Expertin zu Unkrautvernichtungsmittel "Glyphosat-Grenzwert sollte bei null sein"
Die Neuzulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der EU steht auf der Kippe. EU-Diplomaten vertagten die Entscheidung. Die Wissenschaftlerin Monika Krüger warnt im Gespräch mit tagesschau.de vor der Gefahr des Mittels. Für sie ist nur ein Glyphosat-Grenzwert akzeptabel: null.
tagesschau.de: Sie haben den Urin von etwa 2000 Menschen auf das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat hin untersucht. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Monika Krüger: Unsere Studie ist die zahlenmäßig bisher größte Studie mit Probanden aus ganz Deutschland. Gerade deswegen war die Untersuchung wichtig. Das Ergebnis: Rund drei Viertel der Studienteilnehmer haben mindestens fünfmal mehr Glyphosat im Urin als im Trinkwasser zugelassen. Nur acht Menschen waren dabei völlig unbelastet. Insgesamt ist die Belastung durch Glyphosat erheblich. Interessant ist, dass Männer signifikant höher belastet waren als Frauen. Wenn Glyphosat aufgenommen wird, verteilt es sich im gesamten Körper einschließlich Gehirn.
tagesschau.de: Wieso ist Glyphosat im Urin ein Problem?
Krüger: Wenn Glyphosat im Urin erscheint, ist das ein Zeichen dafür, dass der Mensch den Stoff oral aufgenommen hat. Es gibt eine Vielzahl von internationalen Publikationen, die darauf hinweisen, dass dadurch bestimmte Enzymsysteme blockiert werden. Glyphosat fixiert hier zum Beispiel die Spurenelemente weg. Aber auch für den Körper wichtige Stoffe wie Eisen, Calcium, Magnesium werden durch Glyphosat blockiert. Ein Drittel des Glyphosats geht in die Zirkulation, zwei Drittel bleiben im Magen-Darm-Trakt.
"Krebsagentur glaubwürdiger"
tagesschau.de: Das Bundesamt für Risikobewertung sagt, Glyphosat sei wohl nicht krebserregend, die internationale Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation hingegen hält das Mittel für wahrscheinlich krebserregend. Wie schätzen Sie das ein?
Krüger: Zur Zeit existieren unterschiedliche Auffassungen zur Sicherheit von Glyphosat, da Langzeitstudien an warmblütigen Tieren - auch solcher Tiere, die in die Nahrungskette eingehen - bisher nicht durchgeführt oder von den zulassenden Behörden nicht akzeptiert wurden. Ich kann mich nur auf die Daten zurückziehen, die ich als Wissenschaftlerin und als Veterinärmedizinerin erarbeitet habe. Ich vertraue auf das, was die Internationale Krebsagentur nachgewiesen hat. Sie schätzen die Ergebnisse aus Tierversuchen als ausreichenden Beweis für Kanzerogenität ein. Das heißt, der Stoff wird als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Das sind Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten mit Krebs und mit krebsauslösenden Mitteln befassen. Sie erscheinen mir glaubwürdiger als das Bundesamt für Risikobewertung. Wenn die internationale Krebsagentur davon ausgeht, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist, dann wird das auch so sein.
tagesschau.de: Trotzdem verwundert es, dass das Bundesamt für Risikoforschung eine ganz andere Meinung vertritt.
Krüger: Die Krebsagentur nimmt nur das, was international publiziert wurde. Sie nehmen keine Studien, die von Firmen finanziert wurden. Das ist richtig. Denn Firmenstudien haben ein Geschmäckle. Firmen wie Monsanto, die ihre Produkte verkaufen wollen, haben ein Interesse daran, dass die Zulassung von Glyphosat verlängert wird.
"Grenzwert sollte bei null liegen"
tagesschau.de: Auch in Bier wurden Glyphosat-Rückstände nachgewiesen. Auch hier sagt das Bundesamt für Risikobewertung, das sei unbedenklich, man müsste als Erwachsener tausend Liter Bier am Tag trinken, damit eine bedenkliche Menge zusammenkommen kann.
Krüger: Ob das so ist, weiß man nicht sicher. Ich kenne keine Studien am Menschen, die auf eine bestimmte Konzentration hinweisen, die schädlich ist oder nicht. Der Grenzwert von Glyphosat im Körper sollte bei null liegen. Das ist ganz klar.
tagesschau.de: Deutschland ist für die Europäische Union Berichterstatter zur Neubewertung von Glyphosat, hat damit eine besondere Verantwortung. Nun sind die Sichtweisen der Behörden hier sehr unterschiedlich. Was sollte die Bundesregierung tun?
Krüger: Die Politik muss entscheiden, ob eine Wiederzulassung für 15 Jahre durchgewunken wird. Wir Wissenschaftler können nur Ergebnisse erarbeiten. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es Zusammenhänge zwischen den Vorkommen von Glyphosat im Urin und bestimmten Fehlfunktionen bei physiologischen Funktionen im Körper von Tieren gibt. Die Studien zeigen, dass es zum Beispiel einen Zusammenhang zum chronischen Botulismus gibt. Die Lebensdauer der Tiere, ihre Fruchtbarkeit und ihr Magen-Darm-Mikrobiota werden dadurch negativ beeinflusst.
Wir haben mit Wiederkäuern gearbeitet, die ein anderes Magen-Darm-System haben als der Mensch, aber wir sehen auch bei Missbildungen beim Ferkel: Wenn die Tiere mit gesunden Wurfgeschwistern geboren wurden, haben wir gesehen, dass die missgebildeten Tiere Glyphosat in ihren Organen und in ihrer Muskulatur hatten. Das ist ein Hinweis, das Glyphosat hier eine Rolle spielt. Wenn Glyphosat nachweisbar ist, gibt es Krankheiten, ohne Glyphosat sind keine Auffälligkeiten festzustellen.
Weitere Studien sehen Glyphosat in Zusammenhang mit Störungen des Verdauungssystems mit verschlechterter Gallenblasenfunktion, Fettleber und Bauchspeicheldrüsenentzündungen. Negative Effekte auf das Immunsystem wurden etwa bei Milchkühen festgestellt.
"Daten für Menschen fehlen"
tagesschau.de: Inwiefern lässt sich das auf den Menschen übertragen?
Krüger: Die Tierstudien zeigen Veränderungen in verschiedenen Organen, beim Menschen ist die Datenlage schlechter. Hier fehlen epidemologische Daten. Man müsste schauen, welche Erkrankung mir einer bestimmten Glyphosat-Konzentration verbunden ist. Darüber haben wir keine Informationen.
tagesschau.de: In Brüssel wird entschieden, ob Glyphosat weiter eingesetzt werden darf oder nicht. Was ist aufgrund dieser Studienlage Ihre Empfehlung?
Krüger: Meine Empfehlung ist, diese Wiederzulassung auszusetzen. Denn die Daten, die international vorliegen, sprechen dafür, dass es eine Belastung der Bevölkerung gibt. Wenn nur die Gefahr besteht, dass hier ein Krebsrisiko vorliegt, ist das doch Grund genug.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.