Bundeswehr abgehört Union stellt Scholz' Glaubwürdigkeit infrage
Russland hört eine Diskussion deutscher Offiziere mit - und die Union sieht in dem Gespräch Hinweise, dass Olaf Scholz mit falschen Informationen hantiert. Sie versucht jetzt, den Fokus auf den Kanzler zu richten.
Nach dem Abhörskandal der deutschen Luftwaffe gibt es Rufe nach besseren Sicherheitsvorkehrungen - und Überlegungen für einen Untersuchungsausschuss im Bundestag.
"Die Berichte sind in doppelter Hinsicht befremdlich", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Spiegel. "Zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von "Taurus"-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet."
"Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen"
Der Bundeskanzler müsse sich dafür vor dem Bundestag erklären, verlangte Dobrindt. "Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden."
Ähnlich argumentierte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter: Es müsse geklärt werden, "warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei", sagte Kiesewetter im ZDF. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht das genauso. Im "Tagesspiegel" konstatierte er einen schweren Schaden für Scholz persönlich: Es stelle sich die Frage, "warum der russische Geheimdienst und vielleicht sogar eine höhere Stelle durch die Veröffentlichung des Gesprächs den Bundeskanzler gerade jetzt so massiv beschädigt."
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die Union zur Mäßigung auf. "Untersuchungsausschüsse zu fordern, ist das gute Recht der Opposition. Gleichwohl sollte man erst einmal die Ermittlungen und Erläuterungen der Staatsanwaltschaft, der Bundeswehr und der Dienste abwarten", sagte Mützenich der Nachrichtenagentur dpa. Er wies darauf hin, dass die Bundesregierung eine schnelle und umfassende Aufklärung zugesagt hat.
Scholz gegen "Taurus"-Lieferung
Scholz hatte sein Nein zu einer "Taurus"-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. "Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein", hatte er Anfang vergangener Woche gesagt.
In dem jetzt veröffentlichten Gespräch erörtern vier Offiziere - darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte. Darin hatten sie festgehalten, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre - und dass eine "Taurus"-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde.
Keine sichere Kommunikationsplattform
Ihr Gespräch war auf der russischen Plattform "Russia Today" veröffentlicht worden. Wie Russland an den Mitschnitt gelangte, wird nun vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) untersucht. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa haben die Offiziere über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander gesprochen. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte dem ARD-Hauptstadtstudio, es gebe Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet worden sei.
Der Bundeswehr-Leak könnte durch einen russischen Teilnehmer in der Webex-Schalte entstanden sein, sagte der CDU-Verteidigungsexperte und Vize-Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Roderich Kiesewetter, im Bericht aus Berlin. Kiesewetter erklärte, es gebe Hinweise aus Quellen, "die sich berufsmäßig damit beschäftigen". Es sei nun zu klären, wie die russischen Spione die Einwahlnummern bekommen hätten und "wie sie den Zugang zu dieser Konferenz aufklären konnten".
Die "Bild am Sonntag" schrieb, die Webex-Sitzung sei über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, hieß es. Geprüft werde, welcher Sicherheitsstufe die in der Besprechung genannten Details unterlegen hätten. Zu klären sei auch, ob die verwendete Webex-Variante zumindest für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe "Verschlusssachen - nur für den Dienstgebrauch" zugelassen sei.
Rufe nach besseren Sicherheitsvorkehrungen
Parteiübergreifend fordern Politiker nun bessere Sicherheitsvorkehrungen, nicht nur für die Bundeswehr. Die auf Sicherheitsthemen spezialisierte Vizevorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, warnte vor weiteren russischen Sabotageaktionen in den kommenden Monaten. "Die Ereignisse der letzten Tage zeigen einmal mehr, wie Wladimir Putin versucht, gerade in Deutschland durch Desinformation, Destabilisierung und Spionage massiv negativen Einfluss auf unsere offene Gesellschaft zu nehmen", sagte sie dem Magazin "Spiegel".
Ihr Parteikollege Konstantin von Notz, der dem Parlamentsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste vorsteht, hat darüber hinaus von der Regierung Aufklärung in den zuständigen Bundestagsgremien gefordert. "Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt", erklärte von Notz. Es werde deutlich, dass es eine "wirkliche Zeitenwende" bei allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden brauche - auch und gerade mit Blick auf den Schutz aller sicherheitsrelevanten Kommunikation.
Mit Informationen von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio