ARD-DeutschlandTrend Steinbrücks Absturz
Peer Steinbrück befindet sich laut den Ergebnissen des ARD-DeutschlandTrends im freien Fall: Aktuell kommt er nur noch auf 36 Prozent Zustimmung bei den Wählern - Bundeskanzlerin Merkel liegt dagegen bei 65 Prozent. In Niedersachsen hängt der Ausgang der Landtagswahl vor allem davon ab, ob die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde springen kann.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Zehn Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen ist SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück demoskopisch regelrecht abgestürzt, während die FDP sich Hoffnungen machen kann, mithilfe von CDU-Anhängern doch noch in den Landtag in Hannover zu kommen. Doch selbst wenn die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde klettert, gibt es weder in Niedersachsen noch auf Bundesebene klare Mehrheiten. Das zeigen die Ergebnisse des aktuellen ARD-Deutschlandtrends und der ARD-Vorwahlumfrage in Niedersachsen, die Infratest dimap für die ARD erhoben hat.
Kurz nach seiner Benennung Anfang Oktober gehörte Steinbrück zu den populärsten deutschen Politikern. Mit 59 Prozent Zustimmung lag er damals nur knapp hinter Kanzlerin Angela Merkel. Schon nach der Diskussion um seine Vortragshonorare musste er kräftig Federn lassen und sackte Anfang Dezember auf 48 Prozent ab. Nun geht es nach Steinbrücks Äußerung zum Kanzlergehalt noch mal eine Etage tiefer.
Brüderle vor Steinbrück
Mit einem Zufriedenheitswert von 36 Prozent liegt Steinbrück gleichauf mit CSU-Chef Horst Seehofer auf Rang 10 unserer Liste. Vor ihm rangieren die FDP-Politiker Guido Westerwelle (40 Prozent) und Rainer Brüderle (37 Prozent). Da spielen die Tabellenführer in einer anderen Liga: Angela Merkel liegt mit 65 Prozent (+ 5) weiterhin vorn, gefolgt von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (63 Prozent, + 5) und Finanzminister Wolfgang Schäuble mit 59 Prozent (+ 2). Populärste Sozialdemokratin ist nun NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit 58 Prozent Zustimmung (+ 2).
Für den Kandidaten Steinbrück ist das ein Desaster, für seine Partei hält sich der Schaden in Grenzen. In der Sonntagsfrage ist die Union weiterhin mit starken 41 Prozent (unverändert gegenüber der Vorwoche) stärkste Kraft. Die SPD verliert leicht auf 28 Prozent (- 1 gegenüber der Vorwoche). Das liegt aber im üblichen Schwankungsrahmen der Partei. Die Grünen klettern um zwei Punkte auf 14 Prozent, und die FDP steht seit Anfang September unverändert bei vier Prozent.
Keine Veränderung gibt es bei der Linken mit sechs Prozent, die Piraten fallen auf drei Prozent zurück (- 1). Die klassischen Lager bleiben ohne Mehrheit. Selbst wenn die FDP den Sprung über die Hürde schaffen sollte, reicht es nicht für Schwarz-Gelb – genauso wenig wie für Rot-Grün.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1.001 Befragte
Erhebungszeitraum: 07 bis 08. Januar 2013
Fallzahl Sonntagsfrage: 1.501 Befragte
Erhebungszeitraum: 07. bis 09. Januar 2013
Fehlertoleranz: bei 1.000 Befragten 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5% ** bei einem Anteilswert von 50%
CDU stärkste Kraft in Niedersachsen
In Niedersachsen sind die Dinge klarer, weil es aller Wahrscheinlichkeit nach maximal ein Vier-, vielleicht nur ein Drei-Parteien-Parlament geben wird. Auch hier ist die CDU mit 40 Prozent klar stärkste Kraft. Die SPD kommt nach unserer Umfrage, die am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag dieser Woche erhoben wurde, auf 33 Prozent, die Grünen haben 13 Prozent, und die FDP liegt mit fünf Prozent in einem Bereich, der beides zulässt: Mitwirkung im Parlament oder noch Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.
Die Linke mit drei Prozent und die Piraten mit ebenfalls drei Prozent würden den Einzug in den Landtag verpassen. Unabhängig davon hat gegenwärtig das rot-grüne Lager die Nase leicht vorn. Aber anderthalb Wochen vor der Wahl geben eben vier von zehn Wahlberechtigten in unserer Umfrage an, sich noch nicht entschieden zu haben. Und erfahrungsgemäß ist es ein erheblicher Teil der festgelegten Wählerinnen und Wähler, die sich auf der Schlussgeraden doch noch mal anders entscheiden. Also, alles offen in Hannover.
Widersprüchliche Einzelergebnisse
Wie schwer offensichtlich vielen Menschen die Entscheidung fällt, zeigen widersprüchliche Einzelergebnisse. Die Mehrheit der Niedersachen möchte einerseits Ministerpräsident David McAllister behalten und favorisiert andererseits eine rot-grüne Koalition. Dieses Bündnis bewerten 51 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut, während eine schwarz-gelbe Regierung nur auf 32 Prozent Zustimmung kommt.
So ist vielleicht am Ende doch die alles entscheidende Frage, ob die FDP in den niedersächsischen Landtag einzieht. Ein Potenzial für die Partei gibt es auf jeden Fall, die Frage ist, ob es aktiviert werden kann. Und wenn nicht, ist da immer noch die gute Chance auf Leihstimmen von der CDU. Mit 46 Prozent stimmt fast die Hälfte der von uns befragten CDU-Wähler der Formulierung zu: "Wer McAllister als Ministerpräsident behalten will, sollte überlegen, FDP zu wählen".
FDP mit Reserven
Zurück zur Bundesebene. Auch hier wäre es zu früh, das Totenglöcklein für die FDP zu läuten. Jeweils 23 Prozent der Befragten sind der Ansicht, die FDP habe "in den letzten Jahren in Deutschland etwas bewegt", und die FDP sei "die einzige Partei in Deutschland, die für liberale Inhalte steht". 23 Prozent sind keine berauschenden Werte, aber dahinter verbirgt sich ein Kern von Wählerinnen und Wählern, die den Rückweg zu einer Partei finden könnten, die sie vermutlich früher irgendwann schon mal gewählt haben.
Ob Peer Steinbrück das Ruder noch mal rumreißen kann, wird sich erst nach der Niedersachsen-Wahl entscheiden. Im Moment ist sein Rückstand auf Kanzlerin Merkel im direkten Vergleich größer als je zuvor. Wenn man den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen könnte, würden sich 55 Prozent (+ 6) für Merkel entscheiden und nur noch 30 Prozent (- 9) für Steinbrück.
Merkel gilt als glaubwürdiger und sympathischer
Der Abstand zwischen beiden hat sich innerhalb eines Monats von 10 auf 25 Punkte mehr als verdoppelt. Merkel gilt mit weitem Abstand als die stärkere Führungspersönlichkeit. Sie gilt als glaubwürdiger, sympathischer. Und dass sie mit der Euro-Krise besser umgehen kann, glauben die Deutschen ohnehin. Die Daten zeigen aber auch, wo der Rettungsfallschirm liegen könnte, der den Absturz von Peer Steinbrück beendet. Denn selbst im Moment der größten Krise steht er stärker für soziale Gerechtigkeit (36 Prozent) als Kanzlerin Merkel (32 Prozent).
Soziale Gerechtigkeit - das ist ihre Achillesferse. Und die spielt selbst nach einer Legislaturperiode des Wirtschaftswachstums eine große Rolle. Unverändert ist eine Mehrheit von 51 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass es in unserem Land eher ungerecht zugeht, 43 Prozent sehen das anders. Und nicht einmal jeder Dritte, nämlich nur 31 Prozent der Befragten, haben das Gefühl, vom Wirtschaftswachstum persönlich profitiert zu haben. Hier wird deutlich, welche Rolle unterschiedliche Einkommensverhältnisse in diesem Land weiterhin spielen: Bei den höheren Familieneinkommen von 3.000 Euro im Monat und mehr, hat mit 51 Prozent die Mehrheit vom Aufschwung profitiert, bei den Geringverdienern (unter 1.500 Euro) sind es hingegen nur 20 Prozent.
Alle Parteien mit Glaubwürdigkeitsproblem
Und noch ein Mühlstein schleppen die Parteien ins Wahljahr - ihre geringe Glaubwürdigkeit. Die übergroße Mehrheit der Deutschen geht davon aus, dass die Parteien im Wahlkampf nicht ehrlich sagen, was sie nach der Wahl umsetzen wollen. Allerdings gibt es da Unterschiede unter den Parteien. Von den Grünen vermuten immerhin 35 Prozent der Befragten, dass sie im Wahlkampf ehrlich sind, bei der Linken sind das 24 Prozent, bei SPD und CSU 23 Prozent, bei der CDU 21 Prozent, bei den Piraten 16 Prozent und bei der FDP nur magere 14 Prozent. Wer vor allem aus dem Kreis der Unentschiedenen und Enttäuschten Stimmen gewinnen will, muss hier im Laufe des Wahljahres auf bessere Werte kommen.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1.001 Befragte
Erhebungszeitraum: 08 bis 10. Januar 2013