Geiselnahme im Gefängnis Halle-Attentäter bleibt weiter eine Gefahr
Schon vor der Geiselnahme im Gefängnis galt der Halle-Attentäter als schwieriger Häftling. Der jüngste Vorfall zeige, welche Gefahr von ihm ausgehe, erklärte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff. Zur Tat selbst bleiben offene Fragen.
Er verübte am höchsten jüdischen Feiertag ein Attentat auf die Synagoge in Halle und tötete zwei Menschen. Vor zwei Jahren wurde er wegen der rassistischen und antisemitischen Tat zur Höchststrafe verurteilt. Kaum war das Urteil gesprochen, warf er einen Gegenstand in Richtung der Nebenkläger. Stephan B. zeigt nun auch im Gefängnis, dass er weiterhin eine Gefahr darstellt.
Am Montagabend nahm er nacheinander zwei Bedienstete als Geiseln und zwang sie, ihm den Weg aufzuschließen Richtung Freigelände inmitten der Gefängnismauern. Sein Ziel war laut sachsen-anhaltischem Justizministerium, in Freiheit zu gelangen.
Acht Justizvollzugsbedienstete konnten den Straftäter jedoch überwältigen. Der Gefangene wurde dabei verletzt, allerdings nicht schwerwiegend, wie es aus dem Landesjustizministerium hieß. Die beiden als Geiseln genommenen Männer wurden äußerlich nicht verletzt, werden aber betreut.
Keine gesicherten Erkenntnisse zu Tatmitteln
Nun bleibt zu klären, wie dem 30-Jährigen die Geiselnahme gelingen konnte. Er lebt in einer übersichtlichen Einzelzelle. Gegenstände des täglichen Bedarfs darf er besitzen. Unklar ist, mit welcher Art Gegenstand der Gefangene die Bediensteten bedroht hat.
Sachsen-Anhalts Justizministerin Weidinger bestätigte Medienberichte, wonach eine selbstgebauten Waffe zum Einsatz kam, nicht. Die Ermittlungen zum Hintergrund dauerten an, sie könne noch keine detaillierten Angaben machen, sagte Weidinger bei einer Regierungsbefragung im Landtag. "Das betrifft Einzelheiten zu den Tatmitteln, das betrifft polizeiliche Meldungen, ob tatsächlich ein Schuss abgegeben worden ist." Gesicherte Erkenntnisse lägen ihr dazu noch nicht vor.
Ähnlich äußerten sich ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg und die zuständige Staatsanwaltschaft in Stendal.
Attentäter nach einer halben Stunde überwältigt
Der Halle-Attentäter nutzte laut Landesjustizministerium gegen 21 Uhr die Phase des Einschlusses vor der Nacht, um den ersten Bediensteten in seine Gewalt zu bringen. Er zwang ihn dazu, mit ihm dem Weg auf den Freistundenhof zu gehen. Dort habe der Gefangene stark gestikulierend einen anderen Bediensteten aufgefordert, ihm den weiteren Weg im Inneren der Anstalt zu bahnen. Wie viele Türen die Bediensteten genau für den 30-Jährigen öffneten, ist noch unklar.
Im Innenbereich der Anstalt sei der Gefangene laut Justizministerium aber nicht weiter vorangekommen und eine halbe Stunde nach der Geiselnahme überwältigt worden. Er wurde in einen gesondert gesicherten Haftraum gebracht, wo er rund um die Uhr überwacht wird.
Sachsen-Anhalts Justizministerin Weidinger schließt eine Verlegung des Attentäters in ein anderes Bundesland nicht aus.
Verlegung in ein anderes Bundesland nicht ausgeschlossen
Justizministerin Weidinger betonte das gute Zusammenspiel der Bediensteten. Sie hätten ruhig und besonnen gehandelt. Die Politikerin sagte, sie sei betroffen, dass er seine "Grundhaltung kein Stück" geändert habe und ohne Rücksicht auf Leib und Leben anderer agiere. Es gehe Gefahr von ihm aus, deshalb werde er auch weiter engmaschig kontrolliert. Weidinger schloss eine Verlegung des Gefangenen in ein anderes Bundesland nicht aus.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff erklärte, der Vorfall zeige, welche Gefahr vom Halle-Attentäter weiterhin ausgehe. "Jetzt gilt es, das Geschehen zu analysieren und daraus mögliche Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser rief die Verantwortlichen dazu auf, die Sicherheitsmaßnahmen in Justizvollzugsanstalten zu überprüfen. Der Vorfall im Gefängnis von Burg gebe Anlass, bei den Sicherheitsvorkehrungen "nochmal sehr genau hinzugucken", sagte sie dem Fernsehsender Welt.
Geiselnahme als Höhepunkt unkooperativen Verhaltens
Der Halle-Attentäter gilt als unkooperativer und schwieriger Häftling. Insider berichten von vielen "Sperenzchen", die er sich leiste. Er binde viel Energie des Personals und sorge damit durchaus auch dafür, dass sich gewohnte Abläufe für andere Gefangene nicht immer einhalten ließen. Das Ministerium berichtete etwa von einem Fall, in dem der 30-Jährige seine Haftraumtür mit Papier verkeilte. Als Disziplinarmaßnahme wurde ihm jeglicher Kontakt zu anderen untersagt, er wurde in einem kahlen Raum untergebracht.
Am Pfingstwochenende 2020 hatte er bereits als Angeklagter im Halle-Prozess versucht, aus der JVA Halle zu fliehen. Während eines Hofgangs war er über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert und hatte fünf Minuten ohne Aufsicht nach Auswegen aus dem Gefängnis gesucht, bevor ihn Justizbedienstete wieder in Gewahrsam brachten.
Jüdische Gemeinde Halle entsetzt über Geiselnahme
Die Jüdische Gemeinde in Halle reagierte mit Entsetzen auf die Geiselnahme. "Das hat uns sehr erschrocken", sagte der Vorsitzende der Gemeinde, Max Privorozki. Der Attentäter habe nicht zum ersten Mal versucht, aus einer JVA zu fliehen. "Es ist uns nicht klar, wie das möglich ist", sagte Privorozki. Man müsse abwarten, was das Justizministerium sagt.
"Dieser Mann kann problemlos töten", sagte Privorozki über den Straftäter. Die Geiseln seien entsprechend "sehr, sehr nah am Tod gewesen", so wie die Gemeindemitglieder bei dem Attentat auf die voll besetzte Synagoge.
Verurteilt zu lebenslanger Haftstrafe
Der rechtsextreme Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen und am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, die versammelten Gemeindemitglieder zu erschießen. Der Anschlag scheiterte an der gesicherten Synagogentür und an Ladehemmungen der von ihm selbstgebauten Waffen. Im Anschluss erschoss er zwei Menschen in der Stadt.
Stephan B. war am 21. Dezember 2020 zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Er sitzt seine Strafe derzeit im Gefängnis in Burg ab. Es ist das größte und modernste Hochsicherheitsgefängnis Sachsen-Anhalts.