Fußball-Europameisterschaft Sichere EM dank neuer "Polizei-KI"?
Wenige Wochen vor Beginn der Fußball-EM steigt in Deutschland die Sorge vor Terroranschlägen. Polizei und Sicherheitsbehörden bereiten sich intensiv auf die Spiele vor. Zum Einsatz kommt auch neue Technologie.
In Stuttgart laufen die Vorbereitungen auf das erste EM-Spiel auf Hochtouren: Wenn am 16. Juni Slowenien auf Dänemark trifft, werden im ganzen Stadtgebiet Einsatzkräfte unterwegs sein, die technische Unterstützung etwa aus der Luft bekommen. So soll es zur Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum eine Art Luftschild geben.
Von einem "weitreichenden Abwehrkonzept für bemannte und unbemannte Flugfahrzeuge", spricht die zuständige Polizei Stuttgart. Zum Einsatz soll auch ein Drohnenabwehrsystem kommen.
Neben der "abstrakten Gefahr terroristischer Anschläge" spielten laut Polizei auch Cyberangriffe eine nicht unerhebliche Rolle.
"Polizei-KI" soll Fluchtverhalten simulieren
"Man muss nicht mehr Angst haben oder vorsichtiger sein als sonst", versichert Bärbel Mohrmann, die bei der EM im Sommer in Stuttgart als "Leiterin des Protokolls" fungiert. "Sicherheitskonzepte und Risikoanalysen gehören bei Großveranstaltungen zum Business."
Noch ganz neu ist der Einsatz spezieller Softwareprogramme zur Berechnung von Fluchtwegen. Carsten Höfeler ist Vizepräsident des Polizeipräsidiums Stuttgart und Leiter des Projekts "Escape Pro", an dem alle deutschen EM-Austragungsorte teilnehmen.
Die Hoffnung in die neue "Polizei-KI" ist groß, getestet wird sie schon seit etwa einem Jahr. "Die Software, die wir einsetzen, kann Personenströme von Großveranstaltungen simulieren. Das basiert im Wesentlichen auf mathematischen und algorithmischen Prinzipien", so Höfeler.
Gefüttert werde die Software dafür mit Informationen zur Veranstaltung, zum Veranstaltungsgelände und zu den erwarteten Besuchern. Beim Volksfest "Cannstatter Wasen" im vergangenen Jahr habe man etwa zusätzlich einberechnen lassen, dass Besucher betrunken sein könnten und sich womöglich langsamer bewegten.
Live-Prognosen mit anonymisierten Handydaten
"Wir simulieren bei einer Räumung, wie Menschen am schnellsten von dem Veranstaltungsgelände kommen", sagt Höfeler, der auf seinem Computer auch direkt mögliche Engstellen angezeigt bekommt. "Das kann ich in der Einsatzplanung berücksichtigen: Stelle ich an diesen Stellen mehr Einsatzkräfte bereit? Auf welchen Wegen kann ich Einsatzkräfte schnell an den Einsatzort bringen, ohne selbst im Stau zu stehen? Das sind alles Informationen, die wir früher nie hatten."
Das Potenzial sei groß. Künftig könne man womöglich auch mit Live-Prognosen arbeiten, etwa indem man anonymisierte Handydaten mit einberechnet.
Für akute Gefährdungslagen ist die Software noch nicht geeignet, betont der Polizei-Vizepräsident: "Die Software kann kein Verhalten von Menschen reproduzieren, also zum Beispiel wie Menschen sich bei Panik verhalten. So weit ist die Wissenschaft noch nicht." Klar ist aber: Bewährt sich die Software, könnte sie künftig flächendeckend bei Großereignissen zum Einsatz kommen.
Sorge vor Überwachungsstaat
Der Deutsche Anwaltverein warnt vor einem drohenden Überwachungsstaat "unter dem Deckmantel des Terrorschutzes". Der Verein fürchtet etwa, dass die aktuelle Bedrohungslage vor der Fußball-EM zu Vorratsdatenspeicherung und biometrischer Videoüberwachung führt.
Zuletzt hatte etwa die SPD von Bundesjustizminister Marco Buschmann gefordert, eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung nicht weiter zu blockieren. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dazu im Handelsblatt: "Es ist nur folgerichtig, dass die Zeitenwende auch innenpolitisch gesetzgeberische Maßnahmen für unsere Sicherheitsdienste nach sich zieht."
Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht
In Stuttgart will die Polizei die kommenden Wochen vor der EM nutzen und Einsätze trainieren. Eine erste Großübung vor Ostern in Ludwigsburg mit 140 Beteiligten habe bereits gut funktioniert.
Bei allen Sicherheitsvorkehrungen könne man aber keine absolute Sicherheit garantieren, macht Bärbel Mohrmann von der Stadt klar: "Wenn man größere Gruppen aufsucht, dann gibt es immer ein gewisses Risiko. Sonst muss man da zuhause bleiben. Aber wir haben eine unglaublich gute und erfahrene Polizei in Stuttgart und Sicherheitskonzepte, die schon bestehen und angepasst werden."