Reaktivierung von Schutzräumen Warum viele Bunker wenig nützen
Noch knapp 600 Bunker existieren in Deutschland. Könnten sie im Falle eines Krieges wieder genutzt werden? Bunkerexperte Diester erklärt im Interview, warum das von heute auf morgen wohl nicht geht.
tagesschau.de: Wie schnell könnten die verbliebenen Bunker in Deutschland wieder als Schutzraum genutzt werden?
Jörg Diester: Das ist schwer zu sagen und variiert von Fall zu Fall. Die 599 Schutzräume unterliegen zwar nach wie vor der Zivilschutzbindung, das bedeutet, dass der Bund im Krisenfall auf diese Räume zurückgreifen kann, da besteht ein Sondernutzungsrecht. Das ist also eine juristische Kategorie, sagt aber nichts über die Funktionsfähigkeit der Schutzräume aus. Die Wiederinbetriebnahme dieser Bunker könnte je nach Zustand zwei Tage, zwei Wochen oder zwei Jahre dauern. Das hängt auch davon ab, mit wie viel Aufwand und Geld die Instandsetzung betrieben würde.
tagesschau.de: Was ist konkret nötig, um die Bunker zu reaktivieren?
Diester: Zunächst einmal müssten die Schutzräume freigeräumt werden. So ist der öffentliche Bunker unter einem Privathaus in der Eifel beispielsweise vollgestellt mit Kisten und Habseligkeiten der Hausbesitzer. Genauso der Schutzraum unter einer Verbandsgemeindeverwaltung in Rheinland-Pfalz, dort sind Akten eingelagert. Das Freiräumen ist sicherlich schnell möglich, ein größeres Problem ist das Belüftungs- und Filtersystem. Da Schutzräume nach außen hermetisch abgeschlossen sind, spielt die Luftzufuhr eine zentrale Rolle. Für den Ernstfall ist die Luftversorgung überlebenswichtig. Wenn die Belüftung nicht mehr funktionsfähig ist, lassen sich Pumpen und Filter eventuell nicht so ohne Weiteres reparieren. Die Technik ist in der Regel 30 Jahre alt, das könnte äußerst aufwändig und kostspielig sein.
tagesschau.de: Gibt es beim Zustand der Schutzräume regionale Unterschiede?
Diester: Einen Überblick über den Zustand der Bunker hat derzeit niemand. Fakt ist aber: Die meisten Schutzräume, die heute noch der Zivilschutzbindung unterliegen, gibt es in Baden-Württemberg mit 222. In Bayern sind es 156. Gemeinsam kommen beide Länder also auf 376 Bunker. Das ist rein rechnerisch mehr als die Hälfte bundesweit. In Rheinland-Pfalz sind es beispielsweise gerade einmal noch fünf öffentliche Schutzräume. Insofern gibt es zahlenmäßig deutliche regionale Unterschiede. Nutzbar von heute auf morgen sind alle nicht. Bund und Länder haben 2007 beschlossen, die Schutzräume nicht weiter instand zu halten.
tagesschau.de: Welche Anforderungen muss ein funktionsfähiger Bunker erfüllen?
Diester: Nach den ehemaligen Bundesvorgaben, die es bis 2007 gab, musste ein Schutzraum extremen mechanischen Belastungen standhalten, vor Bränden und Trümmern schützen sowie vor atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen.
Ein funktionsfähiger Bunker muss folglich dicke Wände haben und sich hermetisch verschließen lassen, damit keine Giftstoffe eindringen können. Selbstverständlich werden auch Betten, Essensvorräte und sanitäre Anlagen benötigt. In der Vergangenheit waren das überwiegend Trockentoiletten.
tagesschau.de: Der Zivilschutz soll nun gestärkt werden. Was erwarten Sie?
Diester: Eine schnelle Lösung erwarte ich nicht. Die 599 verbliebenen Schutzräume müssen zunächst einmal alle in Augenschein genommen und untersucht werden. Parallel wird die Politik nach Übergangslösungen suchen müssen. Wo gibt es Tiefgaragen, Kellerräume, Bahnhöfe, die provisorisch als Schutzräume genutzt werden könnten? Die würden dann aber natürlich keinen Schutz vor atomaren, biologischen oder chemischen Waffen bieten. Überhaupt ist noch offen, wieviel Geld für die Stärkung des Zivilschutzes in die Hand genommen werden soll.
tagesschau.de: Wenn sich die Politik der Stärkung des Zivilschutzes annimmt, sollten dann Bunker die zentrale Rolle spielen?
Diester: Nein, es muss immer mehrere Säulen geben. Wenn wir nicht für alle Menschen einen Platz in einem Schutzraum vorhalten können, bedarf es einer Evakuierungsplanung. Wie sollen im Krisenfall Tausende Menschen aus der Gefahrenzone gebracht? Auf welchem Weg, mit welchen Transportmitteln? Mir sind keine Konzepte dazu bekannt. Hier braucht es mehr Tempo und Transparenz gegenüber der Bevölkerung, wie Politik und Verwaltung in einer Krisensituation vorgehen wollen.