Alternative zum Heim Werden Pflege-WGs benachteiligt?
Wer im Alter auf Unterstützung angewiesen ist, möchte trotzdem möglichst selbstbestimmt leben. Pflege-Wohngemeinschaften können eine Alternative zum Heim sein. Träger kritisieren eine finanzielle Benachteiligung dieser Wohnform.
Am großen Küchentisch der Wohngemeinschaft schält Brigitte Bischoff Kartoffeln fürs Mittagessen, gemeinsam mit mehreren Mitbewohnern. Allein leben ohne Unterstützung könnte die 71-Jährige nicht mehr: Sie hat eine Demenz, so wie viele in ihrer WG in der Nähe von Mainz. In der Einrichtung der Caritas leben jeweils zwölf Senioren zusammen in einer Gruppe.
Jeder hat sein eigenes Zimmer mit Bad, die Wohnküche ist Gemeinschaftsraum. Zur Betreuung stehen rund um die Uhr Mitarbeiter zur Verfügung. Die Pflege übernehmen Fachkräfte eines ambulanten Pflegedienstes. Die WG-Bewohner können wie Brigitte Bischoff bei der Vorbereitung des Mittagessens helfen. Es gibt Bewegungsangebote und gemeinsames Singen oder Spielen. Die Caritas als Träger wirbt mit der familiären Atmosphäre der kleinen Wohngruppen. Das Konzept ähnele einer privaten Wohnsituation, Bewohner könnten ihren Alltag selbstbestimmt und individuell gestalten.
Finanziell benachteiligt?
"Für viele Senioren ist das eine attraktive Wohnform", sagt Markus Hansen, der als Geschäftsführer für die Wohngemeinschaften, aber auch für andere Senioreneinrichtungen der Caritas im Mainzer Raum verantwortlich ist. "Finanziell wird diese betreute Wohnform aber durch den Bundesgesetzgeber gegenüber Pflegeheimen benachteiligt", kritisiert Hansen.
Seit dem vergangenen Jahr bekommen Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen Entlastungszuschüsse zu den Pflegekosten. Und zwar fünf Prozent des Eigenanteils im ersten Jahr im Pflegeheim, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent. Und 70 Prozent, wenn sie länger als drei Jahre in einem Pflegeheim leben.
In einem neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nun eine Anhebung dieser Entlastungen beim Eigenanteil vorgesehen. "Während die Zuschüsse für Menschen in Pflegeheimen steigen, je länger sie dort wohnen, bekommen Bewohner einer Pflege-WG einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 214 Euro im Monat von der Pflegekasse. Unabhängig davon, wie lange sie dort leben", kritisiert Hansen.
Caritas fordert Gleichbehandlung
Er findet die Entlastungen für Bewohner von Pflegeheimen grundsätzlich richtig. Der Gesetzgeber habe aber versäumt, diese auch für betreute Wohngemeinschaften einzurichten, kritisiert der Geschäftsführer mehrerer Caritas-Altenhilfeeinrichtungen. Wohn-Pflege-Gemeinschaften seien deshalb auf die Dauer gesehen unverhältnismäßig teurer. "Das benachteiligt diese Wohnform, obwohl sie ein sehr gutes und ergänzendes Angebot im Bereich des Pflegemarkts ist."
Die Caritas verlangt daher eine Gleichbehandlung von Pflege-Wohngemeinschaften mit Pflegeheimen: "Wir fordern, dass die Regeln, die für die stationären Einrichtungen gelten, auch für uns in den ambulant betreuten Wohngemeinschaften in gleicher Weise angewendet werden. Damit es auch eine stärkere Entlastung für die Bewohner gibt, die länger in unseren Wohn-Pflege-Gemeinschaften leben." Und das müsse dringend in den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung aufgenommen werden, fordert Hansen.
Ministerium sieht keinen Nachbesserungsbedarf
Das Bundesgesundheitsministerium sieht aktuell keinen Nachbesserungsbedarf beim Gesetzentwurf zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege. Die Eigenanteilsreduzierung sei speziell auf vollstationäre Pflegeeinrichtungen hin ausgerichtet und konzipiert, teilt ein Sprecher mit. Bewohner von Pflege-WGs hätten Zugriff auf eine Reihe anderer Leistungen. Das wiege die Eigenanteilsreduzierung für den vollstationären Bereich auf. Daher besteht nach Angaben des Ministeriums kein genereller Bedarf, die Regelung zu Eigenanteilsreduzierung auf Pflege-WGs zu übertragen.
Markus Hansen kann die Argumentation des Bundesgesundheitsministeriums nicht nachvollziehen: "Wenn der Gesetzgeber nichts ändert, dann werden Pflege-WGs deutlich an Attraktivität verlieren. Dabei müssten solche Angebote weiter ausgebaut werden", betont Hansen.
Auch die Direktorin des Caritasverbandes für die Diözese Mainz, Regina Freisberg, unterstreicht die Kritik: "Um die Versorgung einer immer älteren Bevölkerung in der Zukunft bewältigen zu können, müssten diese innovativen Wohnformen eigentlich besonders gefördert werden." Bereits im vergangenen Jahr habe man auf die Benachteiligung der betreuten Wohngemeinschaften hingewiesen.
Rheinland-Pfalz will Änderungen
Die rheinland-pfälzische Landesregierung befürwortet solche alternativen Pflege-Wohnformen, wie sie die Caritas anbietet, und finanziert seit vielen Jahren Beratungsangebote dazu. Von den politischen Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz erwartet Hansen daher Unterstützung: "Wir fordern von der Landesregierung, dass sie sich im Bund dafür einsetzt, dass in den neuen Gesetzentwurf eine Gleichbehandlung von Pflege-Wohngemeinschaften mit Pflegeheimen eingearbeitet wird."
Der rheinland-pfälzische Sozialminister hat bereits angekündigt, sich für Änderungen stark machen zu wollen: "Da muss noch deutlich nachgebessert werden. Wir brauchen einen Schub für die Pflegewohngemeinschaften, für die neuen Pflegeformen." Die Angebote, sagt Alexander Schweitzer (SPD), würden in Rheinland-Pfalz sehr gerne angenommen, da bräuchte es die Unterstützung des Bundes.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege wird wohl schon bald von Bundestag und Bundesrat beraten. Dann könnte die Forderung nach einer Gleichbehandlung von Pflegeheimen und Pflege-WGs Thema werden. Darauf hofft Hansen für die Bewohnerinnen und Bewohner seiner Pflege-Wohngemeinschaften.