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Interview mit Robert Habeck "Sonst ist man kein guter Demokrat"

Stand: 19.05.2017 17:52 Uhr

Spitzenkandidat ist er nicht geworden, nach dem Wahlsieg der Grünen in Kiel schaut die Partei trotzdem auf ihn. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt Robert Habeck, wie ein erfolgreicher Wahlkampf funktioniert - und warum man Macht für die Grünen wichtig ist.

tagesschau.de: Gestern trafen Sie in Kiel erstmals zu Sondierungsgesprächen mit der FDP zusammen. Wie war’s?

Robert Habeck: Wir hatten eine gute Gesprächsatmosphäre. Das war aber auch nicht überraschend. Wir kennen uns alle sehr lange, haben viele Schlachten miteinander ausgetragen und waren vier Jahre gemeinsam in der Opposition gegen die Große Koalition. Wir wissen, welche inhaltlichen Probleme es gibt.

FDP und Grüne sind in ihrer ritualisierten Feindschaft gut darin, sich gegenseitig etwas über den Kopf zu hauen und vor allem das Trennende zu betonen. Jetzt müssen wir das Verbindende suchen. Das ist spannend.

Robert Habeck
Zur Person
Seit 2012 ist Robert Habeck Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume in Schleswig-Holstein. Im vergangenen Jahr bewarb er sich um die Spitzenkandidatur der Grünen zur Bundestagswahl, unterlag jedoch Parteichef Cem Özdemir in einer Basisbefragung knapp.

tagesschau.de: Was verbindet die Grünen denn mit der FDP?

Habeck: Unsere gemeinsame Idee kreist um das Projekt einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft. Das ist nicht wenig in einer Zeit, in der autoritäre Systeme und Nationalismus weiter um sich greifen.

tagesschau.de: Reicht das aus, um eine teils seit Jahrzehnten bestehende tiefe Abneigung zwischen den Parteien abzubauen?

Habeck: Wir müssen sehen, dass es eine tektonische Verschiebung im politischen Wertesystem gab. Die Jahre 2000 bis 2010 waren geprägt von dem Streitthema, wie sozial oder wie marktliberal die Gesellschaft ist. Das waren die Westerwelle-Trittin-Jahre, wenn ich es mal so nennen darf. Das Thema ist nach wie vor zentral. Inzwischen wird die Welt aber zusätzlich sehr stark von der Frage geprägt, wie autoritär oder wie weltoffen, freiheitlich und rechtsstaatlich die Gesellschaft ist . In dieser Frage sind Grüne und FDP eher Alliierte. Das löst die anderen inhaltlichen Probleme nicht, aber es kann eine Grundlage sein.

tagesschau.de: Sie sondieren heute auch das erste Mal mit der CDU über eine Jamaika-Koalition. Müssen sich die Grünen zunehmend für solche neuen Bündnisse öffnen?

Habeck: Wir hätten die Küstenkoalition gerne fortgesetzt, aber die SPD hat leider nicht genügend Stimmen bekommen. Der Weg zu Jamaika ist für uns Grüne aber sehr weit. Trotzdem müssen wir jetzt erstmal weiterreden. Ein schwieriges Wahlergebnis sollte nicht automatisch zu einer Großen Koalition führen. Das ist auch unser demokratischer Auftrag. Denn Große Koalitionen stärken die extremen Ränder. Und eine Opposition, die kaum noch wahrnehmbar ist, kann für ein Ausfransen der parlamentarischen Demokratie sorgen. Deswegen können wir nicht leichtfertig sagen: Wir gehen in die Opposition und schmollen. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit zu probieren, ob es noch eine andere Lösung geben kann. Sonst ist man ein schlechter Demokrat.

Die Grünen in Schleswig-Holstein im Moment der Verkündung der ersten Wahl-Prognose

Die Grünen in Kiel bei der Verkündung der Prognose zur Landtagswahl.

tagesschau.de: Vom weit verbreiteten Brauch, vor den Wahlen gewisse Bündnisse mit anderen demokratischen Parteien auszuschließen, halten Sie also nichts?

Habeck: Gar nichts.

tagesschau.de: Damit sich die Frage neuer Bündnisse überhaupt stellt, müssen die Grünen stark genug zum Regieren sein. Was haben Sie in Schleswig-Holstein richtig gemacht, das die Grünen in Nordrhein-Westfalen falsch gemacht haben?

Habeck: Mit richtig und falsch hat das nichts zu tun. Wir hatten sehr unterschiedliche Ausgangslagen. Nordrhein-Westfalen ist ein Industrieland im Wandel, Schleswig-Holstein ist ein Agrarland auf dem Weg zum Erneuerbare-Energie-Land. Wir haben hier zudem mit der SPD in vielem an einem Strang gezogen. Das war in NRW nicht so. Deshalb kann man das überhaupt nicht vergleichen.

Wir haben uns im Wahlkampf nicht am politischen Gegner abgearbeitet, sondern eine Geschichte von Gestaltung und Verantwortung erzählt, und das, nachdem wir in den Jahren zuvor bewiesen haben, dass die Menschen uns vertrauen können. So konnten wir uns ein Stück weit vom Bundestrend absetzen.

tagesschau.de: Könnten die Grünen im Bund sich diese positive Herangehensweise von Ihnen abschauen?

Habeck: Ganz unabhängig von Parteifragen: Grundsätzlich vertrauen Menschen eher jemandem, der frische Lösungen für Probleme anbietet als jemandem, der sagt: die andere Hälfte hat eh keine Ahnung. Das ist unsere Erfahrung hier im Land.

Torsten Albig und Robert Habeck

Konnten gut miteinander: Habeck und der scheidende Ministerpräsident Albig.

tagesschau.de: Auf welche Themen müssen die Grünen dafür setzen?

Habeck: Ich kann nur für Schleswig-Holstein sprechen. Wir haben hier mit den klassischen grünen Themen gepunktet – Umweltschutz, Energiewende, Rückbau von Atomkraftwerken.

Weil wir in der Umweltpolitik unsere Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen konnten und gezeigt haben, dass wir hier nicht gegen die Leute arbeiten, haben die Menschen uns auch auf anderen Themenfeldern vertraut – selbst auf Gebieten, die für uns Grüne eigentlich schwierig sind, Innere Sicherheit etwa oder Verkehrsinfrastruktur.

tagesschau.de: Wie wichtig ist es für die Grünen zu regieren?

Habeck: Opposition ist zwar nicht Mist, aber Politik zielt darauf, die Wirklichkeit zu gestalten. Wenn eine Regierungsbildung aufgrund von unüberbrückbaren inhaltlichen Differenzen nicht zu Stande kommt, ist daran nichts Ehrenrühriges, aber man muss um Verantwortung kämpfen. Warum sollten wir sonst Plakate im Regen aufhängen?

tagesschau.de: Gab es mittlerweile Gespräche mit der Bundes-Spitze darüber, wo man Sie künftig bei den Grünen sieht?

Habeck: Wo man mich sieht? Also ich bin gut damit beschäftigt, in Schleswig-Holstein eine Regierung aufzustellen, unter ziemlich schwierigen Vorzeichen. Ich bin nicht auf Jobsuche.

Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 16. Mai 2017 um 08:20 Uhr.