TikTok Was andere Parteien vom Erfolg der AfD lernen
Die AfD ist einer Studie zufolge bei jungen Menschen so beliebt wie nie. In der Social-Media-App TikTok hat keine Partei mehr Likes. Doch es regt sich Gegenwind.
Marvin ist Schüler, 18 Jahre alt, und schaut sich gerne Videos der AfD auf TikTok an. "Das ist kein langweiliges Politiker-Geschwätz", sagt er. Auf dem Handybildschirm in seiner Hand zieht Maximilian Krah, Europawahl-Spitzenkandidat der AfD, gerade über den Grenzschutz der EU her.
Krah hat über eine halbe Million Likes auf TikTok. Seine Reichweite hat die Plattform wegen "wiederholter Verstöße gegen unsere Community-Richtlinien" stark eingeschränkt. Schüler Marvin sieht die Clips trotzdem. Er geht gezielt auf das Profil des AfD-Politikers. "Krah ist ja auch ein kerniger Typ, in der Art, wie er das rüberbringt", sagt Marvin. Das überzeuge ihn so sehr, dass er kurz vor dem Eintritt in die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) stehe.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die JA als "gesichert extremistische Bestrebung" eingestuft. Einen Eilantrag der Partei dagegen hat das Verwaltungsgericht Köln im Februar abgelehnt. Die Landesverbände der AfD gelten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als "gesichert rechtsextrem", in Bayern als Verdachtsfall.
AfD unter Jugendlichen immer populärer
Marvin ist nicht der Einzige, bei dem die TikTok-Videos der AfD-Politiker verfangen. Wäre jetzt Bundestagswahl, würden 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland die AfD wählen. Das ergab die Befragung "Jugend in Deutschland 2024". Vor zwei Jahren waren es noch neun Prozent. Experten vermuten einen Zusammenhang mit dem großen Erfolg der Partei auf TikTok. Dort erreiche die AfD mehr als dreimal so viele Nutzer wie alle anderen Parteien im Bundestag zusammen. Das hat eine Analyse ergeben, über die ZDFheute berichtete.
Auch dem Medienexperten Klaus Lutz machen die Entwicklungen Sorge. Er ist Geschäftsführer des Medienzentrums Parabol in Nürnberg und Medienfachberater für den Bezirk Mittelfranken. Lutz kann erklären, weshalb die Inhalte der AfD auf TikTok besonders gut funktionieren.
Algorithmus springt auf Populismus an
Die AfD bediene ein passendes Schema für die App, beschreibt Lutz: "Hassbotschaften sind emotional, einfach zugeschnitten, nicht differenziert." Die Nutzer liken und kommentieren solche Videos viel - auch kritisch. Das belohnt der Algorithmus und spült die Videos in immer mehr Kanäle. "Und das Phänomen ist auf TikTok stärker als auf anderen Plattformen. Da rutscht man schneller in den Sog", sagt Lutz.
Andere Parteien seien nicht bereit, "auf die holzschnittartige, Hass- und Hetze-geleitete Spreche der AfD aufzuspringen" und hätten deshalb weniger Reichweite. Außerdem habe die AfD verstanden, dass sie ihre Reichweite nicht nur durch positive Videos verstärkt, sagt der Medienexperte.
Marvins Klassenkameradin Maya glaubt: "Viele junge Menschen nehmen die Politik nicht so ernst, wie man sie ernst nehmen sollte. Von der AfD kommt eben mehr witziger Content als von anderen Parteien, deshalb kommt man schneller darauf."
Rechte Influencer setzen Tonalität
Zudem setze AfD Influencer ein, um ihre Botschaften in die Feeds zu spülen. "In den Videos geht es dann zum Beispiel um Themen wie Männlichkeit", sagt Lutz. Eigentlich harmlos wirkende Themen, die die Influencer aber gezielt mit rechtspopulistischem Wording aufladen. Das Ergebnis: Die Nutzerinnen und Nutzer gewöhnen sich an den Tenor.
Nicht zuletzt habe die AfD sehr früh damit begonnen, sich eigene Kanäle zu schaffen, um ihre Inhalte ungefiltert zu verbreiten, sagt Lutz. Die Partei habe also einen Zeitvorteil. "Und dadurch verstehen sie die Mechanismen besser." Zum Beispiel strukturiere die AfD Bundestagsreden so, dass man kurze Ausschnitte daraus wunderbar auf TikTok hochladen könne, sagt Lutz.
#ReclaimTikTok will demokratischen Diskurs fördern
In den vergangenen Wochen zogen nun aber auch andere nach: Unter dem Hashtag #ReclaimTikTok wollen die Bundestagsparteien mehr demokratischen Diskurs auf die Plattform bringen. Seitdem legen immer mehr Politikerinnen und Politiker Accounts an.
Omid Nouripour, Bundesvorsitzender der Grünen, erklärt in einem seiner ersten Clips: "Lange haben wir gezögert, auf TikTok präsent zu sein. Warum? Weil TikTok bei Datenschutz nicht sauber ist." Nun wollen sie aber "Hass und Hetze" etwas entgegensetzen und "das Ruder rumreißen".
Nasser Ahmed ist SPD-Stadtrat in Nürnberg und stellvertretender Generalsekretär der Bayern-SPD. Seit über drei Jahren ist er auf TikTok aktiv - laut eigener Aussage als einer der ersten deutschen Politiker. TikTok-Präsenz ist ihm wichtig, denn: "Für die Demokratie müssen wir in allen Räumen sein, wo Kommunikation stattfindet."
Seit Jahresbeginn schließen sich vermehrt Parteikollegen an. "Die Partei-Chefs machen seit ein paar Wochen mündlich, aber auch immer wieder in Rundmails darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, auf TikTok nachzuziehen", erzählt Ahmed. Seit April hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz einen eigenen TikTok-Account.
Jetzt gehe es darum, den richtigen Ton zu treffen. Ahmed findet: "Da dürfen auch wir mal zuspitzen." Er postet zum Beispiel Inhalte wie: "Deutschland hat kein Problem mit Migration, Deutschland hätte ein Problem ohne Migration." Wichtig sei aber vor allem, "dass die Inhalte zwar verkürzt, aber trotzdem wahr sind".
Und auch die Opposition will der AfD auf TikTok etwas entgegensetzen. So wie Bundestagsmitglied Ronja Kemmer (CDU). Sie hat seit 2022 einen Account und findet es wichtig, "dass wir auch auf TikTok der AfD nicht das Feld überlassen". Um das zu schaffen, wolle sie sich zwar für die Algorithmen nicht verbiegen, ihre Inhalte aber trotzdem "möglichst 'snackable' aufarbeiten".
Was können Eltern und Pädagogen tun?
Michael Becker ist der Geschichtslehrer von Maya und Marvin. In seiner Klasse gebe es viele Debatten zwischen den Jugendlichen, erzählt er. "Mir ist wichtig, dass man eine Gesprächskultur hat und über alles reden kann", sagt er. Aber er halte "mit Sachkenntnis dagegen" und "entkräfte, wenn es etwas zu entkräften gibt".
Auch Medienpädagoge Lutz hält es für wichtig, den Jugendlichen keine Meinung aufzudrängen, sondern Jugendliche, die auf populistische Inhalte einsteigen, zum Nachdenken zu bringen.