Rias-Zahlen für 2020 1909 antisemitische Vorfälle in Deutschland
In der Corona-Pandemie hat sich das Erscheinungsbild des Antisemitismus in Deutschland verändert. Das geht aus Zahlen des Verbandes Rias hervor. Zugenommen hat demnach die offen gezeigte Judenfeindlichkeit - etwa bei Demos.
Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) hat vergangenes Jahr bundesweit 1909 antisemitische Vorfälle erfasst. Das sind etwa 450 mehr als im Jahr zuvor, als der Verband zum ersten Mal bundesweite Zahlen präsentiert hatte.
Mehr als ein Viertel der Fälle (489) hatten einen direkten Bezug zur Corona-Pandemie, wie der Geschäftsführende Vorstand des Bundesverbands Rias, Benjamin Steinitz, bei der Vorstellung der Zahlen berichtete. In 284 Fällen habe es sich um antisemitische Inhalte gehandelt, die auf Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen in Reden, auf Schildern oder auf der Kleidung verbreitet wurden.
"Die Covid-19-Pandemie stellte von Beginn an eine Gelegenheitsstruktur, quasi einen Anlass zur Artikulation schon zuvor vorhandener antisemitischer Haltungen dar", sagt Steinitz. Häufig sei die Schoah durch Vergleiche der staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen mit der Judenverfolgung der Nazis bagatellisiert worden.
Weniger Fälle von israelbezogenem Antisemitismus
Etwa die Hälfte der Fälle konnte keinem eindeutigen politischen Hintergrund zugeordnet werden. Rund ein Viertel (479) wurden als rechtsextremistisch oder rechtspopulistisch gewertet, weitere 247 dem verschwörungsideologischen Milieu zugerechnet.
Zwei Vorfälle wurden dem antiisraelischen Aktivismus zugeordnet, einer der politischen Mitte. Den Hintergründen links/antiimperialistisch, islamisch/islamistisch und christlich/christlicher Fundamentalismus konnten keine Vorfälle zugeordnet werden, wie es in dem Bericht heißt.
Allerdings könnte dies aus Sicht von Rias nur eine Momentaufnahme gewesen sein, da es im Mai 2021 anlässlich des Nahost-Konflikts in Deutschland zu zahlreichen offen antisemitischen Demonstrationen sowie Angriffen auf jüdische Personen und Institutionen gekommen sei.
Weniger Angriffe, mehr Beschimpfungen
Zu den dokumentierten Vorfällen gehörten Angriffe, Sachbeschädigungen, Bedrohungen, aber auch antisemitische Beschimpfungen oder Kommentare etwa bei Demonstrationen oder im Internet. Seit Ausbruch der Pandemie wurden weniger Angriffe und Bedrohungen erfasst, dafür nahmen Beschimpfungen und andere antisemitische Äußerungen zu.
Die Verschiebung führt Rias darauf zurück, dass es etwa für Angriffe weniger Möglichkeiten gegeben habe. So seien beispielsweise Fußballstadien leer geblieben, Gastronomie und Kultur sowie Schulen geschlossen oder auch weniger Menschen im öffentlichen Nahverkehr unterwegs gewesen.
"Ein erhebliches Dunkelfeld"
In den Bericht für 2020 flossen vor allem systematische Erhebungen aus Bayern, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein ein - wo es regionale Rias-Meldestellen mit. Hinzu kamen weitere dokumentierte Fälle aus den übrigen Bundesländern. Darunter war erneut auch eine extreme Gewalttat: der Angriff mit einem Spaten auf einen 26-jährigen Studenten Anfang Oktober in Hamburg auf dem Weg zur Synagoge.
"Wir müssen nach wie vor von einem erheblichen Dunkelfeld uns nicht bekannter Vorfälle im gesamten Bundesgebiet ausgehen", sagte Rias-Geschäftsführer Steinitz.