Anschlag auf Mannschaftsbus "Der Schock sitzt tief"
Für die Dortmunder Spieler wird es nach dem Anschlag schwer, sich wieder auf den Fußball zu konzentrieren, sagt ARD-Moderatorin Sabine Töpperwien. Im Interview mit tagesschau.de spricht sie über das Nachholspiel und die Reaktionen im Umfeld des BVB.
tagesschau.de: Wie geht es der Mannschaft heute?
Sabine Töpperwien: Die Spieler werden nach den Vorkommnissen erst einmal von der Öffentlichkeit auf dem Trainingsgelände komplett abgeschirmt. Das ist auch verständlich,denn es handelte sich gestern um einen ganz gezielten Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund. Deshalb haben wir heute noch keine Botschaften von einzelnen Spielern empfangen.
Sabine Töpperwien leitet seit 2001 die Sportredaktion von WDR2. Seit 1988 berichet sie als ARD-Reporterin von Fußball-Großereignissen und Olympischen Spielen.
tagesschau.de: Bereits heute Abend muss die Mannschaft wieder auf dem Platz stehen. Wie bereiten sich die Spieler auf das Spiel vor?
Töpperwien: Die Mannschaft wird sich heute vor allem mental auf das Spiel vorbereiten. Das wird aber natürlich hinter verschlossenen Türen stattfinden, denn es herrscht die Angst, dass die Spieler wieder gefährdet sind, sobald sie in der Öffentlichkeit auftreten. Eigentlich hätte heute ja schon wieder ein öffentliches Training stattfinden sollen. Der Verein ging davon aus, dass die Mannschaft sich ab heute auf das Bundesligaspiel gegen Frankfurt am Wochenende vorbereiten würde. Das wurde natürlich abgesagt.
Denn der Schock sitzt offenbar tief. Torhüter Roman Bürki hat uns bereits gestern Abend geschildert, dass die Explosion am Bus allen Spielern in die Glieder gefahren ist. Teilweise befanden sie sich in einer Schockstarre. Das wird der eine oder andere vielleicht bis heute Abend halbwegs verarbeitet haben, aber sicherlich nicht alle. Deshalb liegt heute der Schwerpunkt auf der psychologischen Seite.
tagesschau.de: Ist es für die Mannschaft überhaupt möglich, sich nach einer solchen Erfahrung wieder auf den Fußball zu konzentrieren?
Töpperwien: Ich kann mir schon vorstellen, dass es Spieler gibt, die sich noch über ein oder zwei Tage freuen würden, um das Erlebte zu verarbeiten. Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, denen die Rückkehr zur Normalität dabei hilft, über eine solche Erfahrung hinwegzukommen. Ich denke allerdings, dass die Betroffenheit hier sehr unmittelbar ist - schließlich wurde der Verteidiger Marc Bartra, im Beisein seiner Mannschaftskollegen verletzt. Deshalb halte ich es auch für sehr schwierig, nach etwa 22 Stunden zur Normalität zurückzukehren.
tagesschau.de: Hätte die UEFA mit der Neuansetzung des Spiels also länger warten sollen?
Töpperwien: Der Druck des Spielplans auf das Wirtschaftsunternehmen Fußball ist natürlich so immens groß, dass man keine Ausweichmöglichkeiten hatte. Nächste Woche soll ja bereits das Rückspiel stattfinden, und auch sonst lässt der Fußballkalender eigentlich keinen anderen Termin zu. Außerdem ist die Organisation eines solchen Spiels ja immer auch mit einem enormen logistischen Aufwand verbunden.
Wir kennen solche Situationen schon seit den Olympischen Spielen von 1972. Damals sagte IOC-Präsident Avery Brundage "The games must go on!", und 24 Stunden nach dem Attentat auf die israelischen Sportler war dann wieder der ganz normale Sport angesagt.
tagesschau.de: Welchen sportlichen Wert darf man von dem Spiel nach dieser Erfahrung erwarten?
Töpperwien: Das Spiel ist natürlich immer noch sehr wichtig. Es geht immerhin darum, in ein Champions League-Halbfinale einzuziehen. Die Frage ist natürlich, ob die Dortmunder Spieler nach der gestrigen Erfahrung dem AS Monaco auf Augenhöhe entgegentreten können. Das kann man jetzt noch nicht wissen. Sollte Dortmund 1:0 in Führung gehen, dann könnte das Kräfte freisetzen, die auch bei der Verarbeitung des Anschlags helfen könnten. Es kann aber auch genau das Gegenteil einsetzen und die Mannschaft geht unter. Beides ist möglich.
tagesschau.de: Wie haben die Fans auf den Anschlag reagiert?
Töpperwien: Sehr verständnisvoll und besonnen. Nachdem Stadionsprecher Norbert Dickel die Spielabsage verkündete, gab es nur ganz vereinzelt Pfiffe. Die kann man getrost vernachlässigen. Ansonsten gab es vor allem großes Verständnis. Allen war klar, dass etwas Außergewöhnliches geschehen war. Die Mannschaft befand sich zumindest kurzfristig nicht in Sicherheit. Und das überschattete alles andere.
tagesschau.de: Wie ist die Stimmung in Dortmund heute?
Töpperwien: Auf der einen Seite findet in Dortmund heute das ganz normale geschäftliche Treiben statt wie an jedem anderen Mittwoch. Auf der anderen Seite wird allerdings um das Stadion ein riesiger Sicherheitsriegel errichtet. Die Partie gilt plötzlich als Hochrisikospiel. Das war sie vorher nicht. Bei Dortmund gegen Monaco musste man eigentlich nicht mit besonderen Vorkommnissen rechnen.
tagesschau.de: Mit welchem Gefühl gehen Sie heute Abend ins Stadion?
Töpperwien: Mir ist schon etwas flau im Magen. Ich gehe zwar davon aus, dass heute alles ruhig bleibt. Ich kann mich aber auch nicht von den gestrigen Ereignissen lösen. Wir haben ja den ganzen Abend aus dem Stadion heraus berichtet. Das steckt man nicht so einfach weg. Mein Wunsch ist es aber natürlich, dass es ein schönes, friedliches Fußballspiel geben wird, bei dem beide Mannschaften dafür sorgen, dass wir irgendwann nur noch an den Sport denken können. Ich bin aber leider nicht sicher, ob das passieren wird.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de