Entscheidung in Karlsruhe Fünf-Prozent-Klausel bei EU-Wahlen unzulässig
Die in Deutschland bei der Europawahl geltende Fünf-Prozent-Hürde verstößt gegen das Grundgesetz. Die Chancengleichheit der Parteien werde nicht gewahrt, begründete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung. Die Europawahl von 2009 müsse deshalb aber nicht wiederholt werden.
Die in Deutschland geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Europawahlen ist verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Klausel verstoße gegen die im Grundgesetz verankerte "Chancengleichheit der Parteien" sowie den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Die entsprechende Regel des Europawahlgesetzes - das deutsches Bundesrecht ist - sei nichtig.
Zugleich stellten die Richter klar, dass die Wahl zum EU-Parlament von 2009 gültig bleibe und nicht wiederholt werden müsse. Das Urteil des Zweiten Senats fiel nur denkbar knapp mit fünf gegen drei Richterstimmen.
Nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl sollen alle Stimmen den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis und die Zusammensetzung des Parlaments haben, so Voßkuhle. Die Fünf-Prozent-Hürde bewirke aber eine "Ungleichgewichtung" der Wählerstimmen, weil Stimmen für kleinere Parteien, die an der Hürde scheitern, ohne Erfolg bleiben. Das Wahlrecht zum Europäischen Parlament kann durch die einzelnen Mitgliedstaaten geregelt werden.
Ohne die deutsche Klausel wären 169 statt 162 Parteien im EU-Parlament vertreten. Dass dadurch die Funktionsfähigkeit des Parlaments beeinträchtigt würde, ist dem Gericht zufolge jedoch nicht erkennbar.
Keine Auswirkung auf Bundestagswahlen
Voßkuhle verwies in diesem Zusammenhang auf die strukturellen Unterschiede zwischen dem EU-Parlament und dem Bundestag. Das EU-Parlament wähle keine Regierung, die auf seine andauernde Unterstützung angewiesen sei. Zudem sei die EU-Gesetzgebung nicht von einer gleichbleibenden Mehrheit im EU-Parlament mit einer stabilen Koalition abhängig. Dass die Arbeit des Parlaments durch den Einzug weiterer Kleinparteien unverhältnismäßig erschwert werde, sei deshalb nicht zu erkennen. Dies wäre im Deutschen Bundestag anders.
Juristischer Sieg für Staatsrechtler von Arnim
Der Zweite Senat gab damit dem Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim und zwei Wählern recht, die dagegen geklagt hatten. Sie hatten Beschwerde eingelegt, weil Parteien, die weniger als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatten, keine EU-Abgeordneten entsenden durften. Dadurch seien rund 2,8 Millionen deutsche Wählerstimmen unter den Tisch gefallen, hatte von Arnim in der Verhandlung im Mai betont. Die etablierten Parteien hätten auf Kosten der kleinen von der Sperrklausel profitiert. Denn sie erhielten beim Scheitern kleiner Parteien proportional mehr Sitze.
Von Arnim hatte sich auch gegen die Wahl nach starren Kandidatenlisten gewandt. Diese Regelung hat das Gericht jedoch nicht beanstandet. Hier kann der Wähler nur die Liste wählen, hat aber keinen Einfluss darauf, in welcher Reihenfolge die Kandidaten bei der Sitzverteilung zum Zuge kommen.
(Az: 2 BvC 4/10 u.a.)