Klage des Antisemitismusbeauftragten Was das Urteil gegen Twitter bedeutet
Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter hat vor Gericht gegen Twitter gesiegt. Trotz seiner Beschwerde hat das Unternehmen ehrverletzende Tweets zunächst nicht gelöscht.
Wenn man dieser Tage versucht, Michael Blume per Direktnachricht bei Twitter zu kontaktieren, kann es etwas dauern, bis er antwortet. Deutlich länger jedenfalls, als das früher der Fall war. "Ich bin inzwischen nicht mehr so oft auf Twitter" sagt er. Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg hat sein Verhalten in den sozialen Medien geändert, nachdem er dort immer wieder angefeindet wurde. "Erst habe ich die Hetze ignoriert." Man gewöhne sich in dem Amt ja an Hass und Hetze. Aber irgendwann wurde es dann persönlich", sagt er. "Als meine Familie mit hineingezogen wurde, musste ich was tun."
Er bezieht sich damit auf Vorgänge im September dieses Jahres. In diversen Tweets wurde Blume damals massiv persönlich angegangen. So wurde etwa behauptet, Blume, der selbst ja Ansprechpartner für die Belange jüdischer Gruppen in Baden-Württemberg ist, sei "Teil eines antisemitischen Packs". Ebenso hieß es, er habe "einen Seitensprung gemacht" und zudem "eine Nähe zur Pädophilie".
Das Ziel: klare Regeln
"Das war eine bewusste Kampagne gegen mich", sagt Blume heute. Der Twitter-Account, der diese Aussagen verbreitet hat, ist inzwischen aus anderen Gründen gesperrt. Und damit auch die von ihm verfassten Tweets. Blume will juristisch dafür sorgen, dass die Tweets dauerhaft verschwinden, selbst wenn der Account wieder freigegeben werden sollte. Auch weitere Tweets anderer Nutzer, die "kerngleich", also im Wesentlichen identischen Inhalts sind, solle Twitter künftig sperren.
Bei dem Kampf gegen den Internetriesen wird der Religions- und Politikwissenschaftler Blume von der Organisation "Hateaid" finanziell unterstützt und vom Rechtsanwalt Chan-jo Jun vertreten. Das erklärte Ziel aller: Twitter klare Regeln aufzugeben, um das Sperren von verleumderischen oder beleidigenden Inhalten effektiv umzusetzen.
Das gehe zuverlässig nur auf dem Rechtsweg, so Blume. Bei Twitter selbst hatte seine entsprechende Meldung keinen großen Erfolg. Darum zog er also vor das Landgericht in Frankfurt am Main. Nun kam von dort die Entscheidung. Und das Gericht gibt Blume weitgehend Recht.
Blume spricht von einer Kampagne gegen sich und pochte auf die Löschung von Tweets.
Twitter hätte reagieren müssen
Die damaligen Tweets seien wahrheitswidrig gewesen oder zumindest im konkreten Sachzusammenhang rechtswidrig. Nachdem Blume diese Kommentare gemeldet hatte, hätte Twitter darum reagieren müssen. Konkret bedeutet das: Die ehrverletzenden Äußerungen hätten ab dann nicht weiter verbreitet werden dürfen.
Das Gericht geht aber noch weiter: Auch "kerngleiche Äußerungen" dürfe der Kurznachrichtendienst nicht weiter verbreiten. Das betreffe Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und "trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen". Das Argument, damit würde Twitter verpflichtet, sämtliche Tweets seiner Nutzer und Nutzerinnen zu überprüfen, verfing nicht. Geprüft werden müsse nur dann, wenn eine Persönlichkeitsrechtsverletzung konkret beanstandet werde. Das sei zumutbar.
Das Urteil nimmt Twitter also stark in die Pflicht. Und das in einer Zeit, in der sich der Kurznachrichtendienst im Wandel befindet. Gerade seit der Übernahme des sozialen Netzwerks durch den Multimilliardär Elon Musk, werden auch ehemals gesperrte Accounts reihenweise wieder freigeschaltet - teilweise ohne erkennbares Muster oder klar definierte Voraussetzungen dafür. Im Falle des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump etwa war es eine simple kurzzeitige Umfrage unter Twitter-Nutzern, die Musk selbst gestartet hatte, die der Entsperrung vorausging.
Anwalt spricht von "Meilenstein"
Bei einer Pressekonferenz zeigte sich Blume hochzufrieden mit dem Urteil. Er erhoffe sich davon eine Signalwirkung für andere Betroffene: Sie sollten den Mut gewinnen, gegen ehrverletzende Äußerungen vorzugehen, auch wenn das oft schwer falle. Aber soziale Netzwerke seien öffentlicher Raum, der sicher vor Hassrede und Verleumdungen sein solle. "Das sind Dinge, an die will ich mich nicht gewöhnen. Hass darf kein Geschäftsmodell sein."
Blumes Anwalt Chan-jo Jun sprach von einem "juristischen Meilenstein", weil sich die Löschungspflicht auch auf andere Tweets als die gemeldeten erstrecke - sofern sie den gleichen Inhaltskern haben. Er gehe allerdings davon aus, dass Twitter Rechtsmittel einlege.
Es ist die zweite aufsehenerregende Entscheidung dieser Frankfurter Pressekammer in diesem Jahr: Im April hatte sie der Grünen-Politikerin Renate Künast Recht gegeben. Sie hatte sich gegen ein mit einem Falschzitat versehenes Meme auf Facebook zur Wehr gesetzt. Facebook müsse inhaltskerngleiche Memes auch ohne erneuten Hinweis löschen, so die damalige Entscheidung.