Nach Attac-Urteil Freiheit der Zivilgesellschaft in Gefahr?
Seit der Bundesfinanzhof Attac die Gemeinnützigkeit entzogen hat, sind viele Organisationen alarmiert. Sie fürchten, auch sie könnte ein ähnliches Schicksal treffen. Ist die Sorge begründet?
Dieses Urteil schlug ein wie eine Bombe: Vor einer Woche hat der Bundesfinanzhof dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit entzogen. Seither herrscht Unruhe bei zahlreichen Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen - insbesondere bei denen, die sich ebenfalls politisch betätigen. Denn: Der Einsatz für allgemeinpolitische Forderungen zur Tagespolitik und dazu durchgeführte Kampagnen gelte nicht als gemeinnützig, urteilte das höchste deutsche Finanzgericht.
Politiker der Union fühlten sich durch dieses Urteil offenbar ermutigt und verstärkten unmittelbar danach ihre Angriffe auf die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die CDU hatte schon auf ihrem Bundesparteitag im Dezember entschieden, die Gemeinnützigkeit der DUH prüfen lassen zu wollen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, bezeichnete die DUH in den Medien gar als "Abmahnunternehmen unter dem Deckmantel des Klimaschutzes" und forderte strengere Regeln, um "Missbrauch wie im Fall der Umwelthilfe" zu verhindern.
Der Verdacht, der durch solche Äußerungen im Raum steht, hat es in sich: Sollen kritische, politisch unbequeme Organisationen in ihrer Arbeit behindert, gar mundtot gemacht werden? Wer könnte als nächstes ins Visier geraten: Greenpeace? Campact? Amnesty International?
"Freiräume eingeschränkt"
Die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" e.V. befürchtet, dass Tausende Vereine und Organisationen betroffen sein könnten. Der Verein ist ein Zusammenschluss von mehr als 80 politisch engagierten Vereinen und Stiftungen, darunter auch Attac. Der Vorstand, Stefan Diefenbach-Trommer, sieht einen Trend, "die Freiräume für zivilgesellschaftliches Engagement einzuschränken" - weltweit und eben auch in Deutschland.
Das passiere alleine schon dadurch, dass viele Vereine jetzt verunsichert seien. "Viele fragen sich: Sollten wir diese oder jene Äußerung lieber unterlassen? Sollten wir lieber nicht zur Antirassismusdemo aufrufen?", sagt Diefenbach-Trommer. Für viele kleine Organisationen sei der Status der Gemeinnützigkeit eine Existenzfrage. Wenn sie ihn verlieren würden, könnten Unterstützer die Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen und sie wären nicht mehr von der Körperschaftssteuer befreit.
Kein Grund für Alarmismus?
Ein Alarmismus, der nicht angebracht sei, meint Rainer Hüttemann, Experte für Steuer- und Gemeinnützigkeitsrecht von der Uni Bonn. Das Attac-Urteil enthalte im Grundsatz keine neue Aussage. "Es geht im Kern darum, dass die Verfolgung politischer Zwecke im geltenden Katalog der Gemeinnützigkeit nicht enthalten ist", sagt Hüttemann im Gespräch mit tagesschau.de. "Wer in erster Linie politisch agieren möchte, ist im Bereich der Gemeinnützigkeit falsch aufgehoben."
Auch die Absetzbarkeit von Spendengeldern ist begrenzt. Das hat den Sinn, dass bei politischer Einflussnahme gleiche Chancen für alle gelten sollten und so Reiche nicht ihre Einfluss viel leichter geltend machen können als Mittellose.
Der Blick in die Abgabenordnung
Welche Organisation als gemeinnützig gilt, entscheidet zunächst das Finanzamt in der Regel auf Grundlage der Vereinssatzung. Ist die Gemeinnützigkeit einmal anerkannt, gilt sie nicht für immer, sondern wird regelmäßig überprüft. Grundlage dafür ist §52 der Abgabenordnung. Darin heißt es:
Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
Was als Förderung der Allgemeinheit gilt, ist in einer 25 Punkte umfassenden Liste aufgeführt: Naturschutz gehört dazu, Kunst und Kultur, Jugend- und Altenhilfe, Sport und auch der Karneval, das Amateurfunken und der Modellflug. Die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens gehört dazu, nicht aber "Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen."
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Kritik an "extrem veralteter" Liste
Diese Liste sei extrem veraltet und bilde die Facetten einer modernen Gesellschaft nicht ausreichend ab, sagen Kritiker. Diefenbach-Trommer fordert deshalb seit Jahren eine Reform der Kriterien. Die Förderung der Menschenrechte müsste beispielsweise explizit mit aufgenommen werden. Vor allem aber geht es ihm um die Frage der politischen Betätigung. Das sei - auch in den einschlägigen Gerichtsurteilen - nicht ausreichend definiert. "Wir wollen Rechtssicherheit für die Organisationen, die sich politisch einmischen", sagt er.
Hüttemann von der Uni Bonn teilt diese Kritik nicht. "Bei einer Organisation für Umweltschutz beispielsweise geht es darum, dass konkrete Umweltprojekte umgesetzt werden." Zu diesem Zwecke dürften solche Organisationen sich auch politisch einmischen. "Wenn man aber als Organisation vor allem umweltpolitisch aktiv ist, dann ist man eben keine gemeinnützige Einrichtung mehr, sondern eine politische." Das Attac-Urteil findet er deshalb nachvollziehbar, weil auch seiner Meinung nach bei der Organisation die politische Tätigkeit im Vordergrund stehe. Die DUH, Greenpeace oder den BUND beispielsweise sieht er aus den gleichen Gründen in ihrer Gemeinnützigkeit nicht gefährdet.