Debatte über Schuldenkrise Kann Merkel die Koalition noch bändigen?
In der Koalition läuft die Debatte über den Umgang mit der Schuldenkrise zunehmend aus dem Ruder. Während Kanzlerin Merkel nach außen hin die Wogen zu glätten versucht, beharren FDP und CSU auf Gedankenspielen über eine Insolvenz oder einen Ausschluss Griechenlands aus dem Euro.
Inmitten der Debatte in der Bundesregierung über die Schuldenkrise ist Bundeskanzlerin Angela Merkel bemüht, einen Ansehensschaden von der deutschen Regierung abzuwenden. Merkels Sprecher Steffen Seibert wies Spekulationen über einen Bruch der schwarz-gelben Koalition zurück. Man sei sich einig über Wege und Ziele zur Stärkung der Stabilität der Euro-Zone.
Zuvor hatte Wirtschaftsminister Philipp Rösler ungeachtet der Appelle von Merkel und auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble auf einer Debatte über eine mögliche geordnete Insolvenz Griechenlands bestanden. Erneut wandte er sich gegen ein Denkverbot. Mehrere prominente FDP-Mitglieder schlossen sich Rösler an. So unterstützte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle Rösler, indem er sich im ARD-Morgenmagazin gegen Tabus in der Debatte aussprach. Die Äußerungen Röslers bewegten sich genau auf der Linie dessen, was die Euro-Finanzminister für den dauerhaften Stabilitätsmechanismus formuliert hätten, so Brüderle.
Rückendeckung aus der FDP
Auch Außenminister Guido Westerwelle schloss sich Röslers Forderung nach einer offenen Diskussion an. "Es wird alles gedacht, was gedacht werden muss", sagte der ehemalige FDP-Vorsitzende. Zugleich behauptete er, es gebe in der Bundesregierung keinerlei Streit darüber, wie man die Schuldenkrise in der Euro-Zone lösen wolle. "Wir wollen alle eine Stabilitätsunion und keine Schuldenunion." Wer Hilfe wolle, müsse eineGegenleistung erbringen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertrat die Ansicht, Rösler habe eine Debatte aufgenommen, die in die Zukunft blicke. Im Moment besitze die EU keine Regeln für den Fall, dass Euro-Länder in eine dramatische Schulden- und Finanzkrise geraten. "Die sollten wir schaffen, auch wenn es schwierig ist", sagte die bayerische FDP-Landesvorsitzende den Dortmunder "Ruhr Nachrichten".
Merkel hatte zu Zurückhaltung gemahnt, nachdem Rösler öffentlich die Möglichkeit einer Insolvenz Griechenlands in Erwägung gezogen hatte. Im RBB-Inforadio hatte sie erklärt, dass sich mit dem Euro die Zukunft Europas entscheide. "Und deshalb sollte jeder auch seine Worte sehr vorsichtig wägen."
FDP-Spitze kämpft mit Widerspruch in der eigenen Partei
Zugleich versucht die FDP-Spitze, Bedenken über den Kurs zur Rettung des Euro innerhalb der eigenen Partei zu begegnen. Dazu kündigte FDP-Generalsekretär Christian Lindner in einem Brief an die Funktions- und Mandatsträger in der Partei mehrere Regionalkonferenzen an. Damit versucht die Parteispitze einem Mitgliederentscheid von "Euro-Rebellen" um den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler zu begegnen. Diese wollen ein Nein zum Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM erzwingen. Lindner erklärte, die Bundesgeschäftsstelle werde den Mitgliederentscheid organisatorisch unterschützen. Er sagte aber auch, eine Regierungspartei könne sich nicht darauf beschränken, nur rote Linien aufzuzeigen. Wer die Beschlusslage der FDP verändern wolle, müsse auch die möglichen Konsequenzen für das Regierungshandeln klar benennen.
Auch Ramsauer distanziert sich
Doch nicht nur aus der FDP kommt fortgesetzter Widerspruch am Kurs von Kanzlerin Merkel, sondern auch von der CSU. Verkehrsminister Peter Ramsauer ging ebenfalls auf Distanz. Der geplante permanente Stabilitätsmechanismus ESM "würde uns zum Teil Zahlungsverpflichtungen diktieren, über die das Parlament keine Kontrollmöglichkeiten mehr hat. Das ginge an die Grundfesten der parlamentarischen Haushaltshoheit", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". Die Abstimmung über den ESM ist im Dezember im Bundestag vorgesehen. Der CSU-Politiker warnte davor, die Entscheidung dazu "übers Knie zu brechen". Schon der vorläufige Rettungsschirm EFSF, über den Ende September abgestimmt wird, sei für die Bundestagsabgeordneten "schwer zu verdauen".
Ramsauer bekräftigte die Position der CSU hinsichtlich eines möglichen Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro. Die wäre kein Weltuntergang, sagte Ramsauer dem Blatt. Man könne nicht sagen, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands um jeden Preis verhindert werden müsse, meinte Ramsauer. "Dann würde man jedes Druckmittel aufgeben. Das hieße doch, dass man das Land immer weiter mit frischem Geld versorgen würde, egal, was dort passiert oder eben nicht passiert."
Özdemir fordert von Merkel Klarheit
Angesichts des unklaren Bildes, dass die Koalition in der Debatte über die Schuldenkrise vermittelt, forderte Grünen-Chef Cem Özdemir, Merkel solle klarstellen, wer in Berlin regiert. Auch die EU-Partner wollten erfahren, ob die Bundeskanzlerin noch die Richtlinienkompetenz besitze oder ob die Macht mittlerweile bei der Regionalpartei CSU oder der zunehmend antieuropäischen FDP liege.
Zum Grundkonsens deutscher Nachkriegspolitik gehöre die Überzeugung, dass Europa im deutschen Interesse liege, betonte der Grünen-Vorsitzende. Diesen Konsens kündige die FDP aus rein parteipolitischen Interessen auf. Als "Irrsinn" bezeichnete Özdemir die Äußerungen von FDP-Chef Philipp Rösler über eine mögliche Insolvenz Griechenlands.
Özdemirs Parteikollege Jürgen Trittin hatte Merkel bereits aufgefordert, Wirtschaftsminister Rösler zu entlassen. Er frage sich, wie lange Merkel "dem amateurhaften Treiben der FDP-Truppe" noch zuschauen wolle. Trittin sagte, Rösler sei als Wirtschaftsminister eingestellt und nicht als "Dampfplauderer".