Generaldebatte im Bundestag "Keine Entschuldigung für Hetze und Parolen"
AfD-Fraktionschef Gauland hat im Bundestag die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin scharf kritisiert. Merkel appellierte, niemanden auszugrenzen. SPD-Politiker Schulz warf Gauland faschistische Rhetorik vor.
In der Generaldebatte im Bundestag hat es einen Schlagabtausch zwischen Bundesregierung und Opposition gegeben - das ist traditionell so. Aber dieses Mal war die Debatte besonders hitzig und emotional.
Zunächst kritisierte die AfD die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf. "Die Wahrheit ist: Es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben", sagte Fraktionschef Alexander Gauland zum Auftakt der Haushaltsdebatte.
Hunderte Chemnitzer hätten nach der Gewalttat spontan von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch gemacht. "Frau Merkel, Sie nannten das Zusammenrottung", sagte Gauland an die Kanzlerin gewandt. Sie habe damit die Demonstrationen im "Duktus eines totalitären Staates" kritisiert. "Hass ist erstens keine Straftat und hat zweitens seine Gründe", betonte er.
Gauland widmete seine Redezeit nur dem Flüchtlingsthema. Bei den Demonstrationen in Chemnitz habe es "ein paar Hohlköpfe" gegeben, die "Ausländer raus!" gerufen und den Hitler-Gruß gezeigt hätten. Aber er machte klar:
So widerlich Hitler-Grüße sind: Das wirklich schlimme Ereignis war die Bluttat zweier Asylbewerber.
"Begriffliche Auseinandersetzungen helfen nicht weiter"
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte in ihrer Rede, dass sie den seit Tagen andauernden Streit darüber beenden wolle, ob es in Chemnitz "Hetzjagden" auf Ausländer gab oder nicht. "Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter."
Sie zeigte Verständnis für empörte Bürger, die nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-Jährigen in der sächsischen Stadt protestiert hatten. Merkel betonte aber, diese Emotionen könnten keine "Entschuldigung für menschenverachtende Demonstrationen" sein. Die Kanzlerin erklärte, dass man nicht zulassen werde, "klammheimlich ganze Gruppen in unserer Gesellschaft" auszugrenzen:
Juden, Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten in unsere Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Parteien, in unser gesellschaftliches Leben.
Nach dem Tötungsdelikt in Chemnitz am 26. August waren drei Männer als Tatverdächtige ermittelt worden, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen waren. Direkt nach dem Verbrechen und in den Tagen darauf kam es zu mehreren Trauer- und Protestkundgebungen. Dabei wurden Ausländer angegriffen.
Merkel betonte, dass es keine "Entschuldigung für menschenverachtende Demonstrationen" gebe.
Diese Übergriffe waren unter anderem von Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert als "Hetzjagden" bezeichnet worden. Dem hatte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, widersprochen.
Merkel kritisiert SPD-Nein zu Syrien scharf
Scharf kritisierte Merkel die kategorische Absage des Koalitionspartners SPD an ein mögliches Eingreifen der Bundeswehr in den Syrien-Krieg. "Einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein", sagte sie.
Alle Antworten der Bundesregierung in dieser Frage würden auf Basis des Grundgesetzes und im Rahmen der parlamentarischen Verpflichtungen gegeben. "Aber von vornherein einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, das kann nicht die deutsche Haltung sein." Während CDU und CSU dies stark beklatschten, herrschte bei der SPD Schweigen. SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles schaute demonstrativ auf ihr Handy.
Nahles bekräftigte ihr "Nein"
SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles bekräftigte anschließend ihr Nein zu einer militärischen Beteiligung Deutschlands in Syrien. "Das Völkerrecht kennt aus gutem Grund kein Recht auf militärische Vergeltung und schon gar nicht durch einen Staat oder durch eine irgendwie zusammengestellte Koalition", sagte sie.
Nur die Vereinten Nationen könnten die internationale Gemeinschaft ermächtigen, auch militärisch zu handeln. "Solange dies nicht geschieht, können wir Sozialdemokraten keinem gewaltsamen Eingriff in Syrien zustimmen."
"Wir Sozialdemokraten können keinem gewaltsamen Eingriff in Syrien zustimmen", so Nahles.
Die USA haben wiederholt die Befürchtung geäußert, der syrische Machthaber Baschar al-Assad könnte bei einem Angriff auf die Rebellenhochburg Idlib Giftgas einsetzen. Für diesen Fall haben die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien mit Vergeltung gedroht.
Lindner wirft Regierung "Untätigkeit" vor
FDP-Fraktionschef Christian Lindner warf der Regierungskoalition Untätigkeit vor. Der vorgelegte Bundeshaushalt sei "ein Haushalt der fahrlässig verweigerten Gestaltung", sagte er in seiner Rede. "Niemals wäre es leichter, dass sich unser Land neu erfindet. Nichts aber passiert."
Lindner sagte, die Bundesregierung hätte etwa "unnötige Staatsbeteiligungen" wie die an der Deutschen Telekom auflösen können. Sie hätte auch Subventionen abbauen oder auf neue Subventionen wie das Baukindergeld verzichten können. Dies hätte den Weg für den Abbau alter Schulden, dringend nötige Investitionen in die Digitalisierung oder das vollständige Entfallen des Solidaritätszuschlags ab 2021 ermöglicht.
Die Bundesregierung hätte Subventionen einschränken müssen, meinte Lindner.
Der Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz sieht für das kommende Jahr Ausgaben von 356,8 Milliarden Euro vor. Das sind 13,2 Milliarden Euro mehr als für 2018 eingeplant sind. Neue Schulden will Scholz nicht machen.
Schulz wirft Gauland "Faschismus" vor
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Schulz hatte am Ende der Gauland-Rede mit einer Zwischenbemerkung reagiert. Eine ähnliche Diktion habe es im Bundestag schon einmal gegeben:
Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein tradiertes Mittel des Faschismus. Das haben wir heute erneut vorgeführt bekommen.
Es sei Zeit, dass die Demokraten in diesem Lande sich gegen diese Art der rhetorischen Aufrüstung wehrten, die am Ende zu einer Enthemmung führe, deren Resultat Gewalttaten auf den Straßen sei. "Es ist Zeit, dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt", mahnte der ehemalige Kanzlerkandidat.
Mit Blick auf eine frühere Äußerung Gaulands, der Nationalsozialismus sei ein "Vogelschiss der Geschichte", sagte Schulz: "Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen, auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte." Viele Abgeordnete applaudierten daraufhin.
Nach der Intervention von Schulz erteilte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Gauland das Wort. "Das ist nicht das Niveau, auf dem ich mich mit Ihnen auseinandersetze", sagte der AfD-Fraktionschef. "Das hat mit Faschismus überhaupt nichts zu tun, was ich gesagt habe."
"Alle Demokraten müssen zusammenstehen"
Linkspartei-Fraktionschef Dietmar Bartsch warf der Regierung mutloses Verwalten von Problemen statt Aufbruch und Energie vor. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen appellierte mit Blick auf fremdenfeindliche Tendenzen und Vorfälle an alle Demokraten, zusammenzustehen:
Die überwältigende Mehrheit der Menschen in unserem Land will das nicht: keine Hetze, keine Hitlergrüße, keinen Hass, keine Spalterei, keine Nazi-Gesänge, keine Angriffe auf jüdische Restaurants, keine Gewalt. Deswegen müssen wir jetzt als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen.