AKW-Krümmel

Fragen und Antworten Was verdient der Staat am Atombeschluss?

Stand: 07.09.2010 18:24 Uhr

Im Schnitt zwölf Jahre länger als bisher geplant sollen die deutschen Atomkraftwerke am Netz bleiben. Im Gegenzug soll die Atomwirtschaft Milliarden zahlen. Doch nimmt der Staat wirklich ein, was er erwartet? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.

Im Schnitt zwölf Jahre länger als bisher geplant sollen die deutschen Atomkraftwerke am Netz bleiben. Im Gegenzug soll die Atomwirtschaft Milliarden zahlen. Doch nimmt der Staat wirklich ein, was die Regierung jetzt erwartet? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.

Wie lange dürfen die Atomkraftwerke jetzt am Netz bleiben?

Die ältesten Meiler sollen acht Jahre, Atomkraftwerke, die nach 1981 gebaut sind, 14 Jahre länger laufen dürfen. Die damalige rot-grüne Regierung hatte vor rund zehn Jahren beschlossen, dass der letzte Meiler 2022 vom Netz gehen muss. Jetzt wird das letzte Kraftwerk wohl erst 2040 abgeschaltet. Wenn die Konzerne allerdings ältere Reaktoren aus wirtschaftlichen Gründen früher als geplant vom Netz nehmen und deren Reststrommengen auf neuere AKW übertragen, könnte sogar bis etwa 2050 Atomstrom in Deutschland produziert werden.

Wie viel müssen die AKW-Betreiber zahlen?

Einen Teil der erwarteten Gewinne durch die Verlängerung der Restlaufzeiten will die Regierung abschöpfen. Die Betreiber sollen sechs Jahre lang - von 2011 bis 2016 - eine Brennelementesteuer in Höhe von jährlich 2,3 Milliarden Euro an den Bund abführen. Die Einnahmen will der Bund vor allem zur Haushaltskonsolidierung verwenden. Das Finanzministerium kommt auf die Zahl, indem der Staat künftig von den Atomkonzernen 145 Euro pro Gramm Uran verlangen will, ursprünglich waren 220 Euro geplant. Dass der Staat tatsächlich am Ende die 2,3 Milliarden Euro einnimmt, ist eine reine Schätzung. Es handelt sich lediglich um eine Brutto-Summe: Die Stromkonzerne können diese Zahlungen beim Finanzamt steuerlich absetzen, wodurch die Nettoeinnahmen für den Staat geringer ausfallen werden.

Darüber hinaus haben sich die Stromkonzerne verpflichtet, einen Teil ihrer Gewinne in einen Fonds zum Ausbau erneuerbarer Energien einzuzahlen: Von 2011 bis 2016 insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro. Ab 2017 wird ein Sonderbeitrag fällig, alle Abgaben der Konzerne fließen dann in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Insgesamt werden sich die Ausgaben laut Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf rund 30 Milliarden Euro belaufen.

Wie viel nehmen die Stromproduzenten voraussichtlich ein?

Von der Energiewirtschaft selbst stammt die Zahl, dass steuerlich abgeschriebene Atomkraftwerke durchschnittlich eine Million Euro Gewinn pro Tag einfahren. Ausgehend von diesem Wert können bei einer Verlängerung der Laufzeiten laut Ökoinstitut in den kommenden Jahren Zusatzgewinne von mindestens 58 Milliarden entstehen - für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Strompreise konstant bleiben. Steigen sie - was anzunehmen ist - erhöht sich auch der Gewinn. Bereits bei einem moderaten Anstieg geht das Institut von 94 Milliarden Euro Zusatzgewinn aus. Die Landesbank Baden-Württemberg war im Juli zu dem Schluss gekommen, dass die Konzerne bei einer Verlängerung der Laufzeiten um zehn Jahre mit einem Zusatzgewinn von 44 Milliarden Euro rechnen können.

Profitieren die Konzerne weiterhin von der staatlichen Förderung?

Ja. Vor der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes unter Rot-Grün im Jahr 2000 hat die Bundesrepublik stark in die Atomenergie investiert. So wie es heute noch Kohleförderung gibt, gab es in den Anfangsjahren der Nukleartechnik staatlich finanzierte Grundlagenforschung, von der die Konzerne profitierten. Die ersten drei kommerziell betriebenen AKW in Deutschland wurden beispielsweise zu 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Auch der Aufbau der Endlagerforschung wurde wesentlich von Bundesinstituten unternommen. Energieunternehmen müssen zwar Rückstellungen zur Endlagerung nachweisen und dazu auch Versicherungen abschließen, jedoch sind diese verhältnismäßig gering. Das Atommülllager Asse II beispielsweise wurde als "Forschungsbergwerk" deklariert und ebenso staatlich gefördert, von der Industrie aber als Atommüllkippe benutzt. Hinzu kommt, dass die Logistik von Nuklearprodukten zu einem großen Teil von der öffentlichen Hand bezahlt wird - wie etwa die kostspielige polizeiliche Sicherung von Atommülltransporten.

Was sind die Konsequenzen für erneuerbare Energien?

In Form einer Sonderabgabe soll ein Teil des Geldes der Atomkonzerne in erneuerbare Energien fließen. Es ist anzunehmen, dass die Atomkonzerne sogar selbst Mittel aus diesem Fonds nutzen können, beispielsweise wenn sie am Aufbau und der Finanzierung von Anlagen für erneuerbare Energien beteiligt sein sollten, was als ziemlich wahrscheinlich gilt. Einige der Konzerne kündigten bereits an, sich besonders bei den geplanten Offshore-Windparks engagieren zu wollen. Experten gehen deshalb davon, dass die Konzerne dem Fonds-Vertrag nur zustimmen werden, wenn sie entsprechende Mittel abgreifen können.

Die Bundesverband Erneuerbare Energien bewertet den Fonds für erneuerbare Energien als Farce. Der Grund: Die für den Dauerbetrieb konzipierten Atomkraftwerke können sich den schwankenden Strommengen aus Wind und Sonne nicht in dem Maße anpassen wie etwa moderne Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke. Schon heute werden immer wieder Windkraftanlagen in Norddeutschland bei einer Überproduktion ausgeschaltet. Daher fürchtet die Ökostrombranche als nächstes einen Angriff der AKW-Betreiber auf den bislang geltenden Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Einspeisung ins Netz.

Enttäuscht sind auch die kleinen Stromversorger: "Die Bundesregierung hat sich einseitig auf die Seite der großen Energieunternehmen geschlagen", teilte der Verband kommunaler Unternehmer mit. Die rund 800 Stadtwerke, die der Verband vertritt, hatten im Vertrauen auf den vor zehn Jahren unter Rot-Grün vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie in moderne Kraftwerke und den Ausbau erneuerbarer Energien investiert. Nun drohen diese Anlagen unrentabel zu werden, weil billiger Atomstrom möglicherweise auf Jahre im Netz bleiben wird.

Wie ist der schwarz-gelbe Kompromiss rechtlich umsetzbar?

Nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist das Atomrecht eindeutig eine Angelegenheit des Bundes - eine Umsetzung daher unproblematisch. SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Grünen sehen das anders. Sie kündigten bereits einen Klage beim Bundesverfassungsgericht an.

Vorbehalte haben auch einige Bundesländer angemeldet - und gedroht, den Kompromiss im Bundesrat auszuhebeln. Ob die Länderkammer überhaupt zuständig ist, ist umstritten: Die Regierung kommt in Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass ein Laufzeitplus von durchschnittlich zwölf Jahren ohne die Länderkammer - in der die Regierung keine Mehrheit hat - durchgesetzt werden kann. Demgegenüber hält der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, eine Verlängerung für zustimmungsbedürftig.

Wird die AKW-Sicherheit angesichts längerer Laufzeiten verbessert?

Umweltminister Norbert Röttgen wollte ursprünglich die Sicherheitsauflagen für deutsche Atomkraftwerke drastisch erhöhen. Unter anderem sollten die Anlagen so sicher werden, dass sie selbst einem Anschlag aus der Luft oder einem Flugzeugabsturz standhalten. Die Atomkonzerne aber hatten kritisiert, dass dies zu teuer würde. Die CSU schließlich machte Röttgen einen Strich durch die Rechnung. Sie sprach sich vehement dagegen aus, Röttgens Vorschlag wurde zu den Akten gelegt. Jetzt sollen die Betreiber laut Kanzlerin Angela Merkel "erhebliche Summen in die Sicherheit investieren". Eine konkrete Zahl nannte Merkel allerdings nicht.