Sicherheit im Radverkehr Eng überholt statt ernst genommen
Wie sicher fühlen sich Radfahrer und wo werden sie im Straßenverkehr benachteiligt? Eine Auswertung von Verkehrsexperten der Hochschule Karlsruhe zeigt, dass viele Autofahrer beim Überholen zu wenig Abstand halten. Von Thomas Reutter.
Wie sicher fühlen sich Radfahrer und wo werden sie im Straßenverkehr benachteiligt? Eine Auswertung von Verkehrsexperten der Hochschule Karlsruhe zeigt, dass viele Autofahrer beim Überholen zu wenig Abstand halten.
Was Radfahrer mit Abstand am meisten stresst, sind Autos, die sie zu eng überholen. Das ist ein Ergebnis einer neuen Untersuchung zum Gefährdungsempfinden von Radfahrenden. Der SWR hatte in seiner Mitmachaktion #besserRadfahren dazu aufgerufen, Gefahrenstellen und Probleme im Radverkehr zu melden. Über sieben Wochen konnten in Südwestdeutschland in 25 Kategorien Gefahrenstellen oder Behinderungen gemeldet und frei kommentiert werden.
Herausgekommen ist eine Online-Landkarte, auf der die Problemzonen im Radverkehr exakt eingetragen sind. 10.756 Meldungen gingen ein. Verkehrsexperten der Hochschule Karlsruhe, die die Aktion ausgewertet haben, halten die Aktion für eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Erhebung.
Probleme einfach per App melden - Tausende Userinnen und User beteiligten sich an der Aktion für mehr Sicherheit von Fahrradfahren.
Der Verkehrsökologe Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe, der mit seinem Team die Daten analysiert hat, ist überrascht über die hohe Qualität der Beiträge: "Sie zeugen von der Bereitschaft der Radfahrenden, konstruktiv an der Verbesserung der Verhältnisse für den Radverkehr mitzuwirken." So hatten viele in ihren Meldungen, neben Kritik - und manchmal sogar Lob - auch gleich Lösungsvorschläge mit eingetragen wie beispielsweise "Hier gehört ein Schild hin" oder "Dort sollte ein störender Pfosten vom Radweg entfernt werden".
Fehlender Abstand trotz klarer Regeln
Besonders oft in den Meldungen erwähnt wurde "zu enges Überholen" durch Autos oder Lkw. Wie gefährlich das sein kann, ist seit Längerem bekannt. Daher wurde vor mehr als einem Jahr in der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben, dass Autofahrer einen Mindestabstand einhalten müssen, wenn sie Radfahrer überholen wollen. Und zwar innerorts 1,5 Meter und außerorts zwei Meter. Das sollte eigentlich ein ausreichender Abstand sein.
Sind die Radfahrer nun also übertrieben ängstlich oder empfindlich, wenn sie von Autos überholt werden, oder werden die vorgeschriebenen Mindestabstände einfach nicht eingehalten? Das wollte Verkehrsforscher Eckart mit weiteren Studien herausfinden.
Dazu setzte sein Team Probanden auf selbst entwickelte "Sensorbikes" und schickte sie zu Alltagsfahrten auf dem Rad durch verschiedene Städte und Gemeinden. Dabei wurden die Konflikte mit anderen im Verkehr mit Kameras dokumentiert und ausgewertet, und es wurde gleich auch noch gemessen, wie der Körper reagiert, wenn es auf dem Rad stressig wird.
Zusätzlich dokumentierten Radfahrerinnen und Radfahrer ihre Konflikte mit Autos per Handy mit der kostenlosen App "Sicherheit im Radverkehr". Das Ergebnis: "Bei mindestens einem von drei Überholvorgängen unterschritten die Autofahrer die Mindestabstände zu den Radfahrern", sagt der Verkehrsexperte. In einzelnen Orten wurden sogar bei jeder zweiten Überholung die vorgeschriebenen Abstände nicht eingehalten. "Manchmal war es wirklich sehr knapp", so der Wissenschaftler.
Warum aber halten sich die Autofahrer nicht an die Vorschriften? Viele sitzen doch selbst - zumindest am Wochenende - auch auf dem Rad und kennen die umgekehrte Perspektive. Zum einen liegt es daran, dass die neuen Abstandsregeln von 1,5 und zwei Metern noch nicht ausreichend ins Bewusstsein eingedrungen sind.
Zum anderen liegt es daran, dass viele Straßen zu eng sind, um ausreichend Abstand zu halten. Dann dürfte eigentlich gar nicht überholt werden. Aber weil die Autofahrer nicht hinter den Radlern auf der Bremse stehen wollen, überholen sie bei der erstbesten Gelegenheit eben doch und das kann dann gefährlich werden.
Schwere Unfälle häufig an Kreuzungen
Man muss allerdings dazu sagen, betont Verkehrsexperte Eckart, dass die meisten Unfälle mit Radfahrenden gar nicht im sogenannten Längsverkehr beim Überholen passieren, sondern im Querverkehr, also auf Kreuzungen oder in Einmündungen und unübersichtlichen Ausfahrten. Auch die amtliche Unfallstatistik zeigt, dass vor allem gefährliche Kreuzungen entschärft werden müssten.