Geschwindigkeitsbegrenzung Warum viele Städte Tempo 30 wollen
Mehr als 380 Städte und Kommunen wollen innerorts leichter Tempo-30-Zonen einrichten können. Doch hier hat auch der Bund ein Wort mitzureden - und der bremst. Was steckt dahinter?
Ortseingang - das bedeutet runter vom Gas. Normalerweise auf die übliche Geschwindigkeit von 50 Kilometer pro Stunde. Wer auf der B31 nach Freiburg fährt, sieht dagegen am Ortseingang ein Tempo-30-Schild. "Entlang der Hauptdurchfahrt wurden sämtliche Grenzwerte in Bezug auf Abgase und Lärm überschritten", erklärt Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag. Deshalb hat Freiburg Tempo 30 auf diesen Abschnitten eingeführt. Das ist auf Hauptverkehrsstraßen eigentlich sehr schwierig.
Mehr Freiheit für Städte und Kommunen
Viele Städte und Kommunen wollen mehr Freiheit bei der Geschwindigkeitsanordnung. So hat sich die Initiative "Lebenswerte Städte" gegründet. Freiburg und Leipzig gehören zu den sieben Gründungsstädten. "Die Initiative fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Städte und Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten", so Thomas Dienberg, Baubürgermeister in Leipzig und Sprecher der Initiative.
"Wir möchten zwei Änderungen. Einmal im Straßenverkehrsgesetz und in der Straßenverkehrsordnung", so Dienberg. Dabei gehe es vor allem um die Hauptverkehrsstraßen, denn auch das seien Straßen, in denen gewohnt und gelebt wird. "Auf diesen Straßen ist es nur unter hohen Hürden möglich, Tempo 30 auszuweisen und auch nur in ganz beschränkten Abschnitten. Nur vor Schulen, Kindertagesstätten oder Altenheimen, kann man heute vergleichsweise einfach per Einzelregelung Tempo 30 anordnen."
Flickenteppich der Geschwindigkeiten
Die Folge: ein Flickenteppich von Geschwindigkeiten. "Wir haben in Freiburg die Situation, dass auf 500 Metern von 7 Uhr bis 18 Uhr Tempo 30 gilt. Ein paar Meter weiter dann von 22 Uhr bis 6 Uhr. Das kann nicht im Sinne der Autofahrer sein", findet Haag.
Inzwischen haben sich der Initiative mehr als 380 Städte und Kommunen angeschlossen und es werden immer mehr. "Von Berlin über Stuttgart bis hin zu vielen kleinen Kommunen. Das sind alles Städte und Gemeinden, die von ganz unterschiedlichen Fraktionen geführt werden", so Initiativen-Sprecher Dienberg aus Leipzig. Es gehe nicht um ideologische Aspekte, sondern darum, die Städte lebenswerter zu machen.
Mehr Lebensqualität
"Nicht die Stadt sollte sich nach dem Verkehr ausrichten, sondern umgekehrt", meint auch Haag. "Runter auf Tempo 30 bedeutet weniger Lärm, weniger Abgase, mehr Verkehrssicherheit, mehr Lebensqualität." Zudem bringe eine einheitliche Geschwindigkeitsregelung mehr Klarheit und damit mehr Akzeptanz.
Bei der bisherigen Gesetzeslage gehe es darum, die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs zu gewährleisten, so Dienberg. "Es muss aber auch die Leichtigkeit und Sicherheit des Lebens und des sich Aufhaltens in einer Stadt gewährleistet sein. Die Gesetzeslage verkörpert ein Denken der 1950er-Jahre des letzten Jahrhunderts, in dem es einen Bruchteil des Verkehrsaufkommens gegeben hat. Und das hat mit der Realität heute nichts zu tun."
Umweltbundesamt für Tempo 30 in Ortschaften
Das Umweltbundesamt geht noch einen Schritt weiter. Es empfiehlt deutschlandweit Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit einzuführen. Das würde bedeuten: In der Regel gilt Tempo 30, es kann aber Ausnahmen für Tempo 50 geben. "Die direkten Vorteile sind, dass der Lärmschutz verbessert wird, Schadstoffe reduziert werden und die Verkehrssicherheit verbessert wird", so Miriam Dross Fachgebietsleiterin für nachhaltige Mobilität in Stadt und Land im Umweltbundesamt (UBA).
Das UBA hat die Wirkungen einer innerörtlichen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h auf Verkehr sowie auf Lärm und Luftschadstoffe erforschen lassen. Grundlage waren Simulationen in drei Beispielstädten - Göttingen, Halle und Ravensburg. Die Simulationen zeigen laut UBA enorme Lärmentlastungen besonders an Hauptverkehrsstraßen. "Lärm hat Auswirkungen auf die Gesundheit", so Dross weiter.
Beispiel Helsinki
Laut einer Untersuchung des UBA aus dem Jahr 2020 fühlen sich 76 Prozent der Befragten in ihrem Wohnumfeld durch Straßenverkehr gestört oder belästigt. Außerdem verweist Dross auf die Erfahrungen aus anderen europäischen Städten. "In Helsinki wurde Tempo 30 im Jahr 2018 als Teil der 'Vision Zero'-Strategie beschlossen und mit Beginn des Jahres 2019 im Stadtgebiet eingeführt. Im Jahr 2019 wurde dort erstmals keine zu Fuß gehende oder radfahrende Person bei einem Verkehrsunfall getötet." Mit der "Vision-Zero"-Strategie strebt die EU-Kommission an, die Zahl der Verkehrstoten in Europa bis zum Jahr 2050 auf Null zu reduzieren.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) setzt sich seit Langem für ein einheitliches System und damit deutschlandweit für Tempo 30 innerhalb von Ortschaften ein. Es gehe um einen Paradigmenwechsel. "Auch die WHO hat das als Empfehlung herausgegeben. Europäische Mitgliedsstaaten wie Spanien haben das direkt umgesetzt", so Geschäftsführer Jürgen Resch. "Es ist ein Minimum, was kommen muss, dass die Städte alle Freiheiten bekommen müssen, Verkehrsberuhigungen durchzuführen."
Bundesverkehrsministerium am Zug
"Was bislang vom Bundesverkehrsministerium gekommen ist, ist sehr, sehr mager", so Dienberg von der Initiative "Lebenswerte Städte". Im Ministerium heißt es auf Anfrage: "Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung so angepasst werden sollen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden. Dabei sollen den Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume eröffnet werden."
Das Bundesverkehrsministerium verweist weiter darauf, dass es eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gibt. "Nunmehr werden die Ergebnisse im BMDV zunächst u. a. rechtlich geprüft, bevor über deren Umsetzung zu entscheiden ist." Das BMDV sei auch mit Blick auf Regelungen zu Tempo 30 offen für unterschiedliche Lösungsansätze. "Nicht überzeugt ist das BMDV aber von flächendeckendem Tempo 30 oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Durchgangsstraßen."
Der Initiative "Lebenswerte Städte" ist das klar. Daher stellen sie diese Maximalforderung gar nicht. Sie wollen eine schnelle Lösung und hoffen auf mehr Freiheiten für die Städte und Kommunen.