interview

Dritter Teil des Weltklimaberichts "Ein Leak - weil es dramatisch ist"

Stand: 07.09.2021 03:47 Uhr

Der dritte Teil des Weltklimaberichts wird erst in einem halben Jahr veröffentlicht. Die Gruppe "Scientist Rebellion" hat nun einen Entwurf geleakt - aus Angst davor, dass der Bericht verwässert wird. Was fordern die Wissenschaftsaktivisten?

tagesschau.de: Der dritte Teil des Berichts des Weltklimarates (IPCC) soll eigentlich erst im März nächsten Jahres veröffentlicht werden. Warum so ungeduldig?

Nana-Maria Grüning: Wir haben das geleakt, um zu zeigen, dass Wissenschaftler persönliche Risiken auf sich nehmen, um die Öffentlichkeit zu informieren, weil die Situation so dramatisch ist mit der Klimakrise. Und weil es immer wieder vorgekommen ist, dass Formulierungsänderungen an der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers) vorgenommen wurden. Wir denken, dass es eine Wirkung darauf hat, wie Journalistinnen und Journalisten dann die Informationen weiterverarbeiten. Wir wollten das so roh an die Öffentlichkeit bringen.

Nana-Maria Grüning
Zur Person
Nana-Maria Grüning ist Molekularbiologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biochemie an der Charité in Berlin.

Franziska Elmer: Es ist auch wichtig zu sagen, dass der Report, den wir geleakt haben, unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so abgegeben haben. Die arbeiten nicht mehr am Report. Alle, die ihn in den nächsten sechs Monaten lesen, sind Repräsentanten der verschiedenen Regierungen, also keine Wissenschaftler. Sie sind von Regierungen, die schon in der Vergangenheit Formulierungen geändert oder gestrichen haben, weil sie nicht in die politische Agenda passen.

Franziska Elmer
Zur Person
Franziska Elmer ist Meeresbiologin aus der Schweiz und forscht unter anderem in der Karibik vor Mexiko zu der Entwicklung von Korallenriffen.

Kyle Topfer: Da ich aus dem globalen Süden komme und mit eigenen Augen gesehen habe, was die Folgen des Klimawandels ausgelöst haben, weiß ich, wir haben keine Zeit, diese sechs oder sieben Monate zu warten, um in der Policymaker-Fassung über Detailformulierungen zu diskutieren. Sondern es ist wichtig, dass jeder erfahren kann, was die IPCC-Wissenschaftler geschrieben haben.

Kyle Topfer
Zur Person
Kyle Topfer stammt aus Australien und hat an der Technischen Universität Dresden Umweltwissenschaften studiert. Er lebt derzeit in Berlin.

tagesschau.de: Wer ist denn genau "Scientist Rebellion" und wie hängen Sie mit dem Weltklimarat zusammen?

Grüning: "Scientist Rebellion" gibt es erst seit Ende letzten Jahres. Wir hatten unsere ersten globalen Aktionen im März, wo circa. 150 Wissenschaftlerinnnen und Wissenschaftler weltweit mitgemacht haben. Wir sind in den einzelnen Ländern gar nicht so viele. Aber wenn wir etwas machen, dann in den verschiedenen Ländern gleichzeitig, um mehr Sichtbarkeit zu gewinnen.

Ich finde, seit 40 Jahren wurden Wissenschaftler ignoriert: Sie haben publiziert, sie haben Interviews gegeben, haben in Filmen mitgewirkt, aber die Emissionen steigen. Wie schon Albert Einstein sagte: Die das Privileg haben zu wissen, haben auch die Pflicht zu handeln. Wenn wir als Wissenschaftler nicht lauter werden und unsere Verzweiflung einfach rausschreien, wer soll das dann als ernsthafte Krise sehen?

Elmer: Ich bin seit Januar bei "Scientist Rebellion" dabei, weil ich Klimaaktivismus für sehr wichtig halte. Wir Wissenschaftler sind ja die, die die Nachrichten überbringen. Es gibt so viele meiner Kollegen, die wissen auch, was mit der Klimakrise ist und sie tun nichts oder sehr wenig. Das finde ich extrem schlimm.

tagesschau.de: Auf Ihrer Website ist ein Video, das sehr rebellisch wirkt, in dem viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr deutlich ihre Meinung sagen. Man spürt die Ungeduld. Ist es das, was sie antreibt?

Grüning: Auf alle Fälle. Alle können das überhaupt nicht fassen, so ignoriert zu werden. Alle können es nicht fassen, dass manche Regierungen wirklich kriminell korrupt agieren, indem sie unsere Zukunft verheizen. Und wir wollen uns dem laut entgegenstellen. Wir glauben, dass nur massenhafter ziviler Ungehorsam so viel Druck aufbauen kann, wie nötig wäre, um Veränderung zu bewirken - weil alles andere vorher nicht funktioniert hat und nicht, weil es uns Spaß macht.

tagesschau.de: Gab es dafür einen besonderen Anstoß, einen Funken, der es ausgelöst hat?

Elmer: Der Funken kam mit "Extinction Rebellion" und dann kam "Fridays for Future" auf. Ich denke, "Extinction Rebellion" hat es geschafft, aus einer kleinen Gruppe eine große Bewegung zu machen. Es hat in England begonnen, ist jetzt weltweit eine Bewegung und zeigt, dass es was bringt. Nach den ersten Aktionen hat England einen Klimanotstand ausgerufen. Aus "Extinction Rebellion" hat sich eine Gruppe zu "Scientist Rebellion" zusammengetan.

tagesschau.de: Sind Sie selbst am IPCC-Bericht beteiligt?

Grüning: Von uns in der Gruppe niemand.

tagesschau.de: Wie kommen Sie denn dann an das Papier? An dem Weltklimabericht arbeiten ja viele Wissenschaftler, aber diese sind ja auch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Hatten Sie also Kontakt zu jemandem, der direkt an dem Bericht beteiligt war?

Grüning: ... oder der "Scientist Rebellion" ganz gut findet!

tagesschau.de: Und auch für diese Person, die das weitergegeben hat, ist ist es doch aus wissenschaftlicher Sicht doch eher gefährlich: Schließlich riskiert man damit seinen akademischen Ruf und auch die Arbeit, oder nicht?

Grüning: Da sehen Sie mal, wie mutig das ist, nur um uns zu informieren. Das ist großartig!

tagesschau.de: Was haben Sie sich vom Leak des Berichtsentwurfs erhofft?

Grüning: Wir haben uns erhofft, dass der IPCC-Bericht und die Aufmerksamkeit dafür erweitert wird. Dass es in den Medien mehr diskutiert wird und rausgetragen wird. Das ist nämlich ein sehr systemkritischer Inhalt. Darin steht, wir können nicht mehr so weitermachen mit Wirtschaftswachstum. Und unsere Politik ist ausgerichtet auf Wirtschaftswachstum und das zerstört unseren Planeten.

Früher sind Aktivisten für Konsum-, Wachstums- und Kapitalismuskritik belächelt worden. Dass das jetzt auch aus konservativen wissenschaftlichen Reihen kommt, von Wissenschaftlern, die sagen "Wir können uns das nicht länger leisten", das ist wichtig.

tagesschau.de: Sie sind mehr als beunruhigt. Aber glauben Sie, dass das einen Politiker vom Schlage eines Bolsonaro, Putin oder Orban beeindrucken wird?

Elmer: Das sind ja nicht nur Bolsonaro und Putin, die dagegen wirken. Ich bin aus der Schweiz. Der Fußabdruck unseres Finanzsystems ist zwanzigmal größer als der Fußabdruck des Inlands der Schweiz. Die Politik könnte der Nationalbank vorschreiben, nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren. Wenn die Nationalbank das machen würde, dann würde die UBS und die Crédit Suisse das auch tun. Aber das passiert nicht. Die Politik schaut, dass sie den Banken ja nichts vorschreibt. Dabei ist das der größte Hebel, den wir in der Schweiz haben.

Topfer: Es geht nicht darum, Aufmerksamkeit mit unseren Aktionen zu bekommen, sondern eine ehrliche Diskussion zu haben. Wir wurden so oft von anderen angegriffen, wir würden irgendwelchen Irrsinn erzählen, gerade wenn es um das Thema Wachstum geht. Wir wollen eine faktenbasierte, ehrliche Diskussion. Letztlich sind unsere Ökonomien für uns und nicht wir für sie da.

Das Interview führte Ingrid Bertram, WDR

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. August 2021 um 16:36 Uhr.