Geflüchteten-WG Wo Schwule in Deutschland Schutz finden
In Schwäbisch Gmünd wohnen sechs schwule Flüchtlinge in einer Wohngemeinschaft. Die bietet Schutz und schafft Selbstvertrauen. Traumatische Erlebnisse in ihren Heimatländern verbinden sie.
Ali sitzt in seinem Zimmer in Schwäbisch Gmünd. Blumen auf der Fensterbank, ein Sofa, ein Tisch. Ali, der aus Tunesien stammt, ist in Sicherheit, nach Jahren der Verfolgung und der Angst. Doch noch immer ist ihm die Anspannung deutlich anzumerken, wenn er von seinen Erfahrungen als Schwuler in seinem Heimatland spricht. Seine Füße wippen nervös, die Stimme fast ein Flüstern, als er berichtet, wie er vergewaltigt und dabei sogar gefilmt wurde, um ihn zu demütigen.
"Das war für mich der Moment, als ich wusste, ich kann nicht in Tunesien bleiben", erzählt er. "Ich war auch vorher schon ein paar Mal in Europa gewesen, immer nur für ein paar Wochen, aber nach dieser Erfahrung war mir klar, das reicht, ich kann so nicht mehr leben."
Ermordet vom Mob
Ali ist 27 Jahre alt. Ein junger Mann, adretter Haarschnitt. Auf seiner Handyhülle prangt die Regenbogenfahne, das Symbol der LGBTIQ-Community. Hier kann er es offen zeigen, denn hier, in einer Wohngemeinschaft in Schwäbisch Gmünd, lebt Ali mit anderen schwulen Geflüchteten zusammen. Sechs Männer haben hier Zuflucht gefunden, aus Nigeria, Kurdistan oder Kamerun, also aus Ländern, in denen sie als Schwule gedemütigt oder verfolgt wurden - oder sogar um ihr Leben fürchten mussten.
So wie Elvis. Seit zwölf Tagen lebt er in der Schwulen-WG, seine Flucht begann jedoch bereits 2018, erzählt der studierte Politikwissenschaftler: "Ich befand mich zu Studienzwecken gerade im Ausland, als mein damaliger Freund in Kamerun von einem Mob aufgespürt und bei lebendigem Leib verbrannt wurde, weil er offen als Schwuler lebte. Der Richter hat damals einen Haftbefehl gegen mich ausgestellt. Seitdem bin ich nicht mehr nach Kamerun zurückgekehrt."
Täte er es dennoch, sagt Elvis, würde er sofort verhaftet, denn in Kamerun werde Homosexualität mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Die Mörder seines Freundes hingegen müssten keinerlei Strafe befürchten, da ist Elvis sicher: "Die Verfassung missbilligt Homosexualität. Deshalb wird bei Selbstjustiz weggeschaut. Die Polizei wird niemanden verhaften, der einen Schwulen umbringt."
Schwule Solidarität
Dass viele hier in der schwulen Flüchtlings-WG ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sie sich darüber austauschen und gemeinsam über ihre Traumata hinweghelfen können, lässt die Männer oft zum ersten Mal eine Art schwule Solidarität erfahren.
Das ist Joschi Moser, einem der Initiatoren der "Rainbow Refugees", besonders wichtig. Seit Jahrzehnten engagiert er sich in der AIDS-Hilfe. Die Flüchtlings-WG nennt er sein "spätes Lebenswerk". "In den Ländern, aus denen unsere Geflüchteten kommen, musste jeder schauen, dass er schlicht und einfach überlebt. Und hier haben wir die Gelegenheit, Zusammenhalt zu üben. Das heißt, hier lernen sie vor allem eines, dass sie nämlich selbstbewusste schwule Männer werden, dass sie ein selbstbewusstes, eigenständiges Leben führen können."
Ein Zurück gibt es nicht
Damit das gelingt, gibt es in der Wohngemeinschaft strenge Regeln. Deutsch lernen ist Pflicht. Schon das kleinste Vergehen, und sei es nur ein winziger Ladendiebstahl, führt zum Rauswurf. Und: Täglich wird gemeinsam die Tagesschau angesehen. "Da hören die Männer das reinste Hochdeutsch, das es gibt", sagt Joschi Moser lächelnd.
Moser weiß, dass sein Konzept erfolgreich ist und die Männer motiviert, sich hier ein Leben aufzubauen. Auch, weil es ein Zurück für sie nicht gibt. "Unsere Geflüchteten haben nicht die geringste Rückkehrperspektive in ihre Herkunftsländer, weil sich da politisch wie auch gesellschaftlich lange Jahre nichts ändern wird, da müssen wir uns nichts vormachen. Und das heißt, die brauchen eine feste Bleibeperspektive."
Die sei allerdings von der Politik nicht immer garantiert. Ali verfolgt täglich in den Nachrichten, was sich in seinem Heimatland Tunesien tut. Der Machtwechsel, die neue, vielleicht liberalere Regierung. Hoffnungen, dass er irgendwann dorthin zurückkehren kann, macht er sich jedoch nicht. "Die Homophobie ist zu tief in der Mentalität der gesamten Gesellschaft verwurzelt", so der Tunesier. "Um das zu ändern braucht es viel Zeit, vielleicht zehn, 20 Jahre."
Angst vor Homophobie
Auch Elvis aus Kamerun richtet sich langfristig auf ein Leben in Deutschland ein. Hier fühlt er sich sicher - aber eine Sache bereitet ihm auch Sorgen: "Deutschland wird gerade zu einer sehr diversen Gesellschaft, einer Gesellschaft mit Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, aus dem Kaukasus, aus Afrika, dem Mittleren Osten. Und mit diesen Menschen ziehen auch wieder homophobe Tendenzen in die deutsche Gesellschaft ein. Das macht mir Sorge, auch wenn ich weiß, dass ich hier als Schwuler von der Polizei und der Regierung beschützt werde."
Geflüchtete, die sich vor anderen Flüchtlingen fürchten? Ja, sagt Joschi Moser, das sei durchaus ein Thema. "Wir haben viele Berichte gehört von sexuellen Übergriffen in Landeserstaufnahmestellen und die Verantwortlichen dort sind oftmals recht machtlos. Andererseits sind unsere Geflüchteten auch durch Erfahrungen mit der Polizei in ihren Herkunftsländern so traumatisiert, dass sie auch da keine Hilfe suchen."
Deshalb besucht er mit den Bewohnern der Schwulen-WG regelmäßig Polizeistationen, um Vertrauen aufzubauen, um zu zeigen, dass es hier in Deutschland durchaus Hilfe für sie gibt. Und vielleicht sogar ein neues Leben, ohne Angst.