte Wort hatte. 70 Prozent der Befragten halten den Einfluss des Bundesverfassungsgerichts für angemessen, 16 Prozent wünschten sich gar noch mehr Einfluss. Elf Prozent finden, dass der Einfluss der Karlsruher Richter zu groß ist.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1.004 Befragte
Erhebungszeitraum: 30. und 31. Juli 2012
Fallzahl Sonntagsfrage: 1504 Befragte
Erhebungszeitraum: 30. und 31. Juli 2012
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%