Zahl der Praxen sinkt Warum auf dem Land Tierärzte fehlen
Die Zahl der Landtierärzte geht seit Jahren zurück, Praxen schließen. Lange Arbeitszeiten und weite Wege sind für viele unattraktiv. Sie arbeiten lieber in der Stadt, auf dem Amt oder in der Wirtschaft.
Impfungen für Kälber und Trächtigkeitsuntersuchung bei Mutterkühen - allein 20 Milchviehbetriebe mit im Durchschnitt jeweils 600 Tieren betreut Michael Kreher. Zweimal wöchentlich ist der Fachtierarzt für Rinder und Pferde aus Bad Liebenwerda im Süden Brandenburgs auf jedem der Höfe.
Die Arbeit teilt er sich mit vier seiner Kollegen. 40 Visiten sind ein wochenfüllendes Programm. Dabei sind Rinder nicht die einzigen Nutztiere, um die sich der Tierarzt kümmert. Auch Pferde, Ziegen, Schafe und Schweine aus umliegenden Zucht- und Agrarbetrieben wollen untersucht, behandelt oder geimpft werden.
Zehn-Stunden-Tage sind die Regel
"Die Arbeitstage beginnen in der Regel um sieben Uhr und sind eng getaktet", sagt Kreher. "Wenn dann gleich am Morgen ein Notfall reinkommt, sorgt das für Stress. Schaffe ich den verabredeten Termin, wo in der Regel Tiere für Untersuchungen und Behandlungen vorbereitet sind, oder muss ich den absagen? Und was ist, wenn ich den Notfall nicht versorgen kann?"
In der Regel dauern solche Tage zehn Stunden, manchmal auch länger. Dazu kommen die Fahrtstrecken von Hof zu Hof, die summieren sich nicht selten auf 300 Kilometer und die zunehmende Bürokratie, sprich Abrechnung und Dokumentation der Behandlungen, so Kreher.
Lange Arbeitszeiten, hohe Arbeitsbelastung, eine kaum angemessene Bezahlung, berücksichtigt man hier auch das lange, anspruchsvolle Studium und die anschließende Spezialisierung und dazu noch Notdienste, die abgesichert werden müssen: 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Besonders auf dem Land, wo es mehr um die großen Tiere geht im Stall oder auf der Weide und weniger um Hunde, Katzen oder Meerschweinchen, verliert der Traumberuf an Attraktivität.
Das Idyll gibt es nicht mehr
Besonders in den ländlichen Regionen geht die Zahl der Tierarztpraxen zurück. Angesichts der Belastungen scheuen hier immer mehr Veterinäre den Gang in die Selbständigkeit und lassen sich lieber anstellen.
Laut der Statistik der Bundestierärztekammer gab es 2019 deutschlandweit noch 12.019 niedergelassene Tierärzte - also Inhaber einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis. 2023 waren es nur noch 11.437. Ein Rückgang um rund fünf Prozent. Dagegen stieg die Zahl der in Praxen angestellten Veterinäre im gleichen Zeitraum von 9.701 auf 11.686, also um gut zwanzig Prozent.
Zu diesen Ärztinnen und Ärzten, die Mehrzahl ist weiblich, kommen noch einmal mehr als 8.700 Veterinäre, die nicht direkt "am Tier" arbeiten, wie es im Fachjargon heißt. Sie sind in Ämtern tätig, in Instituten oder in der Wirtschaft, etwa in der Fleisch-, Lebensmittel- oder der Pharmaindustrie. Tendenz steigend.
Andere Jobs sind attraktiver für Absolventen
Für viele Absolventen ist ein gut bezahlter Job in der Verwaltung, der Wirtschaft oder einer gut gehenden Kleintierpraxis in der Stadt attraktiver, als in einer Praxis auf dem Lande zu arbeiten. Zwar habe sich durch die seit Ende 2022 geltende neue Gebührenordnung die Einkommenssituation verbessert, sagt Tierarzt Kreher, doch gebe es seither auch mehr Diskussionen mit einigen Tierhaltern, da diese mehr für die Behandlungen bezahlen müssen.
In Krehers Nachbarschaft in Oberspreewald-Lausitz versucht der Landkreis, mit einem Stipendium junge Veterinäre anzulocken. 500 Euro pro Monat können Studierende erhalten, wenn sie sich verpflichten, nach ihrem Abschluss mindestens fünf Jahre in der Region zu arbeiten.
Tierärztliche Zentren statt Einzelpraxen
Michael Kreher ist Tierarzt in dritter Generation und zudem Vorsitzender des Landesverbandes praktizierender Tierärzte in Brandenburg. Vor 21 Jahren ist er in die Praxis seines Vaters eingestiegen und hat sie seither zusammen mit einem Partner zu einer Gemeinschaftspraxis mit drei Standorten im Süden Brandenburgs in Bad Liebenwerda, Falkenberg und Luckenwalde ausgebaut. 40 Angestellte arbeiten hier, darunter sind 14 Tierärztinnen und vier Tierärzte.
In solchen Zentren sieht Kreher einen Trend für die Zukunft der tierärztlichen Versorgung auf dem Land. Die sei aus seiner Sicht mit der geringer werdenden Zahl an Einzelpraxen kaum mehr zu gewährleisten, besonders was die Bereitschaften rund um die Uhr betrifft.
"Es ist oft so, dass die Notdienste an den Praxisinhabern hängenblieben", sagt Kreher. "Bei uns ist aktuell auch Personalmangel, eine Kollegin ist krank und eine im Urlaub, da ist die Situation schon angespannt und man kommt dann schon mal auf 65 Arbeitsstunden in der Woche."
Um die Notdienste in der Nacht und an den Wochenenden abzudecken, probiert die Landestierärztekammer in Brandenburg seit Anfang dieses Jahres ein neues Modell aus, das in Schleswig-Holstein bereits gängige Praxis ist und zunächst für Kleintiere gilt: Über eine zentrale Hotline werden die Tierhalter direkt mit der diensthabenden Praxis verbunden. Das soll den Aufwand und die Zahl unnötiger Telefonate verringern. Für Kreher ist das ein Schritt in die richtige Richtung.
Beruf für Menschen mit "Leidensfähigkeit"
Was sein Personalproblem betrifft, will Kreher zwei neue Veterinäre einstellen, um sein Team zu verstärken. Seit einem halben Jahr sucht er bereits und hofft jetzt, die beiden richtigen gefunden zu haben.
Trotz aller Schwierigkeiten brenne er für seinen Beruf, betont Kreher. "Meine Tochter ist 14 und die will auch Tierärztin werden. Ich kann ihr das schon empfehlen", sagt der 47-Jährige. "Aber nur, wenn sie das auch möchte. Da muss sie auch eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen. Das fängt schon beim Studium an: kaum Ferien, ein irres Pensum und dann der Zwiespalt zwischen Tierschutz, den Bedürfnissen der Tierhalter und der Erkrankung des Tieres. Das in Einklang zu bringen mit Familie und Freizeit ist nicht einfach."
Hoffnung für die Zukunft macht dem Tierarzt auch seine derzeitige Praktikantin Marie-Luise Lehmann. Wenn alles planmäßig läuft, wird die 27-Jährige im nächsten Jahr ihr Studium als Veterinärmedizinerin abschließen. Sie ist in einem brandenburgischen Dorf aufgewachsen, mit dem Landleben vertraut und will sich dann auf die Behandlung von Rindern und Pferden spezialisieren.