Luftfahrtjournalist zu Zwischenfällen bei Airlines "Fliegen war noch nie so sicher wie heute"
Seit Wochen mehren sich die Zwischenfälle bei Billigairlines. Hat die Branche ein Sicherheitsproblem? "Nicht wirklich", sagt Luftfahrtexperte Andreas Spaeth gegenüber tagesschau.de. Fliegen sei noch nie sicherer gewesen. "Aber der Druck auf Piloten und Mitarbeiter ist sehr hoch, vor allem bei Ryanair."
tagesschau.de: In den vergangenen Tagen und Wochen mehren sich Meldungen über Probleme bei Fluggesellschaften, darunter verschiedene Billigflieger. Wie erklären Sie sich diese Häufung?
Andreas Spaeth: Häufungen von Unfällen und Zwischenfällen sind oft einfach statistische Zufälle. Im Moment stehen die sogenannten Billigflieger besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Da kann es passieren, dass Kleinigkeiten, die normalerweise niemanden interessieren würden, zu großen Meldungen werden.
tagesschau.de: Woher kommt diese verstärkte Aufmerksamkeit?
Spaeth: Bis heute können die Menschen noch nicht wirklich verstehen, wie es sein kann, dass Fliegen so billig ist. Plötzlich kann man für 40 Euro nach Portugal fliegen, früher kostete das 400 Mark. Deshalb herrscht bei vielen immer der Verdacht, 'wenn das so billig ist, dann kann da ja etwas nicht stimmen'. Deshalb müssen Billigairlines auch sehr aufpassen. Denn wenn sie mal einen Unfall hätten, dann würde sehr schnell ihr gesamtes Geschäftsmodell ins Wanken geraten. Die größte Gefahr für sie ist, dass der Verbraucher das Vertrauen verliert.
tagesschau.de: Es gibt also keinerlei Verbindung zwischen den Fällen bei Ryanair, Air Berlin und Germanwings?
Spaeth: Die verschiedenen Zwischenfälle der vergangenen Wochen, sind auf ganz unterschiedliche Ursachen zurückzuführen. Bei Air Berlin gab es im September einen diese Woche bekannt gewordenen, angeblichen Fall von Treibstoffknappheit, weshalb ein Flugzeug auf Kreta notlanden musste. Das hat das Luftfahrtbundesamt behauptet, Air Berlin bestreitet das. Beim aktuellen Zwischenfall einer Notlandung in Phuket, ist ein Triebwerk beim Start ausgefallen oder in Brand geraten. Zwischen diesen beiden Fällen gibt es überhaupt keinen Zusammenhang.
"Bei Ryanair herrscht starker Druck"
tagesschau.de: Auch nicht bei Ryanair? Hier scheint es doch in letzter Zeit massive Probleme zu geben?
Spaeth: Bei Ryanair liegt der Fall in der Tat etwas anders. Diese ganze Reihe von Meldungen über die angebliche Schummelei beim Abfluggewicht, Notlandungen, technische Probleme und ähnliches deuten schon darauf hin, dass bei Ryanair starker Druck herrscht. Bei allen Abläufen wird sehr genau darauf geachtet, keinen Cent zu viel auszugeben.
tagesschau.de: Wie genau sieht dieser Druck aus?
Spaeth: Es gibt interne Anweisungen der Geschäftsführung an die Piloten, dass sie zwar die gesetzlichen Bestimmungen einhalten sollen, aber nicht mehr tanken sollen als das vorgeschriebene Minimum. Es gibt aber Situationen in der Luftfahrt, wo es ratsam ist, etwas mehr Kerosin mitzunehmen. Beispielsweise, wenn das Wetter am Zielort schlecht ist. Ein Pilot entscheidet das dann oft aufgrund seiner Erfahrung und seines Bauchgefühls. Bei Ryanair hat man es als Pilot aber schwer, wenn man gern mal etwas mehr Kerosin mitnimmt. Da muss man hinterher schriftliche Begründungen abgeben, bekommt eine Menge Bürokratie aufgehalst und zieht den Argwohn der Geschäftsführung auf sich.
"Die Sicherheitsmargen sind geringer geworden"
Allerdings gibt es keinen Fall, in dem Ryanair ein Verstoß gegen irgendeine Bestimmung nachgewiesen werden konnte. Aber Tatsache ist, dass die Sicherheitsmargen, die es für die Luftfahrt gibt, insgesamt geringer geworden sind. Früher hat man eben manchmal extra viel Treibstoff mitgenommen, heute nähert man sich immer mehr dem gesetzlichen Minimum an. Den Airlines geht es insgesamt nicht so gut. Das heißt, sie müssen auch sparen. Ryanair geht es hingegen verhältnismäßig gut. Vielleicht aber gerade auch deshalb, weil sie so effizient sparen. Das ist ein schmaler Grat.
tagesschau.de: Warum ist es so viel kostensparender, wenig zu tanken?
Spaeth: Zum einen ist der Spritpreis derzeit beinahe auf Rekordhoch. Zum anderen kostet auch das Mitnehmen von Sprit wiederum mehr Sprit. Denn durch den Extrasprit wird die Maschine schwerer und dadurch verbraucht man auch mehr. Deshalb ist es schon verständlich, dass die Airlines darauf achten, nicht unnötig viel Sprit mitzunehmen. Ein dritter Grund sind die Gebühren: Je mehr ein Flugzeug beim Abflug wiegt, desto teurer ist es. Da kann es schon mal sein, dass man durch mehr Sprit eine höhere und damit teurere Gewichtsklasse erreicht.
Diesen Trend gibt es allerdings schon lange und zwar bei allen Airlines, auch bei der Lufthansa. Rechtlich ist das völlig in Ordnung. Aber natürlich war früher durch den Extrasprit auch eine Extrasicherheitsmarge möglich. Da waren die Flugpreise aber auch noch viel höher. Heute fliegt der Verbraucher ja so billig wie nie.
"2012 war das sicherste Flugjahr überhaupt"
tagesschau.de: Heißt das, dass man mit dem billigen Flugpreis weniger Sicherheit in Kauf nimmt?
Spaeth: Nein, das kann man so nicht sagen. Die Branche hat sich einfach so entwickelt. Fliegen ist heute viel billiger als vor zehn oder 20 Jahren. Dadurch leidet die Luftfahrt auch stärker unter betriebswirtschaftlichen Zwängen als früher. So sind die Sicherheitsmargen generell kleiner geworden. Andererseits sind Flugzeuge heute mit extrem zuverlässiger Technik ausgestattet, weshalb solche Margen heute auch eher ausgereizt werden können. Das Jahr 2012 war das sicherste in der gesamten Geschichte der zivilen Luftfahrt. Das ist eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, dass rund zweieinhalb Milliarden Passagiere weltweit befördert wurden. Und wir hatten in diesem Jahr bisher nicht einmal 500 Tote im weltweiten Passagierverkehr. Das ist extrem wenig. Fliegen war noch nie so sicher wie heute.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.