Prozessauftakt in Koblenz Syrische Ex-Geheimdienstler vor Gericht
In Koblenz beginnt der weltweit erste Prozess wegen Foltervorwürfen gegen Mitarbeiter des Assad-Regimes in Syrien. Was wird ihnen vorgeworfen - und warum stehen sie in Deutschland vor Gericht?
Wer sind die Angeklagten?
Anwar R. und Eyad A. - zwei ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdiensts. Anwar R. soll eine leitende Funktion in einem Gefängnis des Geheimdienstes in Damaskus gehabt haben. Er soll dort die Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten der Ermittlungseinheit gehabt haben und Vorgesetzter des Gefängnispersonals gewesen sein. Eyad A. soll Mitarbeiter in einer Unterabteilung gewesen sein.
2012 verließen die beiden Männer Syrien und gelangten schließlich nach Deutschland. Anwar R. soll seit 2014 im Land sein, Eyad A. seit 2018. Nach Informationen der deutschen Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) waren die Männer schon vor längerer Zeit desertiert. Ein nach Deutschland geflohener Menschenrechtsanwalt aus Syrien hatte Anwar R. 2014 in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin wiedererkannt. Derzeit sitzen beide Angeklagte in Untersuchungshaft.
Was wird ihnen vorgeworfen?
Die Bundesanwaltschaft wirft Anwar R. vor, in den Jahren 2011 und 2012 ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-facher Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung begangen zu haben. Unter seiner Führung und Verantwortung seien zahlreiche Gefängnis-Insassen getötet und gefoltert worden - unter anderem durch Schläge, Tritte und Elektroschocks. Dabei soll es mindestens eine Vergewaltigung und eine schwere sexuelle Nötigung gegeben haben. Den Inhaftierten sei zudem die Misshandlung naher Angehöriger angedroht worden. Die brutalen physischen und psychischen Misshandlungen hätten dazu gedient, Geständnisse zu erzwingen und Informationen über die Oppositionsbewegung zu erlangen.
In dem Gefängnis herrschten den Ermittlern zufolge unmenschliche und erniedrigende Bedingungen. Den Häftlingen sei konsequent eine medizinische Versorgung und die Körperpflege verweigert worden, es habe nicht genug zu essen gegeben, oft seien die Nahrungsmittel schlichtweg ungenießbar gewesen. Die Haftzellen seien so stark überfüllt gewesen, dass es häufig nicht möglich gewesen sei, sich zu setzen oder hinzulegen.
Eyad A. wird Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Im Herbst 2011 habe er nach der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration mit Kollegen die Straßen nach fliehenden Demonstranten abgesucht. Schließlich seien mindestens 30 Personen festgenommen und mit Bussen zu dem Gefängnis gebracht worden, wobei Eyad A. den Transport in einem der Busse begleitet habe. Die Festgenommenen seien auf der Fahrt zum Gefängnis und auch bei ihrer Ankunft dort geschlagen worden. Im Gefängnis seien sie dann brutal misshandelt und systematisch gefoltert worden. Eyad A. habe bei der Festnahme der Demonstranten um die regelmäßige und systematische Folter in dem Gefängnis gewusst.
Wie will die Bundesanwaltschaft diese Vorwürfe beweisen?
Die Ermittler sammeln seit 2011 Informationen zu Kriegsverbrechen in Syrien. In Berlin und Karlsruhe haben sie ausführlich Zeugen vernommen. Außerdem gibt es Fotos, die Leichen mit Folterspuren in einem Krankenhaus in Damaskus zeigen. Der Menschenrechtsorganisation ECCHR zufolge wurden die Bilder zwischen Mai 2011 und August 2013 in Syrien aufgenommen, von der Caesar Files Group gesichert und außer Landes gebracht. Sie zeigen Leichen von Menschen, die in Haftanstalten der syrischen Regierung gefoltert wurden und gestorben sind. Die Metadaten der Bilder lieferten Hinweise auf Orte, Institutionen, Foltermethoden und Todesursachen. Außerdem haben die beiden Syrer selbst Aussagen gemacht, die zum Teil verwertet werden könnten.
Was sagt die Verteidigung?
Die Anwälte der beiden Syrer wollen sich vor Prozessbeginn nicht öffentlich äußern. Im Fall von Eyad A. haben sich die Vorwürfe der Ermittler bereits erheblich reduziert. Ursprünglich hatte die Bundesanwaltschaft dem Mann Beihilfe zu Folter in mindestens 2000 Fällen und Beihilfe zur Tötung in mindestens zwei Fällen zur Last gelegt. Diese Vorwürfe basierten aber im Wesentlichen auf Angaben, die Eyad A. während seines Asylverfahrens und einer Befragung als Zeuge durch das Bundeskriminalamt (BKA) gemacht hatte. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs - der über den Haftbefehl gegen den Syrer entscheiden musste - hätte Eyad A. zu einem bestimmten Zeitpunkt im Laufe der Befragung durch das BKA aber über seine Rechte als Beschuldigter belehrt werden müssen. Teile seiner Aussage sind deshalb nicht verwertbar (Aktenzeichen StB 14/19).
Wieso ist ein Strafprozess in Deutschland möglich?
Es geht um Taten in einem syrischen Gefängnis, die Beschuldigten sind Syrer, die Opfer sind Syrer - doch dass die Taten in Syrien selbst geahndet werden, erscheint derzeit ausgeschlossen. Auch ein Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ist nicht möglich, weil Syrien dem Gerichtshof nicht beigetreten ist. Zwar könnte der UN-Sicherheitsrat dem Gerichtshof per Resolution aufgeben, trotzdem in Syrien zu ermitteln. Eine solche Entscheidung wird allerdings von Russland blockiert.
Bleibt das sogenannte "Weltrechtsprinzip", das viele Länder - darunter Deutschland - in ihr nationales Strafrecht aufgenommen haben. Dieses Prinzip bedeutet: Bestimmte Straftaten können auch dann hierzulande verfolgt werden, wenn die Tat im Ausland begangen worden ist und es keinen Bezug zu Deutschland gibt. Dabei geht es um Taten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Führen eines Angriffskriegs. Geregelt ist das im "Völkerstrafgesetzbuch".
Der Prozess findet vor dem Oberlandesgericht Koblenz statt, weil Eyad A. in Rheinland-Pfalz festgenommen wurde. Alternativ hätte die Bundesanwaltschaft auch beim Kammergericht Berlin Anklage erheben können, dem Ort der zweiten Festnahme.
Wer sind die Nebenkläger und Zeugen?
Überlebende der Folter und Angehörige der Opfer. Unterstützt werden sie von der deutschen Organisation ECCHR, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen. Gemeinsam mit syrischen Aktivisten und Anwälten haben sie nach eigenen Angaben seit 2016 eine Reihe von Strafanzeigen zu Folter in Syrien gestellt - in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen.