Anwohner und Ladeninhaber in Bad Neuenahr-Ahrweiler befreien ihre Häuser vom Schlamm und bringen unbrauchbares Mobiliar nach draußen.

Versicherungsschäden im Ahrtal Flutopfer unter Zeitdruck

Stand: 06.07.2024 15:16 Uhr

Der Wiederaufbau im Ahrtal stockt auch drei Jahre nach der Flut. In wenigen Tagen läuft eine Frist ab, die Versicherte um viel Geld bringen könnte, wenn sie nicht rechtzeitig gehandelt haben.

"Hier sehen wir die Rezeption, hier war das Büro, Küche, Frühstücksraum, und angegliedert der Pool." Marion Wenzel deutet auf die nackten Wände. Ihr Hotel "Avenida" im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler ist drei Jahre nach der Ahrtal-Flutkatastrophe immer noch ein Rohbau.

Draußen wuchert das Unkraut über die Stufen zum Eingang, drinnen wellt sich die Tapete an den Wänden im ersten Stock. "Es ist schon unglaublich, wie eine Nacht ein Leben zerstört und alles verändert. Diese drei Jahre: Es ist schon frustrierend, dass man nicht weiterkommt."

Marion Wenzel vor dem Eingang eines Gebäudes

Marion Wenzel vor ihrem Hotel: Eine Nacht hat ein Leben zerstört und alles verändert.

Seit 1982 hatte sie an dem Haus in Bad Neuenahr immer wieder gebaut, modernisiert und renoviert. Eigentlich wollte sie sich zur Ruhe setzen, hatte schon alles verpachtet. Mit der Ahrflut schwammen auch diese Pläne davon. Zum Glück im Unglück war sie versichert, dachte sie damals und hoffte auf schnellen Schadenersatz. Zügig wieder aufbauen, wieder in die Bahn kommen. Den Tourismus im Ahrtal, von dem die Region lebt, wieder auf die Beine helfen.

"Zuerst denkst du, du wischt einmal durch, alles gut"

Doch schnell wurde klar: So einfach wird das nicht. Gutachter und Handwerker beispielsweise waren schwer zu kriegen angesichts der enormen Zahl von Schadensfällen in der Region. Dazu kamen die Unklarheiten, was die Wiederaufbauregeln angeht: "Das hier ist ein Hotel, da muss die Technik stimmen", sagt Wenzel. Doch lange Zeit sei niemandem klar gewesen, was gestattet ist.

"Zuerst denkst du, du wischst einmal durch, alles gut. Und dann merkst du, das ist alles nicht so einfach. Die Gutachten habe ich erst vor anderthalb Jahren bekommen." Die brauchte sie aber, um ihrer Versicherung nachweisen zu können, dass sie wirklich wieder aufbaut.

Bürokratische Hürden behindern Bauvorhaben

Bauanfragen, Genehmigungsverfahren - alles Zeitfresser. Dazu der Papierkrieg mit ihrer Versicherung. Etwa 900.000 Euro fordert Marion Wenzel, knapp 600.000 Euro hat das Unternehmen bisher gezahlt.

"Viel zu wenig", sagt ihr Anwalt Markus Krämer. Das Geld, das sie bislang erhalten habe, reiche nicht, um überhaupt Aufträge zu erteilen. "Wenn sie nicht bis Ende nächster Woche Aufträge erteilt, dann fehlen ihr Hunderttausende von Euro. Und wenn innerhalb einer Woche keine Handwerker anrücken, dann hat der Versicherer viel Geld gespart und Frau Wenzel ist gezwungen, aus der Fluthilfe vom Steuerzahler Ansprüche zu stellen." 

Countdown für Nachweise läuft

Denn Ende nächster Woche ist der Stichtag: Drei Jahre nach dem Schadensfall müssen Geschädigte ihrem Versicherer nachweisen, dass sie wirklich wieder aufbauen. Nur dann werden sie nicht nur für den Zeitwert des zerstörten Eigentums entschädigt, sondern bekommen den Neuwert erstattet. Die Differenz ist die sogenannte Neuwertspitze. Gerade bei den aktuellen Baukosten kann dieser Wert erheblich über dem Zeitwert liegen.

Für die Versicherten bedeutet das jetzt Zeitdruck, wenn sie nicht lückenlos nachweisen können, alles Erforderliche für den Wiederaufbau unternommen zu haben. Anwalt Markus Krämer hält die Frist für viel zu kurz und kritisiert: "Es ist kein Einzelfall. Es sind sehr viele betroffen. Die Politik sprach von schneller unbürokratischer Hilfe; die Versicherer von schneller, unbürokratischer Hilfe. Das ist alles Quatsch, das stimmt nicht." In der Praxis sei das genaue Gegenteil der Fall. "Ich habe selten so komplizierte Verfahren erlebt wie hier."

Marion Wenzel und eine weitere Person stehen vor einem alten Schwimmbad

Etwa 900.000 Euro fordert Marion Wenzel von ihrer Versicherung für die umfassenden Sanierungsarbeiten an ihrem Hotel.

Kulanzregelung gibt Grund zur Hoffnung

Wahrscheinlich auch selten so viele: Rund 29.000 Schäden wurden den Versicherungen laut Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) nach der Ahrflut gemeldet. 90 Prozent der Schadensumme - etwa 2,4 Milliarden Euro - seien bereits ausgezahlt.

Angesprochen auf die Stichtagsregelung, teilt der GDV mit: "Nicht abgeschlossene Schadenfälle werden weiterhin bearbeitet. Niemand muss befürchten, dass die Versicherer am 15.07.2024 'die Arbeit einstellen' werden." Ausgenommen seien die Fälle, in denen der Wiederaufbau nicht sichergestellt sei, die Versicherten also nichts unternommen hätten.

Die R+V Versicherung beispielsweise hat nach eigenen Angaben für die Flutbetroffenen die Frist für den Nachweis der Wiederherstellung des Gebäudes und damit die Zahlung des Neuwertanteils von drei auf fünf Jahre verlängert.

Streitfälle vorerst ungelöst

Die Versicherung von Marion Wenzel stelle sich dagegen noch quer, sagt sie. Schlimmstenfalls müsse sie Fluthilfe beim Land beantragen. "Die Erkenntnis ist absolut total bitter, und die lässt mich auch nicht schlafen, weil ich versichert war."

Auf Anfrage teilt ihre Versicherung mit: "Ob und welche konkreten Fortschritte bei der Wiederherstellung des beschädigten Hotels gemacht wurden, ist uns weder von Frau Wenzel noch von ihrem Anwalt mitgeteilt worden." Selbstverständlich sei man bereit, Kunden eine Fristverlängerung einzuräumen, wenn sie "nachweislich und belastbar zeigten", dass die Wiederherstellungsfrist tatsächlich unverschuldet nicht eingehalten werden könne.

"Alle Beteiligten wissen, dass der restliche Betrag (Neuwertanteil) nur dann fällig wird, wenn Frau Wenzel die bereits gezahlte Entschädigung verwendet, um das Gebäude in der angesprochenen Drei-Jahres-Frist wiederherzustellen", teilt die Versicherung mit.

Für Marion Wenzel bedeutet das: Ihr bleiben dafür nur noch wenige Tage Zeit, wenn die Versicherung die Frist nicht verlängert. Sie wolle alles daran setzen, sagt sie.