Gedenken an Widerstandskämpfer Aufruf zur Wachsamkeit
77 Jahre nach dem Attentat auf Adolf Hitler ist in Berlin der Frauen und Männer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gedacht worden. Arbeitsminister Heil warnte vor NS-Vergleichen durch Kritiker der Corona-Maßnahmen.
Mit Aufrufen zur Wachsamkeit und zur Verteidigung der Demokratie haben Vertreter von Bund und Ländern in Berlin an die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 erinnert. Das zentrale Gedenken der obersten Verfassungsorgane fand gemeinsam mit der Stiftung 20. Juli 1944 in der Gedenkstätte Plötzensee statt. Unter den Teilnehmern waren Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Sachsen-Anhalts Ministerpräsident und Bundesratsvorsitzender Reiner Haseloff (CDU) sowie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).
Müller sagte, das vor 77 Jahren gescheiterte Attentat sei zu Recht einer der wichtigsten Tage in der deutschen Geschichte. Mutige Frauen und Männer hätten ein Zeichen gegen Unmenschlichkeit gesetzt und für Werte gekämpft, die auch heute verteidigt werden müssten. Die Geschichte habe eindringlich gezeigt, wohin es führt, wenn rechtspopulistischen Brandstiftern das Feld überlassen werde.
Missbrauch durch Kritiker der Corona-Maßnahmen
Bundesarbeitsminister Heil warnte vor falscher Vereinnahmung des deutschen Widerstands "durch ein bestimmtes politisches Milieu", wie den Kritikern der Corona-Maßnahmen. "Der Missbrauch des Widerstands gehört längst zum geschmack- und geschichtslosen Narrativ eines bestimmten politischen Milieus in Deutschland", sagte Heil.
Der "Widerstand" werde in einem Milieu missbraucht, "das gleichzeitig die Nähe zu den geistigen Erben des Nationalsozialismus nicht scheut". Der Minister bezeichnete es mit Blick auf die Demonstrierenden als "infame Ironie", die Widerstandskämpferin Sophie Scholl "politisch zu vereinnahmen und gleichzeitig gemeinsam mit notorischen Neonazis zu marschieren". Bei einer Corona-Demonstration in Hannover im November hatte sich eine Rednerin mit Sophie Scholl verglichen und breite Kritik hervorgerufen.
"Unsere Pflicht, diesem Missbrauch entgegenzutreten"
"Es ist deshalb unsere Pflicht, diesem Missbrauch des Gedenkens mit Entschlossenheit entgegenzutreten", sagte der SPD-Politiker. "Heute gedenken wir ausdrücklich allen Menschen und Gruppierungen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben, mit Trauer und mit Respekt." Heil kritisierte zudem Vergleiche zwischen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen und dem "Kampf gegen Krieg und Völkermord".
Der Minister rief zum Gedenken an alle Gruppen und Formen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten auf. Die Erinnerung dürfe nicht von einer "parteiischen Geschichtspolitik" beeinflusst werden. Als Beispiel nannte Heil den Widerstand aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, der in der DDR und der Bundesrepublik lange gegensätzlich bewertet worden sei. Dies habe "den Blick auf die gesellschaftliche Breite des Widerstands verstellt". Auch die gegen die Nationalsozialisten engagierten Frauen verdienten mehr "Anerkennung und Aufmerksamkeit", mahnte der Minister. Sie hätten ebenfalls eine "brutale Verfolgung des Regimes riskiert". Viele von ihnen seien jedoch unbeachtet geblieben.
Josef Schuster und Annegret Kramp-Karrenbauer erinnerten vor Rekruten an die Grenzen des Gehorsams.
Gelöbnis von Rekruten
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer rief bei einem feierlichen Gelöbnis von mehr als 100 Rekruten in Berlin dazu auf, das Erbe des militärischen Widerstands zu bewahren. Der 20. Juli gehöre "zur DNA der Bundeswehr", sagte sie. Gehorsam in der Bundeswehr stehe immer unter dem Vorbehalt des Gewissens. Die Rekruten gelobten ihre Treue nicht einer Person, sondern dem demokratischen, freiheitlichen Gemeinwesen und seiner Rechtsordnung.
Mit Blick auf den 20. Juli 1944 sprach sie von einem "verzweifelten und späten Versuch", Deutschland von der NS-Schreckensherrschaft zu befreien. Dieser Versuch stifte bis heute Sinn, auch wenn er gescheitert sei. "Die Befreiung vom Nationalsozialismus gelang den Deutschen nicht aus eigener Kraft. Andere haben uns befreit." Die Ministerin betonte bei der Veranstaltung im Bendlerblock, dass Antisemitismus in der Bundeswehr keinen Platz habe.
Schuster mahnt: Nicht wegschauen
Als Ehrengast sprach Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, zu den Rekruten. Er erinnerte an die Grenzen des soldatischen Gehorsams und ermunterte dazu, nicht wegzuschauen. Heute werde mit tiefem Respekt auf die Widerstandskämpfer geschaut. "Respekt bedeutet nicht, sie als Helden zu verehren oder auf einen Sockel zu stellen, denn dies hielte ich für falsch", sagte er.
Auch Schuster kritisierte, dass sich Corona-Leugner und sogenannte Querdenker auch mit Zeichen des Widerstands gegen den NS-Staat zeigten. Die sei infam und abstoßend. "Sie treten das Erbe der Widerstandskämpfer mit Füßen", sagte er. "Diese Menschen müssen spüren, dass sie mit ihrer Meinung isoliert sind."
Am 20. Juli 1944 war der Sprengstoffangriff einer Gruppe deutscher Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler gescheitert. In den folgenden Stunden und Tagen wurden er und weitere rund 200 Mitwisser und Angehörige hingerichtet. Viele andere wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt.