Reaktionen zur Europawahl Alle reden vom Klimaschutz
Zugewinne für die Grünen, Erfolge für die Rechten - und eine schrumpfende Mitte: Die einen genießen das Ergebnis der Europawahl, bei den anderen beginnt die Fehleranalyse. Vor allem der Klimaschutz bestimmt die Reaktionen.
Die Europawahlen haben die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament verändert. Erstmals seit 1979 könnten dort die zwei größten Blöcke - die Europäische Volkspartei (EVP) und die Fraktion der Sozialdemokraten - ohne eine Mehrheit dastehen.
In Deutschland büßte vor allem die SPD Stimmen ein. Parteichefin Andrea Nahles wollte nichts schönreden. "Die Ergebnisse, die wir bisher kennen, sind für die SPD extrem enttäuschend", sagte sie. Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz trat Forderungen nach personellen Veränderungen an der Parteispitze entgegen: "Der Ruf nach personellen Konsequenzen führt nicht weiter."
Der Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, bezeichnete das Wahlergebnis der SPD als niederschmetternd. In ARD-Morgenmagazin sagte er, es dürfe nun kein "Weiter so" geben. "Wir brauchen jetzt in den nächsten Tagen sehr intensive Diskussionen. Wir müssen Konsequenzen ziehen aus diesen Wahlergebnissen." Die Fragen zum Klimaschutz und Digitalisierung müsse die SPD ebenfalls beantworten, um Vertrauen zurückzugewinnen.
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht die Partei nach dem Debakel nun bei Anstrengungen für mehr Klimaschutz in der Pflicht. "Wir sehen, dass die Bevölkerung das Thema Klimaschutz ganz oben ansiedelt. Die SPD hat per Koalitionsvertrag Druck gemacht für ein Klimaschutzgesetz." Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem "Tagesspiegel", es gehe jetzt "um die Existenz der SPD als politische Kraft in Deutschland".
CDU will beim Thema Klimaschutz zulegen
Die Union wurde in Deutschland zwar stärkste Kraft bei der Europawahl. Doch auch sie musste starke Stimmenverluste hinnehmen. Als einen Grund dafür nannte CDU-Chefin Annegret Kramp Karrenbauer in den ARD-tagesthemen, dass CDU und CSU bei den Themen, die bei den Menschen besonders wichtig waren, eben noch nicht die Antworten gegeben hätten, die die Menschen wirklich überzeugen. "Und das ist genau der Punkt, wo wir anfangen werden, richtig nachzuarbeiten", sagte sie.
CSU-Chef Markus Söder sagte: "Wir müssen bei diesen Themen Umweltschutz und Klimawandel stärker zulegen und liefern."
EU-Kommissar und CDU-Politiker Günther Oettinger empfiehlt angesichts der Verluste der beiden Volksparteien dennoch eine Fortsetzung der Großen Koalition. "Wir Europäer hoffen, dass diese Koalition noch zwei Jahre hält und dass sie auch die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 souverän und offensiv nutzen kann", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Auch Generalsekretär Paul Ziemiak sagte zum Thema Große Koalition: "Ich finde, sie muss weiter machen, damit Stabilität in Deutschland herrscht." Im ARD-Morgenmagazin räumte er Fehler beim Thema Klimaschutz ein. "Da haben wir als Marke überhaupt nicht überzeugen können", sagte er. Große Defizite sieht Ziemiak zudem in der Online-Kommunikation. Mit Blick auf die scharfe Kritik des YouTubers Rezo an der CDU sagte er in der "Bild"-Sendung "Die richtigen Fragen": "Wir haben zu langsam auf dieses Video reagiert, aber die Ressourcen, die wir in der Online-Kommunikation haben, sind viel zu gering, um mit jungen Menschen in Kontakt zu treten." Auf die Einladung der CDU zum Gespräch habe Rezo bislang nicht reagiert.
Grüne wollen Verantwortung gerecht werden
Die Grünen sind die Sieger der Europawahl vom Sonntag. Parteichefin Annalena Baerbock sagte: "Wenn uns Leute zum ersten Mal wählen, dann müssen wir natürlich auch deutlich machen, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden können. Und vor allem jetzt beim Klimaschutz, aber gerade auch bei der Frage sozialer Zusammenhalt in Europa gemeinsam liefern."
Auch Grünen-Chef Robert Habeck führte die Zugewinne auf die Klimapolitik der Partei zurück. "Sicherlich hat die Klimafrage zum ersten Mal in einem bundesweiten Fall so eine dominante Rolle gespielt, dass die Zögerlichkeit der Großen Koalition da negativ gewirkt hat", sagte Habeck in der ARD.
Grünen-Spitzenkandidat Sven Giegold sagte im ARD-Morgenmagazin, seine Partei wolle nach dem Wahlerfolg nun zuerst über Inhalte reden, bevor sie sich für die Unterstützung eines neuen EU-Kommissionspräsidenten entscheiden. "Wer unsere Unterstützung bekommen will, der muss jetzt liefern", so Giegold.
FDP sieht sich als kleinen Gewinner
FDP-Chef Christian Linder rechnete nicht damit, dass die Große Koalition in Berlin Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden zieht. "Das ist nicht meine Erwartung. Ich glaube, die machen miteinander weiter", sagte er. Er sah seine Partei als "kleinen Wahlgewinner". Die Musik habe nicht bei ihren Themen gespielt.
Linkspartei zeigt sich enttäuscht
Linken-Chef Bernd Riexinger sagte, seine Partei habe ein "besseres Ergebnis erwartet und verdient". Da es bei der Europawahl in Deutschland keine Sperrklausel gibt, gewannen erneut mehrere Kleinstparteien Mandate im EU-Parlament. Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping forderte Konsequenzen in Bezug auf die Große Koalition in Berlin. "Wir müssen uns Gedanken machen, welche Regierung im Bund die GroKo ablösen wird. Ihre Zeit ist quasi zu Ende."
AfD zeigt sich zufrieden
Ähnlich sah es AfD-Chef und Europawahl-Spitzenkandidat Jörg Meuthen: "Was wir hier erleben, ist ein historischer Prozess. Wir erleben zwei ehemalige Volksparteien im konsequenten Niedergang." AfD-Chef Alexander Gauland sprach von einem "schwierigen Wahlkampf" für seine Partei. Angesichts dessen sei er mit dem Ergebnis von etwas über zehn Prozent zufrieden.
Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, sieht ihre Partei als "Fels in der Brandung". Die AfD habe an Stimmen zulegen können, obwohl ihre Partei das Thema Klimaschutz nicht aufgegriffen habe, sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Viel mehr interessiere die Menschen, wie sie künftig angesichts der ansteigenden Energiepreise ihre Stromrechnung bezahlen könnten. Das Thema Klimaschutz hätten vor allem die Grünen angeschoben, sagte von Storch.