Rekord bei Prides - gleichzeitig mehr Hass "Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten"
Die Bilanz der CSD-Veranstalter zeigt ein zwiespältiges Bild der deutschen Gesellschaft: Einerseits demonstrieren so viele wie nie für LGBTIQ-Rechte. Andererseits werden vermehrt Hass und Gewalt registriert - zum Teil gezielt geschürt.
Was die Zahl der Kundgebungen und der Teilnehmer angeht, hat der Dachverband der Veranstalter eine ausgesprochen positive Bilanz gezogen: Mehr als 140 Veranstaltungen zähle man dieses Jahr, teilte der Verein CSD Deutschland mit. "Ende des Jahres werden es an die vier Millionen Menschen gewesen sein, die durch die CSDs direkt mobilisiert wurden", sagte Vorstandsmitglied und Pressesprecher Kai Bölle. "Das ist die höchste Zahl, die wir jemals erreicht haben."
Drei dieser vier Millionen verfolgten demnach die Demos am Rande oder hörten sich die Kundgebungen an, eine Million Menschen werden nach Schätzungen des Vereins aktiv teilgenommen haben. Bei Pride- oder CSD-Veranstaltungen wird für Gleichstellung und die Rechte von Menschen der LGBTIQ-Community demonstriert.
LGBTIQ ist eine international gebräuchliche Abkürzung für Lesben, Schwule (der englische Begriff ist "Gay"), Bisexuelle, trans*- und intergeschlechtlich und Queer. Auch die Abkürzung LGBT ist als Kurzform üblich. CSD steht für "Christopher Street Day" und erinnert an die Ereignisse im Jahr 1969 in New York. Polizisten stürmten damals eine vor allem von Schwulen besuchte Bar in der Christopher Street und lösten einen mehrtägigen Aufstand aus - der Beginn einer Bewegung.
Verein hebt Bedeutung kleinerer CSDs hervor
Die größten CSDs in Deutschland sind traditionell die in Köln und Berlin, zu denen oft mehr als eine Millionen Menschen kommen. Beide haben bereits stattgefunden. Die CSD-Saison läuft aber noch einige Wochen - Kundgebungen sind unter anderem noch in Dortmund, Zwickau oder in Kaufbeuren im Allgäu geplant.
Der Verein CSD Deutschland hebt in seiner Bilanz ausdrücklich die Bedeutung kleiner CSDs außerhalb großen Metropolen hervor. In Bayern zum Beispiel seien neben den langjährigen Veranstaltungen in München und Nürnberg mehr als 25 weitere CSDs ins Leben gerufen worden, so Bölle. Auffällig sei auch die deutlich breitere Beteiligung - etwa von Kirchengemeinden, Amateur- und Profisportvereinen oder Feuerwehren.
Die Gruppen, die sich an CSDs beteiligen, kommen laut Verein inzwischen aus einem sehr breiten Spektrum - wie etwa auch aus Kirchengemeinden.
Gerade in kleineren Städten sei Sichtbarkeit wichtig, betonte Bölle. Dort, wo es lange keine oder nur wenige Schutzräume gegeben habe, wo man eben in die großen Städte gefahren sei, um seine Identität leben zu können, gebe es mehr und mehr Engagierte, die das ändern und sich eben in ihrer Heimat wohl und sicher fühlen wollten.
Störaktionen von Rechtsradikalen
Kleinere CSDs - vor allem im Osten Deutschlands - wurden in diesem Jahr aber auch zum Ziel von Störaktionen - mutmaßlich von Rechtsradikalen. So wurde etwa der erste CSD im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis von Pöbeleien überschattet. Nach Medienberichten soll aus einer Gruppe von 20 Personen heraus auch der Hitlergruß gezeigt worden sein. Im Vorfeld hatte insbesondere die rechtsextreme Partei "Der dritte Weg" Stimmung gegen den Demonstrationszug in Weißenfels gemacht. Ähnliche Vorfälle gab es auch in Magdeburg. Beim CSD in Hannover wurde ein Transmann angegriffen.
Der Dachverband CSD Deutschland spricht dementsprechend auch von einer "Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten". "Wir registrieren zunehmend offene Gewalt auch direkt im Umfeld von CSDs oder im Zuge des Rahmenprogramms", so Verbandssprecher Bölle. Auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, zeigte sich kürzlich beunruhigt: Angeheizt von gezielten Kampagnen richte sich Gewalt gegen sichtbares queeres Leben und solle einschüchtern, so der Grünen-Politiker.
"Transphobie tief in den Köpfen"
Dass es mehr registrierte Vorfälle von Hass und Gewalt gebe, komme auch von gestiegener Sensibilität, heißt es vom Verein CSD Deutschland. Doch Homo- und Transphobie stecke tief in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger. Und diese Ablehnung werde derzeit von Hetzkampagnen gezielt aktiviert, sagte Bölle. Täter seien meist Männer. Oft werde behauptet, CSDs verstärkten eine sogenannte LGBT-Ideologie. "Das ist ein Mittel der Umkehr. Denn um Ideologie geht es eben gerade diesen Akteuren."
Besondere Beachtung fand vor diesem Hintergrund in diesem Jahr auch der CSD in Münster, der am Samstag stattfand. Tausende Menschen zogen dabei durch die Innenstadt und erinnerten auch an den Vorfall am Rande des CSDs 2022: Im vergangenen Jahr war in Münster ein 25-Jähriger angegriffen worden, der bei queerfeindlichen Beleidigungen eingeschritten war. Er starb Tage später an den Folgen eines Schädelhirntraumas. Sieben Monate nach der Tat wurde der damals 20-jährige Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt.