Warnstreiks am Montag Wissing für Aufhebung des Sonntagsfahrverbots
Der für Montag angekündigte Warnstreik im Verkehrssektor steht in der Kritik. Die Bundesregierung rief die Tarifparteien nun zu Verhandlungen auf. Verkehrsminister Wissing ist für eine Aufhebung des Fahrverbots für Lkw an diesem Sonntag.
Vor dem für Montag geplanten bundesweiten Warnstreik im Verkehrssektor hat die Bundesregierung die beteiligten Tarifparteien zu einer baldigen Verhandlungslösung aufgerufen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit wies in Berlin darauf hin, dass das Streikrecht ein Grundrecht in Deutschland ist. Grundsätzlich rufe man aber zugleich dazu auf, "dass die Tarifpartner bald zu einer tragfähigen Lösung finden, damit die Auswirkungen eines solchen Streiks nicht zu arg sind".
Bundesverkehrsminister Volker Wissing appellierte nach Angaben seines Ministeriums an alle Beteiligten, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und die Auswirkungen des Streiks so gering wie möglich zu halten. Um die Lieferketten möglichst stabil zu halten und die Versorgung nicht zu gefährden, bat er die Länder, von Kontrollen des Sonntagsfahrverbots für Lkw abzusehen. Faktisch sprach er sich somit für eine einmalige Aufhebung des Sonntagsfahrverbots für Lastwagen durch die Länder aus. "Wir unterstützen das", sagte der FDP-Politiker in Mainz. Zudem seien Landesluftfahrtbehörden und Flughäfen gefordert, auch verspätete Landungen und Abflüge zu ermöglichen, damit gestrandete Passagiere ihr Ziel erreichen könnten, sagte der Minister der "Bild"-Zeitung.
Deutsche Bahn: Kein Ersatzfahrplan am Montag
Die Gewerkschaft ver.di und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) haben in jeweils eigenen Tarifrunden für Montag zu einem bundesweiten Warnstreik im Verkehr aufgerufen. Betroffen sein sollen der Fern- und Regionalverkehr auf der Schiene, Flughäfen, Wasserstraßen und Häfen sowie die Autobahngesellschaft.
Die Deutsche Bahn will im Güterverkehr versorgungsrelevanten Zügen Priorität einräumen. Einen Notfahrplan im Fernverkehr wird es laut einem Konzernsprecher jedoch nicht geben. Es seien zu viele Berufsgruppen zum Streik aufgerufen. Die Auswirkungen werden dem Bahnsprecher zufolge aufgrund von überlappenden Schichten schon am Sonntagabend zu spüren sein.
Betroffen ist auch der Bahnverkehr nach Österreich. Es werde keine grenzüberschreitenden Nah- und Fernverkehrszüge geben, teilten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) mit. In der Regel endeten sie vor der Grenze. Auch Nachtzüge mit deutschen Streckenabschnitten, die am Sonntag und Montag starten, seien betroffen.
Flugausfälle bereits am Sonntag
Auch nahezu sämtliche deutschen Flughäfen sollen bestreikt werden. Lufthansa-Passagiere müssen sich bereits am Sonntag auf erhebliche Ausfälle einstellen. Am Flughafen München finden bereits dann - abgesehen von humanitären Flügen - keine Lufthansa-Flüge mehr statt, wie die Airline mitteilte. Die Lufthansa gehe aber davon aus, dass bereits am Dienstag der Flugbetrieb wieder weitestgehend normal durchgeführt werden könne.
Arbeitgeber warnen: "Nicht radikalisieren"
Der Bundesverband Güterverkehr und Logistik (BGL) warnt angesichts des Streiks vor einem Versorgungschaos. Die Gewerkschaften handelten "gegen den Willen von Millionen Bundesbürgern", sagte Verbandspräsident Dirk Engelhardt der "Bild"-Zeitung.
Auch Deutschlands Arbeitgeber warfen den Gewerkschaften überzogenes Handeln vor. "Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht", sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der dpa. Er mahnte, der Kampf um Mitglieder dürfe die Tarifautonomie in Deutschland nicht radikalisieren.
Gewerkschaften verteidigen Warnstreiks
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, verteidigte den Streik indes. "Ein Arbeitskampf, der keine Wirkung erzielt, ist ein zahnloser Arbeitskampf", sagte er im Fernsehsender Phoenix.
Werneke räumte ein, dass der gemeinsame Streik mit der Eisenbahnergewerkschaft EVG zur Belastung für viele Menschen werde, "aber besser ein Tag Belastung mit der Perspektive, zu einem Tarifabschluss zu kommen, als ein wochenlanger Arbeitskampf". Denn davon wären nicht nur die Verkehrsbereiche betroffen, "sondern auch Krankenhäuser, Abfallwirtschaftsunternehmen und Kitas", sagte Werneke. Er sieht die Arbeitgeber in der Verantwortung, sich in den Tarifverhandlungen zu bewegen.
Fahimi: "Forderungen nicht unrealistisch"
Die Forderungen der Gewerkschaft im Tarifstreit hat die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, verteidigt. "Sie sind notwendig", sagte sie dem SWR in einem Interview, das am Samstag ausgestrahlt werden sollte. Das Ergebnis bei der Post, wo eine durchschnittliche Tariferhöhung von 11,5 Prozent über alle Einkommensgruppen hinweg erzielt wurde, zeige auch, dass die Forderungen "ganz und gar nicht unrealistisch" seien.
Im Tarifstreit im öffentlichen Dienst wird derzeit ein Anstieg der Löhne und Gehälter um 10,5 Prozent gefordert, bei der Bahn verlangt die verhandelnde Gewerkschaft EVG zwölf Prozent mehr Lohn. Fahimi sagte dazu dem SWR, es gebe sowohl einen "Nachholbedarf aus dem Jahr 2022 mit einem Inflationsrekord" als auch eine vorausschauende Perspektive. "Denn in diesem Jahr wird die Inflation ja auch nicht gerade wieder auf zwei, drei Prozent fallen", sagte sie.
Fahimi warnte außerdem vor einer Einschränkung des Streikrechts: "Damit spielt man nicht", sagte sie im ZDF. "Und ich kann auch nur davon abraten zu spekulieren, ob man das Streikrecht nicht in Deutschland einschränken müsste. Das Streikrecht in Deutschland kenne bereits Grenzen: politische Streiks wie gegen die Rentenreform in Frankreich seien hierzulande gar nicht möglich.
DIW-Präsident: Streiks werden zunehmen
Mit einer Zunahme von Streiks in den kommenden Jahren rechnet der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Der Arbeitsmarkt entwickele sich zu einem Arbeitnehmermarkt. Bereits heute gebe es in Deutschland zwei Millionen offene Stellen und eine riesige Fachkräftelücke, die sich in den kommenden zehn Jahren noch vergrößern werde.
"Der Arbeitskampf und der Mega-Streik im Verkehrssektor am kommenden Montag sind das logische Resultat dieser Zeitenwende", sagte Fratzscher. "Ich erwarte für die kommenden Jahre eine deutliche Zunahme der Arbeitskämpfe in Deutschland."