Orientierung in der Fremde "Welcome 2 Europe"
Orientierung in der Fremde - für Flüchtlinge ist das wichtig. Sie haben eine beschwerliche Reise hinter sich. Die Initiative "Welcome 2 Europe" will ihnen Hilfestellung geben. Jan Lukas Strozyk hat für tagesschau.de Mitgründerin Nevroz Duman interviewt.
tagesschau.de: "W2EU" hat in Griechenland fast 25.000 Broschüren mit Tipps für Flüchtlinge verteilt. Warum?
Nevroz Duman: Darin sind Informationen zu allen europäischen Ländern gesammelt. Man kann nachlesen, wie die Asylverfahren ablaufen, was die jeweiligen Gesetze sind oder welche Menschenrechtsorganisationen oder medizinische Hilfe es dort gibt. Auch Kontakte zu Beratungsstellen in verschiedenen Ländern gibt es dort. Menschen können uns aber auch in verschiedenen Sprachen direkt fragen, zum Beispiel wenn sie einen Anwalt suchen. Wir versuchen dann Kontakte zu vermitteln. Auf unserer Webseite gibt es weiteres Informationsmaterial, zum Beispiel Warnungen zur Flucht über das Meer.
Mit dem "Info-Bus" fahren sie zu griechischen Aufnahmelagern und Abschiebegefängnissen und bieten Hilfe an. Ein Mal im Jahr organisieren "W2EU" zusammen mit "Jugendliche ohne Grenzen" für junge Flüchtlinge, die mittlerweile anerkannt sind, eine Reise nach Lesbos: an den Ort, wo sie nach Europa gekommen sind, um vor Ort zu helfen. Eine Dokumentation des Projekts gibt es auf lesvos.w2eu.net.
"Die Menschen kommen nicht wegen eines Stückes Papier"
tagesschau.de: Ihre Broschüren könnten auch als eine Anleitung zur Flucht missverstanden werden. Haben Sie keine Sorge, dass Sie ungewollt Schlepper unterstützen?
Nevroz Duman: Menschen kommen nach Europa, weil sie leben wollen und nicht wegen eines Stückes Papier. Es ist menschenrechtsverachtend, zu behaupten, dass so etwas Schleppern hilft. Was wir bieten, sind Informationen für Menschen in Not, die ein Anrecht auf dieses Wissen haben. Flüchtlinge haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Gesetze und Regelungen in den jeweiligen Ländern existieren. Die Menschen kommen in Panik, sie wissen nicht, wie es mit ihnen weiter geht.
tagesschau.de: Aber sollte das dann nicht Aufgabe des Staats sein, die Flüchtlinge zu informieren?
Nevroz Duman: Nehmen wir als Beispiel Griechenland: Seit Jahren steckt das Land selbst in der Krise, ist total überfordert mit den Flüchtlingen. Natürlich ist Griechenland für viele schon wegen seiner Lage das Tor nach Europa. Aber die anderen Länder unterstützen die europäischen Grenzländer nahezu nicht. Ein großer Teil der Arbeit muss von freiwilligen Helfern gemacht werden, sonst wird gar nichts gemacht.
Flüchtlinge helfen aus Erfahrung
tagesschau.de: Was ist die Motivation von Ihnen und Ihren Mitstreitern, ausgerechnet in Griechenland zu helfen?
Nevroz Duman: Griechenland ist deshalb besonders, weil die Initiative "W2EU" sich 2009 dort gegründet hat. Bei uns arbeiten viele Aktivisten mit, die selbst nach Europa geflohen sind – über das Mittelmeer nach Griechenland. Heute sind sie sicher und wollen selbst helfen. Aber wir sind auch in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich, in Ungarn und in anderen Ländern aktiv mit unterschiedlichen Projekten. Uns eint, dass wir an ein Recht auf Bewegungsfreiheit glauben. Und wenn Flüchtlinge sich dieses Recht nehmen möchten, trotz geschlossener Grenzen und Zäune, dann unterstützen wir sie dort, wo sie uns brauchen.
tagesschau.de: Wie organisieren Sie diese Arbeit?
Nevroz Duman: Wir tauschen Informationen über E-Mail-Listen und versuchen uns etwa zwei Mal im Jahr zu treffen. Dann verteilen wir die Aufgaben. Wichtig ist, dass wir die Webseite und die Broschüren aktualisieren, da sich gerade überall in Europa ständig die Gesetze und Regelungen ändern. Wir bekommen zudem pro Tag zwischen fünf und 15 Anfragen von Flüchtlingen per E-Mail. Da sind natürlich die Sprachkenntnisse unserer Aktivisten entscheidend.
Nevroz Duman (26) ist mit zwölf Jahren selbst nach Europa geflohen – in einem Boot über das Mittelmeer. Damals wäre ihre Familie für jede Information dankbar gewesen, heute arbeitet die Kurdin selbst in der Flüchtlingshilfe bei einer mobilen Beratung. Sie lebt in Hanau und engagiert sich neben W2EU auch für die Organisation "Jugendliche ohne Grenzen".
tagesschau.de: Wie finanziert sich die Initiative?
Nevroz Duman: Wir leben von Spenden und ehrenamtlicher Hilfe. Den Druck Broschüre "Welcome to Greece" mit den Informationen für die ankommenden Flüchtlinge hat zum Beispiel die Menschenrechtsorganisation "medico international" finanziert.
tagesschau.de: Wie kann man "W2EU" unterstützen?
Nevroz Duman: Wer mitmachen oder spenden möchte, findet alle Informationen auf w2eu.info.
Das Interview führte Jan Lukas Strozyk (NDR).