Forscherin in Görlitz Auf der Spur jüdischen Lebens in Sachsen
Die US-Amerikanerin Leiderman wohnt seit ein paar Jahren in Görlitz. Dort sucht sie nach Geschichten der ehemaligen jüdischen Bevölkerung der Stadt und bringt deren Nachkommen aus aller Welt zusammen.
Es ist Freitagabend. Eigentlich die Zeit, um den Beginn des Schabbat zu feiern. Doch in diesen Zeiten ist alles anders. Statt zuhause im warmen Wohnzimmer ist Lauren Leiderman mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einer Kirche in Cunewalde, einem kleinen Dorf in der sächsischen Provinz. Die Kirchengemeinde hat zu einer Friedensandacht eingeladen. "Der ganze Konflikt im Nahen Osten beschäftigt die Gemeinde sehr. Wir brauchen einen Raum, wo wir Frieden suchen und um Frieden beten können", erzählt Pfarrer Christoph Schröder.
Gleich soll Lauren Leiderman über das Schicksal der Familie Hirschfeld sprechen. Seit Jahren forscht die Amerikanerin über jüdisches Leben in Görlitz und die Biographien ehemaliger jüdischer Bewohner der Stadt. Während die letzten Kirchgänger kommen und die Glocken läuten, flüstert Leiderman ihrem vierjährigen Sohn noch leise ein "Schabbat Schalom" zu.
Auf der Suche nach den Nachfahren Görlitzer Juden
Leiderman wohnt erst seit ein paar Jahren in Görlitz. Erst durch ihren israelischen Mann kam sie dazu, sich mit dem Judentum, dessen Geschichte und vor allem den Menschen zu beschäftigen. "Ich habe hier so viel zur jüdischen Geschichte gefunden. Es ist unglaublich und ich frage mich, wo sind diese Menschen geblieben?" Leiderman beginnt einen Blog zu schreiben, gründet eine Facebook-Gruppe und bringt so Nachkommen jüdischer Görlitzer in aller Welt zusammen.
Lauren und Mark Leiderman leben seit mehreren Jahren in Görlitz.
Im Juni 2022 wurden zum zweiten Mal Nachfahren jüdischer Einwohner nach Görlitz eingeladen, darunter auch Angehörige der Familie Feldmann. Deren Tochter Eva floh 1938 ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina, heiratete einen jüdischen Flüchtling aus Breslau namens Hirschfeld. Zusammen bekamen sie fünf Kinder. Die Familie zog an die heutige Grenze zum Gazastreifen. Die Eltern Feldmann und Sohn Kurt entkamen nach Südamerika. Beim Treffen in Görlitz im Juni 2022 kamen Nachfahren aus Südamerika, Großbritannien und Israel. Zusammen verlegten sie vier Stolpersteine in Erinnerung an die Görlitzer Groß- und Urgroßeltern.
"Und jetzt passiert es wieder"
Als am 7. Oktober die Terrorganisation Hamas israelische Ortschaften rund um den Gazastreifen angreifen, werden auch die Nachfahren der Görlitzer Familie bedroht, berichtet Leiderman: Acht Erwachsene und neun Kinder überleben das Massaker, verborgen in Schutzräumen und Verstecken. Außer ihrem Leben und den Kleidern am Leib hätten sie fast alles verloren, erzählt Leiderman.
Zusammen mit anderen Nachfahren hat Leiderman eine Kampagne gestartet, um diesen Teil der Familie Hierschfeld und auch andere vom Massaker betroffene Nachfahren Görlitzer Juden mit dem Nötigsten zu versorgen. "Die Hirschfelds waren Flüchtlinge aus Deutschland. Und jetzt passiert es wieder," sagt die Forscherin. Aber dieses Mal in Israel. "Die Hälfte der Familie lebt nun wieder als Flüchtlinge."
Klar die Stimme erheben
Ob sie sich denn noch in Deutschland sicher fühlen, werden die Leidermans am Ende ihres Vortrags gefragt. Görlitz sei nicht Berlin, antworten sie. "Jüdische Menschen auf der Straße haben Angst, zu zeigen, dass sie Juden sind", sagt Mark Leiderman. Er wünscht sich, dass die Regierung und die Menschen hier klar ihre Stimme erheben.
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