Rechtsextremismus bei der Polizei "Es ist ein männliches Problem"
Beim Thema Rechtsextremismus innerhalb der Polizei gehe niemand mehr von Einzelfällen aus, sagt Polizeiwissenschaftler Behr im Interview mit tagesschau.de. Und er erklärt, warum Männerbünde meist das Problem sind.
tagesschau.de: Wie groß ist das Problem Rechtsextremismus innerhalb der Polizei?
Rafael Behr: Wir können das Problem von Rechtsextremismus quantitativ gar nicht genau benennen. Dazu fehlen uns empirische Grundlagen. Entscheidend ist aber nicht so sehr die Anzahl, sondern vielmehr die Qualität. Wenn ein Bäckermeister rechtsextrem ist, dann ist das nicht so gravierend. Wenn hingegen ein Polizeibeamter rechtsextrem ist und sein Augenmerk besonders auf People of Color legt, weil er zum Beispiel glaubt, People of Color gehören nicht zu unserer Gesellschaft, dann hat der Polizist Macht, dann hat er Waffen, kann festnehmen und das macht die Sache prekär.
"Niemand geht mehr von Einzelfällen aus"
tagesschau.de: Wenn es nicht genau zu beziffern ist, gehen Sie dann von Einzelfällen aus?
Behr: Mittlerweile geht niemand mehr von Einzelfällen aus. Auch der hessische Innenminister Peter Beuth, CDU, und der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul, CDU, reden nicht von Einzelfällen. Das Gegenteil wäre die Annahme, dass die ganze Polizei in ihrer Struktur rassistisch sei. Das ist auch nicht wahr. Wir bewegen uns irgendwo in der Mitte.
Es gibt subkulturelle Milieus. Bestes Beispiel für ein subkulturelles Milieu ist das Spezialeinsatzkommando Frankfurt. Hier waren viele rechtsextreme Polizeibeamte in einem Chat. Dies wurde nicht erkannt und es wurde nicht unterbunden, was sie tun. Wenn ein Polizeipräsident über mehrere Jahre die Räume seines SEK nicht aufsucht, dann spricht das dafür, dass diese Einheit eine ganz große Autonomie hatte und viele Freiheiten. Das ist eine Führungsschwäche. Gerade bei Beamten, die besonders professionell arbeiten und besonders viel Macht haben.
"Rechtsextremismus ist ein männliches Problem"
tagesschau.de: Worin sehen Sie die Gründe für den Rechtsextremismus bei der Polizei?
Behr: Die Gründe sind vielfältig. Zunächst hängen sie mit Arbeitsprozessen zusammen. Die Polizei nimmt immer nur einen kleinen Ausschnitt von Gesellschaft wahr und das in sehr schwierigen Umständen. Das tun aber andere Berufe auch. Das würde ich allein nicht gelten lassen.
Wir haben es aber in der Regel mit Männerbünden zu tun, die sich zusammenschließen. Rechtsextremismus in der Polizei ist tatsächlich ein männliches Problem, kein weibliches. Es gibt zwar Kolleginnen, die da mitmachen in den Chats, aber wir haben noch nie etwas gehört von Rädelsführerinnen. Das heißt: Männerbünde, prekäre Aufgaben, keine Führungsaufsicht und vor allen Dingen keine Möglichkeit, über die Arbeit anders zu sprechen als in Vorurteilen oder in Worten, die deklassierend sind und abweisend sind.
tagesschau.de: Kommt die wahre Dimension des Problems immer nur scheibchenweise ans Licht?
Behr: Nun, die Polizei ist eine Organisation, die prinzipiell auf Fehlerfreiheit ausgerichtet ist. Sie hat es ganz schwer mit dem Einblick der Zivilgesellschaft in ihr Inneres. Zum Zweiten müssen wir wissen, alles steht unter dem Gesichtspunkt einer juristischen Aufarbeitung. Man will keine Fehler zugeben, die juristisch relevant sind, weil man dann strafrechtliche Verantwortung übernehmen muss. Es wird nicht offensiv mit Fehlern umgegangen. Das ist das Gegenteil von dem, was man immer sagt, dass man jetzt eine bessere Fehlerkultur haben will. Diese Fehlerkultur suche ich nach wie vor in der Polizei.
"Keine strukturell rassistische Organisation"
tagesschau.de: Gibt es auch strukturelle Probleme innerhalb der Polizei?
Behr: Die Polizei ist keine strukturell rassistische Organisation - aber es gibt auch keine Strukturen, die Rassismus entdecken und abstellen können. Es gibt in ganz wenigen Bundesländern Beschwerdestellen oder Beauftragte für Rechtsextremismus oder Whistleblower-Einrichtungen. Das müsste jetzt schleunigst eingerichtet werden. Es geht nicht, dass die Polizei ihresgleichen als Rechtsextremismus-Experten einstellt. Ein Polizist denkt, wie ein Polizist denkt, und er denkt in der Regel juristisch. Wir brauchen aber Leute, die Rechtsextremismus in ihrer psychischen Dimension, in ihrer sozialen Dimension, in ihrer ethischen Dimension sehen können.
tagesschau.de: Reicht die Auflösung des Frankfurter SEK?
Behr: Wenn man von der Auflösung eines SEK spricht, muss man hinzufügen, die Polizisten werden meist nicht entlassen. Das sind Spezialisten, die man so schnell nicht ersetzen kann. Die Beamten werden neu gruppiert. Sie bekommen eine neue Führungsstruktur. Ich habe in letzter Zeit nicht gehört, dass das SEK Frankfurt schlecht gearbeitet, Menschen gefoltert oder seinen Job nicht richtig gemacht. Das ist das Problem. Diese Spezialisten arbeiten sauber ihren Job ab. Nur die ganze Energie, die dafür notwendig ist, die wird in der Freizeit im zwischenmenschlichen Bereich, im kollegialen Bereich ausgelebt.
Man will einerseits die Jungs fürs Harte, die Elite der Polizei. Andererseits sollen sie sich wie der Lieblingsschwiegersohn verhalten. Und das geht eben nicht. Dass diese Energie auch destruktiv sein kann, darum hat man sich nicht gekümmert. Das ist eigentlich die Kritik, die der Polizeiführung gemacht werden muss.
Das Interview führte Jacqueline Dreyhaupt, tagesschau.de