Stichwahl in Frankreich Der nervöse Blick nach Paris
Frankreich wählt - und in Europa herrscht eine gewisse Anspannung. Denn ob Präsident Macron oder seine Herausforderin Le Pen das Rennen macht, ist entscheidend für die europäische Gemeinschaft.
Die deutsche Politik schaut mit Anspannung auf den Ausgang der Wahl, denn er könnte die deutsch-französischen Beziehungen und damit auch die Zusammenarbeit in Europa auf den Kopf stellen. Mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei Rassemblement National stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die für einen diametral entgegengesetzten Kurs stehen.
Der liberale, geradezu europa-enthusiastische Macron - und Le Pen, deren Vorstellungen und politischen Projekte am Ende nichts anderes bedeuten, als den Rückzug ins Nationale. Entsprechend nervös schaut man in Deutschland auf die zweite und entscheidende Runde der Wahl. Aktuell liegt Macron in den Umfragen zehn Prozentpunkte vor seiner Herausforderin.
Sieg Le Pens hätte wohl gravierende Folgen
Für den SPD-Politiker Nils Schmid, Vorsitzender des Vorstands der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, ist das Anlass für einen zumindest vorsichtigen Optimismus. Wobei es ein bisschen wirkt, als wolle er an einen Sieg Le Pens gar nicht erst denken: "Für die Europapolitik und speziell für die deutsch-französische Zusammenarbeit wäre das eine Katastrophe."
Auch aus Sicht von Ronja Kempin, Expertin für deutsch-französische Beziehungen sowie Sicherheit und Verteidigung bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hätte ein Wahlerfolg Le Pens gravierende Folgen. "Viele Beobachter sagen sogar, sie wäre deutlich dramatischer für Deutschland und die EU als die Wahl Donald Trumps 2016 in den USA", betont Kempin, denn das Programm von Le Pen ist auf vielen Ebenen ein radikaler Bruch mit der bisherigen Europapolitik Frankreichs.
Le Pen und das "Europa der Vaterländer"
In ihrem Wahlprogramm spricht sie sich für eine "europäische Allianz der Nationen" aus, die die EU "schrittweise ersetzen soll". Diese "Allianz" sei der Gegenentwurf zu dem, was sie als einen "ideologisch aufgeladenen, föderalistischen Super-Staat" bezeichnet. Konkret hat die Kandidatin unter anderem angekündigt, Frankreichs Beitrag zum EU-Budget deutlich zurückzufahren und qua Verfassungsreferendum dafür zu sorgen, dass das nationale französische Recht über dem EU-Recht steht.
Auch wenn diese Forderungen europarechtlich mehr als fragwürdig sind und politisch kaum umsetzbar sein dürften: Sie stehen für eine radikale Abkehr einer vertieften europäischen Integration und stellen damit auch die Rolle der deutsch-französischen Zusammenarbeit als Motor dieser Integration in Frage.
Die Ampel und En Marche: europapolitischer Gleichschritt?
Macrons Programm ist der krasse Gegenentwurf dazu. Als Macron 2017 Präsident wurde, hatte er in seiner Sorbonne-Rede weitreichende, fast schon visionäre Ideen vorgestellt, wie er die Europäische Union weiterentwickeln wolle. Dazu zählten unter anderem die Harmonisierung der europäischen Sozial- und Fiskalsysteme und die Entwicklung einer europäischen Verteidigungspolitik, unter anderem mit einem gemeinsamen Verteidigungsbudget.
Der Koalitionsvertrag der deutschen Ampel-Regierung nimmt vieles davon auf - insbesondere die Idee einer größeren europäischen Souveränität in zentralen Bereichen wie Energieversorgung oder digitaler Technologie, in denen die EU eigenständig handlungsfähig sein solle.
Sollte Macron wiedergewählt werden, dann ist zu erwarten, dass er beim Umsetzen seiner ehrgeizigen Ziele Tempo machen und entsprechend Druck auf den deutschen Partner ausüben wird. "Da wird auch Berlin gefordert sein, mitzuziehen und zumindest Antworten zu liefern auf Macrons europapolitische Impulse", denkt Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Ziemlich beste Freunde - mit zum Teil verschiedenen Ansichten
Das bedeutet aber nicht, dass zwischen Deutschland und Frankreich grundlegende Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Politikfeldern ausgeräumt sind. Beispielsweise in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, beim Thema Atomkraft und nicht zuletzt in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Zwar sei die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte "Zeitenwende" in Frankreich wohlwollend aufgenommen worden, so Kempin, was aber das jahrelange Gefühl, Deutschland verlasse sich in Sachen Verteidigung zu stark auf die europäischen Partner, nicht komplett aufwiege.
Ein konkreter Anlass für Verstimmung: die deutsche Ankündigung, amerikanische F-35-Kampfflugzeuge kaufen zu wollen. "Man hatte in Frankreich gehofft, dass vielleicht auch das französische Flugzeug "Rafale" zum Zug kommt. Und man macht sich große Sorgen darüber, wie ernst es der Bundesregierung mit den gemeinsamen Rüstungsprojekten ist, die man mit der Vorgängerregierung 2017 beschlossen hat", sagt Kempin.
Es gibt auch Annäherungen
Aber es hat auch - schon in den letzten Jahren der Regierung von Angela Merkel - deutliche Annäherungen an die französischen Positionen gegeben, betont SPD-Politiker Schmid. Gerade der Corona-Wiederaufbaufonds habe gezeigt, dass auch Deutschland aufgeschlossen ist, die EU handlungsfähiger zu machen. "Und wir werden noch in dieser Legislaturperiode darüber diskutieren müssen, wie wir nach der Umsetzung dieses Fonds weitere Schritte für gemeinsame europäische Anstrengungen im Bereich Wirtschaft, Infrastruktur, neue Technologien hinbekommen", so Schmid.
Scholz' Wahlaufruf in "Le Monde"
Am Donnerstag hatte Kanzler Scholz gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Spanien und Portugal, Pedro Sánchez und António Costa, einen Gastbeitrag in der französischen Tageszeitung "Le Monde" veröffentlicht, der indirekt zur Wahl Macrons aufruft. Ein ungewöhnlicher Schritt - deutlicher vielleicht, als es sich für einen Regierungschef vor einer Wahl im Nachbarland gehört.
Es sind die Ideen Le Pens, die den Bundeskanzler haben aktiv werden lassen. In dem Beitrag schreiben die drei Politiker, alle Sozialdemokraten, unter anderem: "Es ist die Wahl zwischen einem demokratischen Kandidaten. Einem der daran glaubt, dass auch Frankreich innerhalb eines mächtigen und eigenständigen Europas stärker ist. Und einer Kandidatin der extremen Rechten, die sich offen auf die Seite derer stellt, die unsere Freiheit und unsere Demokratie angreifen." Zwar werden keine Namen genannt, aber es ist mehr als deutlich, wer da jeweils gemeint ist.
Der Schritt mag ungewöhnlich erscheinen, sagt Schmid, trage aber der europäischen Realität Rechnung: "Europäische Politik fließt ein in die nationale Politik. Deswegen kann es uns nicht gleichgültig sein, wenn eine rechtsradikale, antieuropäische Politikerin gewählt werden könnte."
Für Ronja Kempin zeigt es die große Nervosität, die aus deutscher und europäischer Sicht mit der Wahl verbunden ist. Und "es zeigt auch, dass den Regierungschefs klar ist, mit welchen einschneidenden Konsequenzen eine Wahl Marine Le Pens für den Fortgang des europäischen Integrationsprozesses verbunden wäre."