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EuGH-Urteil zur Tabakrichtline Regelungen gegen die Nikotinsucht

Stand: 04.05.2016 14:41 Uhr

Der Europäische Gerichtshof hat gleich drei Verfahren rund um die EU-Tabakrichtlinie entschieden - und sie uneingeschränkt bestätigt. Die klagenden Tabakkonzerne müssen sich jetzt schon in wenigen Tagen auf tiefgreifende Änderungen einstellen.

Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Was ist die Tabakrichtlinie?

Jährlich sind laut Angaben der EU-Kommission etwa 700.000 Todesfälle in der EU auf die Folgen des Rauchens zurückzuführen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum sterben durchschnittlich "nur" etwa 43.000 Menschen durch Autounfälle. Um diese hohe Zahl zu senken und auf die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens hinzuweisen, will der EU-Gesetzgeber schon den Anfängen wehren: Mit der Richtlinie für Tabakerzeugnisse, der sogenannten "Tabakrichtlinie", stellt die Europäische Union darum verbindliche Maßgaben für die Herstellung und den Verkauf von Tabakprodukten auf. Dazu zählen etwa Zigaretten, Tabak, Zigarren und elektronische Zigaretten. Vor allem geht es dem EU-Gesetzgeber um junge Menschen. Denn die meisten Raucher geraten sehr früh in die Abhängigkeit - rund 70 Prozent schon als Jugendliche. Die EU will darum die Attraktivität von Zigaretten vor allem für junge Menschen reduzieren. So sollen irreführende und verkaufsfördernde Elemente von den Zigarettenschachteln verbannt werden, stattdessen sollen großflächige Warnhinweise zur Pflicht werden. Für viele Zigarettenhersteller sind die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen unerwünscht: Sie befürchten Umsatzeinbußen.

Was soll sich konkret ändern?

Eine ganze Menge: Die wohl drastischste Veränderung betrifft die Aufmachung der Zigarettenschachteln: 65 Prozent der Fläche von Vorder- und Rückseite müssen künftig von kombinierten Warnhinweisen eingenommen werden, bestehend aus Text und Bild. Diese Bilder zeigen bewusst drastisch, welche gesundheitliche Folgen das Rauchen mit sich bringen kann, etwa indem sie eine Raucherlunge oder ein Raucherbein abbilden.

Zudem ermächtigt die Richtlinie die Mitgliedsstaaten, sogar noch weiter zu gehen und Einheitsverpackungen vorzuschreiben. Außerdem verbietet die Richtlinie  Zigaretten und Tabak mit charakteristischen Aromen. Dazu zählen etwa Mentholzigaretten - weil diese in der Regel tiefer inhaliert werden. Sie sollen mit einer Übergangsfrist von vier Jahren vom Markt verschwinden. Die Hersteller müssen zudem neue Tabakprodukte melden, bevor sie sie auf den EU-Markt bringen. Und auch für die Packungsgröße und -form gibt es genaue Vorgaben: Quaderförmig, Inhalt mindestens 20 Zigaretten. Kleine, besonders günstige "Probepackungen", auf denen man die Warnhinweise nicht gut lesen kann, dürfen nicht mehr vertrieben werden. Auch für elektrische Zigaretten (zum "Dampfen") werden eine Reihe Sicherheits- und Qualitätsanforderungen festgelegt.

Ab wann sollen die neuen Regelungen gelten?

Schon sehr bald. Beschlossen wurde die Richtlinie bereits 2014. Jetzt, im Mai 2016, läuft die Frist für die Mitgliedsstaaten ab, die Vorschriften der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland ist dies schon durch das Tabakerzeugnisgesetz geschehen. Es tritt ab dem 20. Mai in Kraft und setzt die neuen EU-Regelungen 1:1 um. Da der EuGH in den aktuellen Verfahren diese Richtlinie nicht gekippt hat, werden noch in diesem Monat die neuen Regelungen gültig. Die Hersteller dürfen allerdings noch ihre Restbestände "abverkaufen". Für einige Regelungen, wie das Verbot von Mentholzigaretten, gibt es eine Übergangsfrist von vier Jahren. Sie sollen im Mai 2020 endgültig vom Markt verschwinden.

Worum genau ging es in den aktuellen Gerichtsverfahren?

Der EuGH musste sich in gleich drei Verfahren mit der Tabakrichtlinie auseinandersetzen. Auch wenn diese Verfahren in unterschiedlicher Stoßrichtung geführt und von unterschiedlichen Klägern betrieben wurden, ging es zumindest mittelbar jeweils auch um die Geltung der Tabakrichtlinie. Damit ist der Ausgang der Verfahren auch für Deutschland interessant.

So klagte Polen (mit der Unterstützung Rumäniens) gegen das Verbot von Mentholzigaretten. Das sei unverhältnismäßig und solle stattdessen von den Einzelstaaten in Eigenregie entschieden werden. Darum sei die EU-Richtlinie in diesem Punkt für nichtig zu erklären. Die Zigarettenhersteller Philip Morris (unter anderem Marlboro) und British American Tobacco (unter anderem Lucky Strike), klagten gegen die Umsetzung der Richtlinie in britisches Recht, unter anderem in Bezug auf die Packungsgestaltung. Die Firma Pillbox 38 stellt E-Zigaretten her und klagte ebenfalls in England. Das Argument: Die Richtlinie stelle wettbewerbswidrige Anforderungen für den Vertrieb von E-Zigaretten auf und behindere den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr.

Was sagt die Generalanwältin des EuGH?

Im Dezember hatte Juliane Kokott, die deutsche Generalanwältin am EuGH, ihren Schlussantrag vorgelegt, eine Art unabhängiges Gutachten, das die Richter bei der Urteilsfindung unterstützen soll. Sie kam darin zu dem Schluss, dass die Tabakrichtlinie entgegen der Einwendungen der verschiedenen Kläger in vollem Umfang gültig sei. Der Gesundheitsschutz der Bürger sei ein legitimes Ziel. Der EU-Gesetzgeber habe einen weiten gestalterischen Spielraum dabei, dieses Ziel zu erreichen, so das Fazit von Kokott.

Wie sieht das Urteil aus?

Der Europäische Gerichtshof folgt dem Antrag der Generalanwältin. Die EU-Tabakrichtlinie ist nach dem Urteil der Luxemburger Richter uneingeschränkt gültig. So sei es legitim, dass die EU einerseits für den Gesundheitsschutz ihrer Bürger Sorge tragen will. Auch habe die EU die Kompetenz, für eine Vereinheitlichung des Binnenmarktes zu sorgen. Die beschlossenen Maßnahmen zur einheitlichen Gestaltung der Packungen halten die Richter für durchaus geeignet, die Verbraucher vor den mit dem Tabakgebrauch verbundenen Gefahren zu schützen. Zum anderen gehe diese Auflage nicht über die Grenzen dessen hinaus, "was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich" sei. Mit ähnlicher Argumentation bekräftigen die EU-Richter auch das Verbot von Mentholzigaretten ab Mai 2020 und die Auflagen für den Vertrieb von E-Zigaretten. Diese Maßnahmen erleichterten "das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse" und seien zugleich geeignet, einen hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen, sicherzustellen. Mit dem heutigen Urteil steht also die Tabakrichtlinie auf festem rechtlichen Grund.

Über die Klagen der Zigarettenhersteller wird aber letztlich im Vereinigten Königreich entschieden, weil der EuGH nur Vorlagefragen der nationalen Gerichte zu europarechtlichen Fragen beantwortet. Allerdings ist der britische High Court, was die Auslegung des EU-Rechts betrifft, an das Urteil aus Luxemburg gebunden. Für alle anderen EU-Staaten, also auch für Deutschland, gilt diese Auslegung jetzt ebenfalls.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. Mai 2016 um 12:00 Uhr.