Vorstoß des Arbeitsministers Warum Heils Homeoffice-Plan auf Kritik stößt
Gesetze tragen heutzutage schicke Bindestrich-Namen: So auch das "Mobile-Arbeit-Gesetz" von Arbeitsminister Heil. Konkret geht es um einen Rechtsanspruch auf Homeoffice. Die Pläne, die Kritik, die offenen Fragen - ein Überblick.
Schon im Frühjahr in der ersten Hochphase der Corona-Pandemie hatte Arbeitsminister Hubertus Heil einen ersten Testballon gestartet. Bis zum Herbst wolle er einen Gesetzentwurf für ein Recht auf Homeoffice vorlegen. "Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können - auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist", kündigte der SPD-Minister an. Aus dem CDU-geführten Wirtschaftsministerium kam umgehend Widerspruch. Zu viel überflüssige Bürokratie, kritisierte Peter Altmaier. Nun hat Heil seinen Gesetzentwurf abgespeckt - was ist geplant, wie sind die Reaktionen und was bleibt unklar? Antworten auf wichtige Fragen im Überblick
Was plant das Arbeitsministerium?
Kurz gesagt: einen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten. Schließlich habe die Corona-Pandemie gezeigt, dass mobiles Arbeiten Alltag sein und das Leben einfacher machen könne. Minister Heil argumentiert auch mit Studien, wonach sich zwei Drittel der Beschäftigten mehrere Tage pro Woche im Homeoffice gut vorstellen können und sie sich mehrheitlich einen entsprechenden Anspruch wünschen.
Das "Mobile-Arbeit-Gesetz" sieht für Arbeitnehmer "dort, wo es möglich ist" einen gesetzlichen Anspruch auf mindestens 24 Tage mobiles Arbeiten im Jahr vor. Die 24 Tage möchte Heil als Untergrenze verstanden wissen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber könnten sich darüber hinaus individuell in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen auf mehr mobiles Arbeiten verständigen.
Ein Arbeitgeber kann demnach den Wunsch nach mobiler Arbeit ablehnen, wenn er nachvollziehbare organisatorische oder betriebliche Gründe anführt. "Natürlich kann ein Bäcker nicht von zuhause aus Brötchen backen", sagte Heil. Für Arbeitgeber sei es mit dem Gesetz aber nicht mehr möglich, mobiles Arbeiten aus Prinzip abzulehnen.
Was steht im Koalitionsvertrag?
SPD und Union haben im Koalitionsvertrag festgelegt, mobiles Arbeiten zu fördern (S. 41, Zeile 1822ff.). Wörtlich heißt es:
Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dazu werden wir einen rechtlichen Rahmen schaffen. Zu diesem gehört auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung sowie Rechtssicherheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang mit privat genutzter Firmentechnik. Auch die Tarifpartner sollen Vereinbarungen zu mobiler Arbeit treffen".
Es sei nun an der Zeit, für "eine sich wandelnde Arbeitswelt einen modernen Ordnungsrahmen zu schaffen", argumentierte Heil im Deutschlandfunk.
Wie reagiert der Koalitionspartner?
Ablehnend. Nicht, weil CDU/CSU das Arbeiten von zu Hause generell ablehnen, sie sperren sich aber gegen einen Rechtsanspruch. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich verständigen, ob und wie oft Homeoffice möglich ist oder nicht. "Ein gesetzlicher Anspruch ist dagegen nicht zielführend", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
"Einen echten Rechtsanspruch kann es nicht geben", meint auch der Arbeits- und Sozialexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß. Er warnte davor, dass sonst die "Arbeitnehmerschaft in zwei Teile aufgeteilt" werde - jene, die ihre Arbeit zuhause verrichten können, und jene, bei denen das nicht gehe. Und CDU-Mann Hermann Gröhe wandte sich dagegen, "die entstandene Experimentierfreude von Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch einen Rechtsanspruch wieder zu gefährden".
Schärfer formulierte der Unions-Wirtschaftsflügel seine Kritik: "Da, wo Homeoffice möglich ist, ist es eine Win-win-Situation für beide Seiten. Aber der Arbeitgeber wird auch in Zukunft entscheiden, wo die von ihm bezahlte Arbeitsleistung zu erbringen ist. Die SPD sollte zur Realität zurückkehren und den Bürgerinnen und Bürgern keinen Unsinn erzählen", schimpfte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unions-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten. Und der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnenmann (CDU), sagte, viele Mittelständler kämpften derzeit ums Überleben. "Neue Auflagen sind das Letzte, was sie gebrauchen können."
Was sagen die anderen Parteien?
Aus Sicht der FDP ist Heils Plan ein SPD-Wahlkampfvorstoß. Zentrale Fragen seien offen, bemängelte Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel in der "Augsburger Allgemeinen". Es werde nicht klar, wie Bürokratie abgebaut werden soll, die aktuell Unternehmen dazu zwingt, heimische Schreibtische zu kontrollieren. Zudem sei unklar, ob ein einseitiger Rechtsanspruch oder ein für alle Seiten faires Verfahren geschaffen werden solle.
In eine ganz andere Richtung geht die Kritik des Gewerkschaftsbunds. "Der geplante Rechtsanspruch von lediglich bis zu 24 Tagen ist eindeutig zu wenig. Das bedeutet gerade einmal einen Anspruch von einem Tag mobiler Arbeit alle zwei Wochen", rechnete DGB-Chef Reiner Hoffmann vor. Dem Bedürfnis vieler Beschäftigter werde das kaum gerecht.
Ähnlich reagierten die Grünen. "Die Beschäftigten wollen verlässliche Regelungen", sagte Arbeitsmarktpolitik-Expertin Beate Müller-Gemmeke. "Es muss klar sein, dass sie ein oder zwei Tage in der Woche von zu Hause arbeiten können, und zwar regelmäßig, damit sich alle verbindlich darauf einstellen können."
Kein gesetzlicher Handlungsbedarf? Beim Homeffice gehen die Meinungen auseinander.
Wie reagiert die Wirtschaft?
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sieht keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. So habe sich in der Pandemie gezeigt, dass die Arbeitgeber die notwendige Flexibilität aufbrächten. "Man kann den Vorstoß auch als einen Eingriff in die Tarifautonomie werten", sagte er der "Rheinischen Post".
Wo es möglich ist, böten die Arbeitgeber schon heute die Möglichkeit an, von zu Hause zu arbeiten, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer der Deutschen Presse-Agentur. "24 Tage Homeoffice - rechtlich verbrieft - gehen an dieser Realität vorbei und sind völlig aus der Luft gegriffen. Weder orientiert sich das an den Möglichkeiten der Unternehmen, noch an den Bedürfnissen der Beschäftigten." Mittelstandspräsident Mario Ohoven sagte, Homeoffice habe sich in der Krise zwar bewährt. "Aber in der Zeit danach darf die Erholung der Wirtschaft nicht durch steigende Arbeitskosten und zusätzliche Bürokratie gefährdet werden. Deshalb sagen wir Nein zu einem generellen Recht auf Homeoffice." Nötig sei vielmehr eine freiwillige Übereinkunft.
Welche Fragen bleiben offen?
Zum Beispiel die Frage, wer sich um die technische Ausstattung der Arbeitsplätze im Homeoffice kümmert - also zum Beispiel um Computer, die nötige Software, Internetanschlüsse oder Telefone. Arbeitsminister Heil verweist darauf, dass der Arbeitgeber auch künftig die "Betriebsmittel" zur Verfügung stellen muss. Allerdings wolle sich der Gesetzentwurf nicht in Details einmischen. Auch nach der Einführung eines Rechtsanspruchs könnten Beschäftigte also das Problem haben, dass ihnen die Tätigkeit im Homeoffice zwar zusteht, der Arbeitgeber aber erwartet, dass zuhause private Geräte genutzt werden oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich selbst um die technischen Voraussetzungen kümmern müssen. Ob man zuhause sein eigenes Handy benutze oder ein Dienstgerät, sei "eine Frage der Vertragsgestaltung zwischen Arbeitnehmer und Beschäftigten", sagte Heil im Deutschlandfunk.
Inwieweit der Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten auch für die Beschäftigten sehr kleiner Unternehmen gelten soll, ist bislang unklar. Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums ließ dies gegenüber tagesschau.de offen.
Was passiert, wenn sich der Arbeitgeber querstellt?
Das Recht auf mobiles Arbeiten soll unter dem Vorbehalt stehen, dass sich eine Tätigkeit grundsätzlich hierfür eignet - und betriebliche Gründe nicht zwingend dagegen sprechen. Der Arbeitgeber müsste innerhalb einer bestimmten Frist begründen, warum er den Wunsch eines Beschäftigten nach Arbeit im Homeoffice ablehnt. Doch betriebliche Gründe sind eine Frage der Auslegung. Kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Dissenz, müsste der Streit möglicherweise am Ende vor Gericht geklärt werden.
In welchen Wirtschaftszweigen wird bereits viel im Homeoffice gearbeitet?
In der Informations- und Kommunikationsbranche war nach Ausbruch der Corona-Pandemie der Anteil der Beschäftigten, die von zu Hause aus gearbeitet haben, besonders hoch (59 Prozent). Das ergab Anfang April eine Umfrage der Universität Mannheim unter gut 2200 Beschäftigten. Aber auch in der Energiebranche und in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft lag die Homeoffice-Quote bei ungefähr 50 Prozent. Überdurchschnittlich war der Anteil auch in der Finanz- und Versicherungsbranche sowie bei wissenschaftlichen oder technischen Dienstleistungen.
Was hat Corona verändert?
Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten im vergangenen Jahr - also vor Corona - insgesamt 12,9 Prozent aller Beschäftigten zumindest teilweise im Homeoffice. Nur ein kleiner Teil (5,5 Prozent) verbrachte mindestens die Hälfte der Arbeitszeit dort. Deutschland lag in der Vergangenheit bei der Homeoffice-Nutzung deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.
Die Pandemie hat für einen Wandel im Umgang mit dem Thema gesorgt. Einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo zufolge haben rund drei Viertel der Unternehmen in Deutschland zur Bewältigung der Krise verstärkt das Homeoffice genutzt. In der ersten Aprilwoche 2020 gingen laut Umfrage der Universität Mannheim insgesamt 24 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland dort ihrer Tätigkeit nach.
Eine zwischen Anfang Juli und Mitte August durchgeführte Umfrage im Auftrag des Arbeitsministeriums kommt zum Ergebnis, dass 36 Prozent der abhängig Beschäftigten im Homeoffice oder von unterwegs arbeiteten - zumindest teilweise.
Dabei haben viele Unternehmen festgestellt, dass mehr Tätigkeiten von zuhause aus erledigt werden können als bislang von ihnen vermutet. Allerdings berichten vor allem größere Betriebe von positiven Erfahrungen mit dem Homeoffice. Und auch vor allem größere Unternehmen planen, die Heimarbeit langfristig auszuweiten.
Zwischen den Ministern Altmaier (links) und Heil dürfte es Knatsch ums Homeoffice geben.
Wie viele Menschen in Deutschland können überhaupt im Homeoffice arbeiten?
Nach Berechnungen des ifo-Instituts könnten 56 Prozent der Beschäftigten in Deutschland im Prinzip von zu Hause aus arbeiten. Dabei gibt es ein starkes Gefälle vor allem zwischen Stadt und Land. In Großstädten ist der Anteil der Homeoffice-fähigen Jobs deutlich höher als in ländlichen Regionen. Auch haben Geringverdiener und Beschäftigte mit niedrigeren Qualifikationen erheblich seltener die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.
Wie geht es jetzt weiter?
Vermutlich gibt es Krach in der Koalition. "Die pauschale Kritik aus Teilen der Wirtschaft und Union geht am Alltag vieler Menschen komplett vorbei", schimpfte SPD-Vize-Fraktionschefin Katja Mast. Sie sprach von einer "fast schon rituell-bockigen Verweigerungshaltung", die niemandem nutze.
Derzeit liegt Heils Gesetzentwurf im Bundeskanzleramt zur so genannten Frühkoordination. Anschließend wird der Entwurf in den einzelnen Bundesministerien geprüft, ggf. überarbeitet und schließlich im Kabinett verabschiedet. Dann entscheiden der Bundestag und der Bundesrat darüber, ob der Gesetzentwurf zum Gesetz wird.