Bundesverfassungsgericht Wer muss für Einsätze bei Risikospielen zahlen?
Darf der Staat die DFL an den Kosten für Polizeieinsätze bei Fußballspielen beteiligen? Oder ist die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom Steuerzahler zu bezahlen? Darüber verhandelt heute das Bundesverfassungsgericht.
Wenn Dortmund gegen Schalke spielt, der Hamburger SV zum Stadtderby gegen St. Pauli oder zum Nordderby bei Werder Bremen antritt oder andere Vereine mit langjährigen Rivalitäten aufeinandertreffen - dann werden Fußballspiele zum Großeinsatz für die Polizei.
Um die Sicherheit im deutschen Fußball zu gewährleisten, fielen in der Saison 2022/23 allein in der ersten und zweiten Bundesliga insgesamt gut 1,6 Millionen Polizei-Arbeitsstunden an. Das entspricht der Arbeitszeit von etwa 1.238 vollzeitbeschäftigten Polizeibeamten. Gut 1.200 Polizeibeamte - viele Millionen Euro, um rund um die Stadien für Ordnung zu sorgen. In manch anderen Ländern beteiligen sich die Ligen oder die Vereine an diesen Kosten. In Deutschland zahlt alles der Steuerzahler.
Bremen will König Fußball an Kosten beteiligen
Bisher jedenfalls, denn 2014 hat ausgerechnet das kleinste Bundesland Bremen die Voraussetzungen geschaffen, um König Fußball zur Kasse zu bitten. Seitdem heißt es in Paragraf 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes:
Eine Gebühr wird von Veranstaltern oder Veranstalterinnen erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird.
Es geht um Mehrkosten für Hochrisikospiele
Bremen will also nicht die kompletten Kosten für die Polizeieinsätze ersetzt haben, sondern nur die Mehrkosten für Veranstaltungen, bei denen zusätzliche Polizeikräfte erforderlich sind. Im Fußball ist das bei den sogenannten Hochrisikospielen der Fall. Anstelle von ein paar Hundert Polizeibeamten sorgen bei diesen Spielen, zum Beispiel bei Derbys, oft Tausend oder mehr Polizisten für Sicherheit.
Beim Nordderby Werder Bremen gegen den HSV am 19. April 2015 machte Bremen dann ernst und erließ nach vorheriger Ankündigung einen Gebührenbescheid über 425.718,11 Euro an die Deutsche Fußball Liga (DFL).
Die DFL ist der Zusammenschluss der 36 Fußballvereine der Bundesliga und der 2. Bundesliga der Männer. Sie hat die vollständigen Vermarktungsrechte an den beiden Ligen und tritt neben den Vereinen selbst als Veranstalter auf. Weil sie die Kosten nicht übernehmen wollte, landete die Sache vor Gericht.
Im Mai 2017 erklärte das Verwaltungsgericht Bremen in erster Instanz die Kostenbeteiligung nach dem Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetz für rechtswidrig. Das Oberverwaltungsgericht Bremen entschied in der Berufung im Februar 2018 hingegen: Die DFL muss zahlen. Im Verfahren hatte Bremen auf ein paar Tausend Euro verzichtet, so dass es nunmehr nur noch um 415.000 Euro ging. Im März 2019 bestätigte dann auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der Revision das Vorgehen Bremens.
Gegen diese Urteile und gegen Paragraf 4 des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes wendet sich die Deutsche Fußballliga mit der Verfassungsbeschwerde. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Muss die Allgemeinheit für die öffentliche Sicherheit aufkommen?
Beim Streit um die Polizeikosten für Hochrisikospiele gibt es einige rechtlich spannende Streitpunkte. In der öffentlichen Wahrnehmung geht es in erster Linie um die Grundsatzfrage, ob der Staat die ureigene Aufgabe "öffentliche Sicherheit" aus Steuermitteln finanzieren muss.
Die DFL sieht das so. Sie hält deshalb das bremische Gesetz, mit dem die Veranstalter an den Mehrkosten beteiligt werden können, für verfassungswidrig. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit werde im allgemeinen Interesse wahrgenommen. Deshalb müsse sie auch aus den allgemeinen Mitteln der öffentlichen Hand finanziert werden, also aus Steuermitteln. Außerdem sei der Fußball auch gar nicht verantwortlich für Gewalthandlungen, die außerhalb der Stadien geschehen.
Das Bundesverwaltungsgericht überzeugten die Argumente nicht, und so bestätigte es klar die Vorinstanz: Es sei zwar richtig, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im Allgemeininteresse liege. Die Verfassung fordere aber nicht, dass alle Leistungen aus dem Bereich der staatlichen Kernaufgaben ausschließlich über Steuern zu finanzieren seien.
Die DFL erhalte für die Gebühr eine klare Gegenleistung. Die Polizei sorge nämlich für einen reibungslosen Ablauf der Spiele. Daraus entstehe auch ein wirtschaftlicher Vorteil. Viele friedliche Fans würden nur deshalb ins Stadion gehen, weil das Risiko von Gewalthandlungen für sie durch die Polizei konkret gemindert werde. Es komme also nicht darauf an, wer für die Gewalthandlungen verantwortlich sei, sondern wer von der Mehrarbeit der Polizei profitiere.
Auch im Bundesverfassungsgericht wird es hauptsächlich darum gehen, welche Grenzen die Verfassung einer solchen Gebühr setzt.
Gesetz zu unbestimmt?
Die DFL bemängelt darüber hinaus, dass das Gesetz zu "unbestimmt" sei. Vor allem die Höhe der Gebühr lasse sich nicht im Vorfeld berechnen. So könne man auch nicht entscheiden, ob man das Spiel wegen der hohen Kosten lieber absage. Außerdem handele es sich aus ihrer Sicht um ein so genanntes Einzelfallgesetz, weil es nur auf den Fußball zugeschnitten sei. Und Einzelfallgesetze seien verboten.
Tatsächlich ergibt sich aus dem Grundgesetz, dass es dem Gesetzgeber verboten ist, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen. Der Wortlaut des Gesetzes in Bremen betrifft alle Veranstalter von gewinnorientierten Veranstaltungen, wenn die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, also nicht explizit nur den Fußball und die DFL.
Die wendet aber ein, dass nur Risikospiele und keine anderen Veranstaltungen betroffen seien. Außerdem habe die bremische Bürgerschaft in erster Linie über die Bundesligaspiele diskutiert, als sie das Gesetz erlassen hat.
Müssen die Vereine oder die DFL zahlen?
Zu guter Letzt ging es in dem langen Streit auch immer darum, ob die DFL überhaupt der richtige Ansprechpartner ist. Die DFL sagt, dass die Heimvereine die Spiele austragen würden. Wenn überhaupt, dann seien diese zur Kasse zu bitten.
All das wird sie während der eintägigen Verhandlung in Karlsruhe vortragen. Ein Urteil könnte das Bundesverfassungsgericht in einigen Monaten verkünden.