Russische Männer in Deutschland Geflohen, um nicht kämpfen zu müssen
Aus Sorge, von der Armee eingezogen zu werden, haben viele Russen ihr Land verlassen. Einige sind in Deutschland gelandet. Wie begegnen ihnen die Menschen? Was denken sie über den Krieg? Zwei Russen berichten.
Valentin (Name von der Redaktion geändert) sitzt mit seinem Laptop an einem schmalen, länglichen Holztisch neben der Küche und skypt mit seiner Mutter. Sie ist Rentnerin und lebt in Russland, er ist seit einigen Wochen in Deutschland und lebt in der Nähe von Stuttgart. Valentin ist aus Russland geflohen, um nicht kämpfen zu müssen.
Aus Sicherheitsgründen haben wir seinen Namen geändert. Die beiden winken sich am Bildschirm zu, beenden ihr tägliches Telefonat. "Natürlich bin ich kein Held. Ich bin nicht dort geblieben, um gegen das Regime zu kämpfen. Wenn ich genug Protest gegen Putin sehen würde und eine Chance, dass dieser Kampf erfolgreich wäre, wäre ich vielleicht geblieben und hätte mich solchen Protesten angeschlossen. Aber gerade sehe ich niemanden, der etwas gegen Putin tun kann."
Seine Familie hat ukrainische Wurzel
Valentin ist Mitte dreißig, Physiker und arbeitet in der Wissenschaft. Wenige Tage nach der Mobilmachung hat er Russland verlassen, ist erst zu Freunden nach Finnland gereist, dann ging es weiter zu seiner Schwester nach Deutschland. "Ich möchte nicht Teil dieses Krieges sein. Unsere Familie hat ukrainische Wurzeln", erklärt er.
Wenn er kämpfen müsste, dann würde das auch bedeuten, dass er womöglich gegen seine Familie kämpfen müsste. Sein Vater lebt in der Ukraine, er macht sich Sorgen um ihn. Auch mit ihm hat er regelmäßig Kontakt. "Der Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Verbrechen Russlands", findet Valentin.
Hoffnung auf ein Leben in Slowenien
Seine Hoffnung ist, dass er nach Slowenien gehen kann, um dort weiterzuarbeiten, erzählt er. Schon im vergangenen Jahr sei er viel in Slowenien gewesen, da er dort an einem Projekt arbeitete. Immer wieder sei er zwischen Slowenien und Russland gependelt. "Meine Situation ist noch gut", sagt Valentin. "Ich habe eine Schwester in Deutschland, Jobaussichten in Slowenien." Nicht jeder, der das Land verlassen möchte, habe dieselben Möglichkeiten wie er. Für viele stelle sich die Frage, wohin sie gehen und was sie machen sollen.
"Als der Krieg angefangen hat, sind fast alle meine Freunde in Russland gegen diesen Krieg gewesen", meint Valentin. Zu diesem Zeitpunkt dachte er noch, die Russen würden diesen Krieg nicht dulden. Doch als er gemerkt habe, dass viele Russen den Krieg akzeptieren, sei das für ihn sehr schmerzhaft gewesen.
In der Wohnung steht neben dem Tisch sein Koffer. Am Griff hängt immer noch der Gepäckzettel von seinem Flug nach Deutschland. Für Valentin ist klar, solange Krieg ist, will er nicht zurück nach Russland.
Sich aufzulehnen erscheint ihm aussichtslos
Einige Kilometer weiter lebt Konstantin (Name von der Redaktion geändert). Auch er hat sein Land verlassen. Schon im Frühjahr hat sich der 24-Jährige nach Jobs im Ausland umgesehen. Im Sommer ist Konstantin dann nach Deutschland gekommen. Er arbeitet bei einem Software-Startup. Ein Arbeitsvisum habe ihm das ermöglicht, erzählt er.
Konstantin ist froh, zusammen mit seiner Frau in Sicherheit zu sein. Mit der Mobilmachung wäre er gezwungen gewesen, gegen Menschen zu kämpfen, gegen die er nicht kämpfen wolle, sagt er. "Meine Einstellung ist eher pazifistisch als militärisch." In Russland zu bleiben und sich aufzulehnen, erschien ihm aussichtslos. Er habe Angst vor Repressionen. Wenn er aktiv protestiere, würde er verhaftet werden oder könne das Land nicht mehr verlassen, erklärt er.
"Stell dir vor, du stehst vor bewaffneten Soldaten. Das sind keine friedlichen Proteste wie in Deutschland oder Frankreich, wo die Polizei Demonstranten schützt. In Russland gibt es die Rosguardia, das sind Spezialkräfte, die zur Unterdrückung von Protesten eingesetzt werden. Sie tragen Waffen. Stell dir vor, die stehen vor dir, was würdest du tun? Würdest du kämpfen oder weglaufen?
"Es ist einfach ein unangenehmes Gefühl"
Vor fünf Jahren hatte er noch große Träume, erzählt Konstantin. Wollte bei einer großen Roboterfirma arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort machen. Jetzt seien diese Träume zu Staub geworden und nur noch die grundlegenden Dinge seien wichtig. "Einige meiner Freunde sind nach der Mobilmachung nach Armenien, Georgien, Ägypten, Spanien oder Portugal gegangen. In etwa zehn Ländern sind sie verstreut", erzählt Konstantin.
"Woher kommst du?", sei hier in Deutschland oft eine der ersten Fragen, sagt er. Dann würde er erst einmal zögern und sei nervös, wie er antworten solle. Viele Deutsche könnten nicht antworten "Oh cool, schön" und sie könnten auch nicht sagen: "Das tut mir leid." Schließlich sei er kein Ukrainer, sondern komme aus dem Land des Aggressors. "Ich verheimliche es nicht. Ich werde nicht diskriminiert, aber es ist einfach ein unangenehmes Gefühl."
Auf keinen Fall zurück nach Russland
In Gedanken sind Konstantin und seine Frau oft in Russland. Abends schauen sie Talk-Sendungen von Putin-Gegnern im Internet. Doch auch er will auf keinen Fall zurück nach Russland. Vor zwei Monaten wollte er noch über Weihnachten hin. Aber als die Mobilmachung gestartet hat, war für ihn klar, dass er das nicht macht. "Selbst wenn die Mobilmachung offiziell beendet ist, sind das nur Worthülsen. Du hast keine Garantie. Du bist nicht sicher davor, doch noch kämpfen zu müssen."