Die Kriminalstatistik 2023 wird präsentiert
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Zahlen der Landeskriminalämter Was sagt die Kriminalstatistik - und was nicht?

Stand: 09.04.2024 14:47 Uhr

Einmal jährlich sorgen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik - kurz PKS - für Debatten. Welche Taten werden darin erfasst? Und warum sind manche Schlussfolgerungen womöglich problematisch?

Welche Straftaten werden von der PKS erfasst?

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) wird jährlich bundesweit auf Grundlage der von den 16 Landeskriminalämtern übermittelten Daten erhoben. Die PKS erfasst alle von der Polizei bearbeiteten Straftaten, sowohl vollendete als auch solche, bei denen es lediglich beim strafrechtlich relevanten Versuch geblieben ist.

In der PKS finden sich die absoluten Zahlen aller Straftaten und Tatverdächtigen sowie die relativen Zahlen, die über die Häufigkeit von Straftaten in Bezug zur Anzahl der Einwohner oder Angehöriger bestimmter Gruppen (Altersgruppen, Geschlecht, Nationalität) Aufschluss geben. Letzteres soll die Vergleichbarkeit der Zahlen über Jahre hinweg gewährleisten.

Denn die absolute Anzahl an Straftaten hängt auch von äußeren Faktoren wie zum Beispiel dem Anstieg oder der Abnahme der Gesamtbevölkerung ab. Im Zusammenhang mit starker Zuwanderung sind die relativen Zahlen besonders relevant, denn mehr Menschen begehen insgesamt auch mehr Straftaten.

Die PKS umfasst insbesondere Angaben über Art und Anzahl der erfassten Straftaten, Tatort und Tatzeit, Opfer und Schäden, Aufklärungsergebnisse, Alter, Geschlecht, Nationalität und andere Merkmale der Tatverdächtigen.

Welche Kriminalitätsbereiche fehlen in der PKS?

Folgende wesentliche Gruppen von Straftaten sind nicht in der PKS enthalten: Staatsschutzdelikte, Ordnungswidrigkeiten, Verkehrsdelikte sowie Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören, also etwa Finanz- und Steuerdelikte.

Im Hinblick auf Verkehrsdelikte fehlt damit bereits ein großer Teil aller Straftaten. Vermieden werden soll damit eine zu starke Abhängigkeit der PKS allein von möglichen Schwankungen in diesem Sektor.

Zoll- und Steuerstraftaten, die in der Regel nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören und unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und bearbeitet werden, fehlen aus diesem Grunde ebenfalls in der PKS. Staatsschutzdelikte werden gesondert erfasst - und teilweise in einem Sonderbericht zur "Politisch Motivierten Kriminalität" (PMK) ausgewiesen.

Welchen Zeitraum erfasst die PKS?

Die PKS spiegelt nicht die Anzahl der in einem Jahr begangenen, sondern polizeilich ausermittelten Straftaten wider. Das heißt, dass die PKS jedes Jahr zahlreiche Fälle enthält, die sich bereits im Jahr zuvor oder noch früher zugetragen haben können.

Auch eine Straftat, die nicht aufgeklärt werden konnte, weil kein Täter ermittelt wurde, findet Eingang in die PKS. Stellt sich dagegen im Laufe der polizeilichen Ermittlungen heraus, dass sich ein Tatverdacht nicht erhärten lässt, also gar keine Straftat vorliegt, so findet die Anzeige auch keinen Eingang in die PKS.

Insgesamt werden nur ungefähr 30 Prozent aller Tatverdächtigen auch verurteilt. All diese Ergebnisse finden aber keinen Eingang mehr in die PKS. Sie lässt sich daher auch nicht mit Statistiken der Justiz abgleichen wie etwa mit der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts.

Sind alle Straftaten in der Statistik erfasst?

Die PKS beschäftigt sich ausschließlich mit dem sogenannten "Hellfeld", also mit Taten, die bei der Polizei angezeigt und bearbeitet werden. Sie erfasst nicht das "Dunkelfeld" der Straftaten im Verborgenen, die verübt wurden, ohne von der Polizei entdeckt oder bei ihr angezeigt zu werden.

In einigen Deliktsgruppen wie zum Beispiel sexuelle Belästigung oder Kindesmissbrauch gilt ein großes Dunkelfeld in der kriminologischen Forschung als sehr wahrscheinlich, da Straftaten von den Opfern zum Beispiel aus Scham oder aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen entweder gar nicht oder erst Jahre später zur Anzeige gebracht werden. Auch sogenannte Kontrolldelikte, die im Wesentlichen erst durch polizeiliches Handeln Eingang in die Statistik finden, können eine hohe Dunkelziffer aufweisen. Dazu gehören Rauschgiftdelikte, Korruption, Schwarzfahren, Ladendiebstahl oder das Erschleichen von Sozialleistungen.

Der Frankfurter Strafrechtler und Kriminologe Tobias Singelnstein sagte dazu im NDR-Interview, den Aspekt des "Dunkelfelds" dürfe man nicht außer acht lassen. Dass es in der Kriminalstatistik einen Anstieg gebe, bedeute nicht unbedingt, dass es tatsächlich mehr Fälle gebe. Möglich sei auch, dass sich das Anzeigenverhalten in der Bevölkerung in einem bestimmten Deliktsbereich verändert habe oder sich die polizeiliche Schwerpunktsetzung verändert habe.

Welche Faktoren spielen bei Kriminalität eine Rolle?

Es gibt in der kriminologischen Forschung sehr konstante und belastbare Indikatoren für eine erhöhte Kriminalität: Erstens gibt es einen Kriminalitätsschwerpunkt in jüngeren Altersgruppen. Zweitens sind rund 75 Prozent aller Tatverdächtigen männlich. Drittens spielt die soziale Lage der Täter eine entscheidende Rolle: Je prekärer die soziale Lage, desto höher ist die Anfälligkeit für Kriminalität.

Kriminologe Singelnstein sagt dazu: "Ob Menschen Straftaten begehen, hängt im Wesentlichen von Alter, Geschlecht und den sozialen Umständen ab, aber nicht vom Pass oder von der Staatsangehörigkeit."

Hinter der Gruppe der Nicht-Deutschen verbergen sich "sehr, sehr unterschiedliche Menschen, die praktisch nichts miteinander zu tun haben". Das könnten Touristen sein genauso wie Geflüchtete, die seit ein paar Monaten in Deutschland sind. Oder Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebten. Wichtiger sei ein Blick auf die sozialen Lebenslagen.

Hinzu komme, dass "fremd gelesene Menschen", häufig auch Nicht-Deutsche, besonders häufig kontrolliert würden. Auch das könnte sich in der Statistik niederschlagen. Bestimmte Delikte können zudem nur von Ausländern begangen werden, etwa Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht und das Asylverfahrensgesetz sowie unerlaubte Einreisen.

Dass die sozialen Umstände relevant sind, spiegelt sich in der Statistik für 2023 wider: In wirtschaftlich schwachen Regionen ist die Kriminalitätsrate besonders hoch. Im ersten Halbjahr 2023 war sie zudem höher als im zweiten Halbjahr, als die Inflation zurückgegangen war und sich die wirtschaftliche Not vieler Menschen etwas entschärft haben dürfte.

Auch die Kontrollintensität der Polizei hat maßgeblichen Einfluss auf die Statistik. Eine hohe Polizeipräsenz führt in aller Regel auch zu mehr aufgedeckten und angezeigten Straftaten. Dies gibt aber keine Auskunft darüber, ob die tatsächliche Zahl der Straftaten gestiegen ist - oder lediglich diejenigen, die der Polizei bekannt geworden sind.

Das "Lüchow-Dannenberg-Syndrom"
1981 wurde im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen wegen der Atommülltransporte nach Gorleben massiv das Polizeipersonal aufgestockt. Wenn es gerade keine Anti-Atom-Proteste gab, verstärkten die zusätzlichen Einsatzkräfte den ganz normalen Polizeialltag. Dadurch stieg die Zahl der Tatverdächtigen in den 1990er-Jahren extrem an - im scharfen Gegensatz zu benachbarten Ortschaften, wo weniger Polizei im Einsatz war. Die Kriminalität hatte sich nicht erhöht, aber die Anzahl der Kontrollen schon. Damit ist das Dunkelfeld in der Region viel kleiner geworden.

Was fordern Kritiker der PKS?

An der PKS gibt es viel Kritik, seit Jahren fordern Experten eine Abschaffung in ihrer jetzigen Form und setzen sich für eine grundlegende Reform ein.

Der Kieler Kriminologe Martin Thüne spricht von einer "problematischen Datengrundlage". Die PKS sei "unvollständig, verzerrt, potenziell manipulierbar und ungewichtet", sagte Thüne der "Frankfurter Rundschau". So werde "zumindest in der öffentlichen und politischen Debatte die Zahl von ausländischen Tatverdächtigen regelmäßig ins Verhältnis gesetzt zur ausländischen Wohnbevölkerung - also zum Beispiel 40 Prozent an den Tatverdächtigen bei nur 15 Prozent an der Gesamtbevölkerung". Dabei würden aber viele Taten von Tatverdächtigen erfasst, die gar nicht in Deutschland lebten - von Touristen, Stationierungskräften oder Pendlern.

Auch Singelnstein kritisiert, die Statistik werde "massiv überinterpretiert". Die Politik habe das Gefühl, sie müsse sich zu den Zahlen positionieren, und das werde in der öffentlichen Debatte entsprechend aufgegriffen. So entstehe ein Kreislauf, der sich jedes Jahr wiederhole.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 09. April 2024 um 14:00 Uhr sowie Deutschlandfunk um 14:59 Uhr.