Inklusion auf dem Arbeitsmarkt An der Arbeit gefällt ihm alles
Viele Arbeitgeber drücken sich davor, Schwerbehinderte einzustellen. Ein neues Gesetz soll das verhindern. Was für ein Gewinn Inklusion für alle Seiten sein kann, zeigt ein Beispiel aus Mainz.
Um 8 Uhr morgens beginnt der Arbeitstag für Julian Stockhausen in der Küche eines Hotels in Mainz. Obstplatte zubereiten, gebeizten Lachs aufschneiden, Bircher-Müsli anrühren - das alles selbständig zu erledigen, ist für ihn inzwischen kein Problem mehr. Stolz zeigt er sein Küchenmesser, auf dem sein Name eingraviert ist.
Um eine Honigmelone damit zu schälen, braucht er nur wenige Sekunden. An der Arbeit gefällt ihm alles, erzählt der 24-Jährige - nicht zuletzt "das Geldverdienen". Auch mit seiner Familie kocht er gerne, in der Hotelküche merkt man ihm das an. Er hat das Downsyndrom - und ist hier im Betrieb voll integriert.
Stockhausens Weg zeigt, wie Inklusion gelingen kann. 2018 hat er ein Praktikum im Hotel absolviert, danach eine berufliche Bildungsmaßnahme über eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Dort arbeiten wollte er nie.
Nicht alle Arbeitgeber sind dazu bereit
Nicole Knobloch von den "Zoar-Werkstätten" in Heidesheim hat Stockhausen von Anfang an begleitet und unterstützt. Wie es mit dem Traumjob geklappt hat? "Das liegt zum einen daran, dass er ein herzensguter Mensch und engagiert ist", sagt die Heilpädagogin. "Aber auch daran, dass alle im Hotel sehr motiviert sind und sich auf das Risiko eingelassen haben."
Doch längst nicht alle Arbeitgeber sind dazu bereit. Dabei gibt es gesetzliche Vorgaben: Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen mindestens fünf Prozent davon mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Knapp 175.000 sogenannte beschäftigungspflichtige Arbeitgeber gibt es in Deutschland. Doch deutlich weniger als die Hälfte von ihnen erfüllt nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit die vorgeschriebene Beschäftigungsquote. Jeder vierte Arbeitgeber beschäftigt sogar keinen einzigen schwerbehinderten Menschen.
Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen
Die Bundesregierung will das mit einem Gesetz ändern. Eines der wichtigsten Stichworte der neuen Regelungen: die Ausgleichsabgabe. Die zahlen Unternehmen, die weniger schwerbehinderte Menschen beschäftigen als vorgegeben, und zwar an das jeweils zuständige Integrationsamt: bislang bis zu 360 Euro je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Mit dem neuen Gesetz soll sich diese Summe auf 720 Euro verdoppeln.
Sozialverbände finden das gut: "Es ist richtig, hier nun endlich eine höhere Ausgleichsabgabe einzuführen und die 'Null-Beschäftiger' stärker heranzuziehen", schreibt der Sozialverband VdK in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf.
Die Unternehmen, die den Vorgaben nicht nachkommen, stärker in die Pflicht zu nehmen, sei auch "ein Gebot der Solidarität mit denjenigen Unternehmen und Dienststellen, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen, neu einstellen, die Arbeitsplätze entsprechend ausstatten und absichern und zum Teil sogar die Pflichtquote übererfüllen". Der Verband kritisiert aber, dass die Erhöhung der Ausgleichsabgabe zu spät komme, erst von 2025 an gezahlt werden müsse und mit 720 Euro noch zu gering sei.
Erhöhung der Abgaben sinnvoll?
Die Arbeitgebervereinigung BDA hält diese Regelung für nicht zielführend. Sie käme ohnehin für Unternehmen, die nach drei Krisenjahren belastet seien, zur Unzeit. "Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben sind Beratung, Qualifizierung, gezielte Vermittlung, Begleitung und eine viel engere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure notwendig", heißt es in einer Stellungnahme der BDA. Eine Forderung: Unternehmen, denen es trotz Bemühungen nicht gelingt, einen passenden Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen, sollten von der Zahlungspflicht befreit werden.
Der Rechtswissenschaftler Franz Josef Düwell, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, schätzt eine Erhöhung der Abgaben als sinnvoll ein. "Unternehmer handeln natürlich rational: Wenn es höhere Kosten gibt, dann überlegen Sie, wie man Kosten vermeiden kann. Das hat eine Antriebsfunktion", sagt er.
"Freikaufen von der Beschäftigungspflicht"
Düwell kritisiert aber sehr deutlich eine weitere Neuerung durch das Gesetz. Denn Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig keine schwerbehinderten Menschen eingestellt haben, begingen bislang eine Ordnungswidrigkeit. Bis zu 10.000 Euro Bußgeld konnten die Folge sein.
Doch das soll nun komplett gestrichen werden, wie Düwell schildert. "Das ist ein Skandal", sagt er. Unternehmen könnten dadurch Inklusionsbemühungen komplett einstellen und künftig einfach höhere Abgaben zahlen. "Der Gesetzgeber legalisiert das Freikaufen von der Beschäftigungspflicht", sagt Düwell.
Dabei kann Inklusion eine Bereicherung sein. Davon sind sie im Hotel in Mainz überzeugt: Stockhausens Arbeitsvertrag läuft unbefristet. Seine Kollegen sind voll des Lobes. "Julian hat sich schnell eingearbeitet", sagt Küchenchef Carl Grünewald. "Er ist einer unserer zuverlässigsten Mitarbeiter."