Antisemitismusvorwürfe Aiwanger unter Druck - trotz Entschuldigung
Wegen eines antisemitischen Flugblatts aus Jugendtagen steht Bayerns Vize-Ministerpräsident Aiwanger weiter unter Druck. Kritik kommt vom Zentralrat der Juden und vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Aiwanger sei ein "schlechtes Vorbild".
In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten steht Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger auch nach einer öffentlichen Entschuldigung weiter in der Kritik.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, Aiwanger schade mit seinen Äußerungen der Erinnerungskultur in Deutschland. "Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert", sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Das bisherige Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland.
"Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets."
Augenscheinlich gehe es Aiwanger aber hauptsächlich darum, den Vorwurf abzuwehren, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben. "Seine mittlerweile erfolgte Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes erfolgte erst nach Tagen auf massiven Druck von außen", kritisierte der Antisemitismusbeauftragte.
Zentralrat der Juden vermisst "Willen zur Aufklärung"
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte die Entschuldigung von Aiwanger zwar, kritisierte zugleich aber dessen fehlenden "Willen zur Aufklärung". Die Entschuldigung "bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoa" sei "ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt", sagte Schuster der "Bild"-Zeitung.
Bedauerlicherweise verbinde Aiwanger dies aber "mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe" und lasse "weiterhin den Willen zur offenen Aufklärung vermissen". "Es bleibt abzuwarten, ob die Beantwortung der Fragen der Staatskanzlei die immer noch ausstehende Klarheit bringen", sagte Schuster.
Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Niedersachsen, Gerhard Wegner, forderte Aiwanger zum Rücktritt auf. "Anstatt sich hinzustellen und sich in angemessener und wirklich glaubwürdiger Weise für diese unsägliche und auch eklige Schrift zu entschuldigen, wird verschleiert, wie es dazu gekommen ist. Das finde ich absolut unbefriedigend. Deshalb müsste Aiwanger eigentlich zurücktreten, wenn ihn Markus Söder schon nicht entlassen will", sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst.
Als Ziel einer politischen Kampagne dargestellt
Gestern hatte sich Aiwanger als Ziel einer politischen Kampagne dargestellt. "Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden", sagte er im bayerischen Wirtschaftsministerium in München. Es gehe um ein "abscheuliches Pamphlet", das vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden sei, so Aiwanger. Es seien Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermittelt hätten, er "wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten". Er habe damals Fehler gemacht und "bereue zutiefst", wenn er Gefühle verletzt habe. Er bat explizit "alle Opfer des NS-Regimes, deren Hinterbliebene und alle Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit" um Entschuldigung.
Es sei "jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden", sagte Aiwanger. Gegenüber der "Welt" führte er dies weiter aus: "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht." Der "Süddeutschen Zeitung", die als erstes über Vorwürfe gegen ihn berichtet hatte, warf er vor, ihn politisch vernichten zu wollen.
SPD-Vizefraktionschef: Rücktritt ist einzige Konsequenz
In den vergangenen Tagen hatte es bereits anhaltende Kritik an Bayerns Vize-Regierungschef gegeben. Auch führende Unionspolitiker hatten wiederholt vollständige Aufklärung gefordert. "Das ist eine höchst unappetitliche Geschichte", sagte CDU-Chef Friedrich Merz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass 17- oder 18-jährige Schüler noch in den 1980er-Jahren so etwas schreiben."
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem Sender Welt-TV, bisher sei Aiwanger "sehr, sehr schmallippig geblieben". Das sei der aktuellen Situation sicher nicht angemessen. Auf die Frage, ob er aktuell noch keinen Rücktritt von Aiwanger fordere, sagte Dobrindt: "Es geht jetzt darum, dass Klarheit entsteht, und dann kann man über Weiteres reden."
Freie Wähler stehen hinter ihrem Parteichef
Der Landesvorstand der Freien Wähler in Bayern, der Vorstand der Landtagsfraktion und die Kabinettsmitglieder der Freien Wähler in dem Bundesland stellten sich derweil "geschlossen" hinter Aiwanger.
Aiwanger soll laut "Süddeutscher Zeitung" als 17-Jähriger ein antisemitisches Hetzblatt verfasst haben. Er selbst hatte das bereits schriftlich zurückgewiesen. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Die Schule habe daraufhin ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Ein früherer Mitschüler berichtete dem ARD-Magazin report München, Aiwanger habe als jüngerer Schüler ab und zu in der Klasse "einen Hitlergruß gezeigt". Auch judenfeindliche Witze seien "definitiv gefallen".
Söder bezeichnet Entschuldigung als "überfällig"
Bayerns Ministerpräsident Söder hat Aiwangers Entschuldigung als überfällig bezeichnet. Gleichzeitig erhöhte er am Freitag den zeitlichen Druck auf den Freie-Wähler-Chef, die 25 an ihn gestellten Fragen nun rasch schriftlich zu beantworten. "Am besten noch heute", wie Söder am Rande eines Termins im mittelfränkischen Bechhofen sagte. Eine förmliche Frist setzte er Aiwanger damit allerdings weiterhin nicht.
Erst danach will Söder eine abschließende Entscheidung treffen, wie es weitergeht: ob er Aiwanger gut einen Monat vor der Landtagswahl entlässt oder nicht. "Ob es am Ende alles ausreicht, wird man erst nach der Beantwortung der Fragen entscheiden", sagte der CSU-Chef.
Sondersitzung des Landtags in einer Woche
Am Donnerstag kommender Woche befasst sich der bayerische Landtag in einer Sondersitzung mit dem Fall. Landtagspräsidentin Ilse Aigner werde auf Antrag von Grünen, SPD und FDP den sogenannten Zwischenausschuss einberufen, teilte der Landtag mit. Dieses Gremium kann nach der letzten Plenarsitzung vor einer Landtagswahl dringliche Angelegenheiten behandeln. Es besteht aus 51 Mitgliedern und ebenso vielen stellvertretenden Mitgliedern. Die Zusammensetzung regelt sich nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen im Parlament.
In Bayern wird in fünfeinhalb Wochen ein neuer Landtag gewählt. Die CSU regiert derzeit gemeinsam mit den Freien Wählern. Söder will die Koalition nach eigenen Angaben trotz der Affäre fortsetzen. Zugleich deutete er am Dienstag an, dass dies auch ohne Aiwanger denkbar sei.